Derzeit gibt es ein würdeloses Rennen um den CDU-Vorsitz, das von der Kanzlerin genußvoll in die Länge gezogen wird, damit sich die Thronprätendenten möglichst umfassend selbst beschädigen können. Die Bewerber hängen alle mehr oder weniger am Hosenanzug von Dr. Merkel, sie sind so devot ihr gegenüber wie seinerzeit Nikita Chrustschoff, der Stalin 20 Jahre lang geduldig die Stiefel geleckt hatte, bis sein Vorgesetzter endlich aus ihnen herausgekippt war.
Von Wolfgang Prabel
Keiner wagt den Bruch mit Merkel, weil er bei der kleinsten Abweichung von der Politik der letzten zehn Jahre mit der Macht der Medien sofort abgetan werden würde. Im Gegenteil: Jeder versucht ihre Gunst zu erhalten bzw. zu erhaschen, besonders eifernd Markus Söder, ihr bayerischer Statthalter. Ob sie die Alte nur täuschen und hinters Licht führen, ob sie im Herbst eine vorsichtige Entmerkelisierung einleiten, ein politisches und kulturelles Tauwetter riskieren, niemand weiß es. Vielleicht wollen sie auch nur den Thron erben und noch furchtbarer als die häßliche alte Hexe spalten und zerstören. Es ist nie so schlimm, daß es nicht noch schlimmer kommen kann.
Zuweilen ist es lehrreich, Charaktermasken von Politikern zu ergründen, die in ähnlichen alternativlosen Kulissen agierten. Mit den derzeitigen Zuständen in Berlin kann man die Periode der Herrschaft der Goldenen Horde 1237 bis 1462 und die Zeit der Säuberungen von 1934 bis 1953 vergleichen. Iwan Kalita war auf dem Stuhl des Moskauer Großfürsten lebenslang der beflissene Sklave des Großchans, vergleichbar etwa mit den CDU-Ministerpräsidenten. Die Jahre 1953 bis 1957 dagegen waren durch die Milderung einer verkrusteten Schreckensherrschaft geprägt. Gibt es in der CDU einen Chrustschoff, der versucht, die Geister der Vergangenheit zu zähmen oder gar zu bannen? Oder nur widerliche kriecherische Kreaturen wie Iwan Kalita?
„Die Politik Iwan Kalitas war einfach folgende: das unterwürfige Werkzeug des Khan zu spielen, auf diese Weise Macht von ihm zu erschleichen und sie dann gegen seine fürstlichen Rivalen und die eigenen Untertanen zu wenden. Dies zu erreichen mußte er sich bei den Tartaren durch zynische Lobhudeleien, häufige Reisen zur Goldenen Horde (…), durch die Vorspiegelung genzenloser Anteilnahme an des Khans Interessen, die skrupellose Ausführung seiner Befehle (…), kurz durch die Vereinigung der Charaktere eines Henkers, Speichelleckers und obersten Sklaven der Tartaren in seiner Person einschmeicheln. Er erstaunte den Khan durch ständige Enthüllungen geheimer Verschwörungen. Wann immer die Linie von Twer eine Regung nationaler Unabhängigkeit zeigte, eilte er zur Goldenen Horde, sie zu denunzieren. Wo immer er auf Widerstand traf, lud er den Tartaren ein, diesen niederzutrampeln.“
So ist Kalitas Handeln in der „Geschichte der Geheimdiplomatie des 18. Jahrhunderts“ beschrieben worden, man muß nur den Namen Kalita durch Söder, Bouffier, Günther, Laschet, Hans oder Kretschmer ersetzen und die Goldene Horde durch das Bundeskanzleramt, der Khan ist dann Dr. Merkel. Die „Linie von Twer“ könnte Kemmerich sein.
Der Autor obiger Zeilen war übrigens Karl Marx, auch der bärtige Säulenheilige wurde in der Russenzeit zensiert, seine Geschichte der Geheimdiplomatie wurde weder in die MEGA noch die MEW aufgenommen. Zu tiefe Einblicke in die Ränkespiele der Machterlangung und -erhaltung. Erst 1977 wurde sie im Westen erstmalig in deutscher Sprache gedruckt.
Nun gibt es freilich Sklaven, deren Natur zutiefst kriecherisch und stupide ist, und solche, die sich nur geschickt verstellen, um nach dem Tod ihres Herrn und der handfertigen Machtergreifung die Dinge wieder zu richten. Nikita Chrustschoff war einer von der letzteren Sorte.
Natürlich war er bei den Säuberungen nicht Opfer, sondern Täter und Beteiligter. Noch von 1949 bis 1953 war er Erster Sekretär der Parteiorganisation des Gebietes von Moskau. Auf dem XIX. Parteitag der KPdSU 1952 hielt er auf Geheiß Stalins das Referat über die bedeutsamen Abänderungen am Parteistatut. Und dann röchelte Väterchen Stalin eines schönen Morgens endlich in seinem Erbrochenen und niemand traute sich, ihm zu helfen. Der 5. März 1953 war der Freudentag, an dem er in der Hölle brutzelte und sein Fett an die Decke spritzte.
Am 26. Juni 1953 wurde der von allen Politbüromitgliedern gefürchtete Innenminister und Geheimdienstchef Beria handstreichartig verhaftet, wegen antisowjetischer Verschwörung am 23. Dezember 1953 zum Tode verurteilt und am gleichen Tag zusammen mit anderen führenden Geheimdienstlern erschossen. Chruschtschow, nunmehr dienstältester Sekretär, erreichte, daß die führenden Ämter Erster Sekretär und Regierungschef getrennt wurden und er am 7. September 1953 zum neuen Ersten Sekretär des ZK gewählt wurde.
Auf dem XX. Parteitag der KPdSU vom 14. bis 25. Februar 1956 enthüllte Chruschtschow in seiner Geheimrede (über den Personenkult und seine Folgen) vom 25. Februar den Führungsstil von Stalin und die damit verbundenen Verbrechen. Es entwickelte sich die sog. Tauwetter-Periode: Zumindest innenpolitisch kehrte eine gewisse Entspannung ein. Chruschtschow ließ zahlreiche Konzentrationslager schließen und Inhaftierte entlassen. Ganze deportierte Völker wurden rehabilitiert, die letzten deutschen Kriegsgefangenen durften 1957 in die Heimat.
Nun, man darf seine Lockerungen nicht idealisieren, es dauerte noch 33 Jahre bis zur Normalisierung und noch etwas länger bis zu einer – nur dürftig bemäntelten – Darstellung des Zarentums. Das Leben von Chrustschoff zeigt jedoch, wie sich ein Sklave von der Übervaterfigur seines Halters lösen kann, und in welchem Rahmen. Es gehörte ungeheurer Mut dazu, und die skrupellose Anwendung unter Extrembedingungen erlernter Machttechniken, um in einem verknöcherten Mordapparat eine Richtungsänderung um etwa 20 bis 30 Grad durchzustehen.
Auch eine gelinde Kursänderung in Berlin erfordert Mut und Umsicht. Die einschüchternde Rolle, die früher die Tscheka bzw. die GPU spielte, nehmen heute NGOs und Medien ein. Es wird die entscheidende Operation sein, sie zu neutralisieren. Ein Reformer müßte heutzutage nicht zu so drastischen Mitteln wie Nikita greifen, die modernen Methoden sind seit den 70ern halt andere. Man muß nur das tun, was SPD, Grüne und CDU drei Jahrzehnte lang praktiziert haben, mit umgekehrtem Vorzeichen. Es reicht, gleichmäßig zu besteuern, Privilegien und Subsidien zu entziehen.
Auch Eigentümerwechsel können Wunder wirken. Zuletzt las ich, daß die Passauer Neue Presse ihre sarmatische Polska Press an PKN Orlen verklingeln will. Polska Press ist eine der größten Mediengruppen in Polen. Ihr gehören zum Kaufzeitpunkt 20 von insgesamt 24 regionalen Tageszeitungen im Land, rund 120 Wochenblätter und 500 teilweise sehr reichweitenstarke Internetportale. Bereits 2015 hatte die Passauer Neue Presse ihre tschechischen Regionalzeitungen verkauft. Auch ein Weg, Meinungsmonopolisismus zu beenden.
Grüße an den V-Schutz: Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.