Wendehals Jens Spahn ist inzwischen dafür bekannt, dass er zuverlässig spätestens nach einigen Monaten das genaue Gegenteil dessen behauptet, was er damals gesagt oder versprochen hat. Selten trat die – je nach Milde des Betrachters – Inkonsequenz oder Verlogenheit dieses Gesundheitsministers schamloser zutage als bei seinem nunmehrigen Eintreten für eine Gesundheitsapartheid, die Geimpften Sonderrechte verspricht: Ende Dezember hatte Spahn eben diese ausgeschlossen. Was hat sich seitdem geändert?
Die Antwort liegt auf der Hand: Gar nichts. Die Debatte war damals schon so geisterhaft und falsch, wie sie es heute noch ist – und wie bereits im Oktober, kurz vor Anbahnung des angeblich nur 14-tägigen „Wellenbrecherlockdowns“ (der inzwischen fast ein halbes Jahr läuft): Damals wurde über eine hypothetische Nichtbeatmung als Strafe für Impfverweigerer bis hinauf zum Ethikrat diskutiert – und die Befürworter der Vorenthaltung von künstlicher Beatmung bemerkten nicht einmal ihre eigene Idiotie: Wieso nämlich sollten Geimpfte eigentlich noch beatmet werden, nach erfolgter Immunisierung?
Der damalige, eher theoretische Grundsatzstreit vergaß – neben solchen logischen Brüchen – noch einen anderen wesentlichen Aspekt: Um „Verweigerer“ zu strafen und den Impfwilligen Privilegien zu verschaffen, muss es erst einmal genug Impfstoff geben. Eine Wahl muss erst einmal getroffen werden können, ehe sich aus ihr dann Konsequenzen herleiten lassen. Davon kann nach wie vor – und, trotz vollmundiger Versprechen über „Impf-Angebote“ – überhaupt keine Rede sein. In diesem Kontext ist es nochmals notwendig daran zu erinnern: Deutschland hatte sich 100 Millionen Impfdosen des zuvor von ihm mit Steuergeldern geförderten Herstellers Biontech gesichert, auf persönliche Intervention von Angela Merkel jedoch 70 Millionen davon an andere Länder abgetreten – und die generelle Impfstoffbeschaffung der EU-Kommission übertragen, um bloß den Anschein von „Impf-Nationalismus“ zu vermeiden.
Für „Sonderrechte“ bräuchte es zuerst einmal das nötige Impfangebot
Diese Wahnsinnsentscheidung Merkels kostete nicht nur mutmaßlich zehntausende zu spät geimpfte Risikopatienten das Leben – sondern bescherte den Deutschen auch noch einen bis heute währenden Dauerlockdown, während die Durchimpfungsrate auf dem Niveau Schwarzafrikas dümpelt. Miserabler kann ein Land nicht mehr regiert werden. Schon wegen dieses Staatsversagens ist es eine dreiste Frechheit und blanker Kokolores, wenn sich Spahn nach seiner 180-Grad-Kehrtwende nunmehr für Sonderrechte ausspricht: Denn bis wirklich nur noch die in Deutschland ungeimpft sind, die es trotz reichlichen jederzeitigen Angebots so wollen, gehen noch viele Monate ins Land.
Wohl genau wegen dieser Erkenntnis hatte Spahn auch noch vor drei Monaten folgendes wörtlich geäußert: „Viele warten solidarisch, damit einige als Erste geimpft werden können. Und die Noch-Nicht-Geimpften erwarten umgekehrt, dass sich die Geimpften solidarisch gedulden„, so Spahn am 28. Dezember 2020, und weiter: „Keiner sollte Sonderrechte einfordern, bis alle die Chance zur Impfung hatten.“ Es sei diese gegenseitige Rücksicht, die die Nation zusammenhalte: „Gegen die Pandemie kämpfen wir gemeinsam – und wir werden sie nur gemeinsam überwinden.“
Heute erzählt uns diese Luftpumpe von Minister dann folgendes: „Komplett Geimpfte sollen wie Personen mit negativen Tests behandelt werden… Wer geimpft ist, kann ohne weiteren Test ins Geschäft oder zum Friseur.“ Was ist aus der „Solidarität“ geworden? Was Spahn hier propagiert, ist die faktische Ankündigung eines Impfzwangs, einer wirkidentischen Impfpflicht – weil der Politik ganz klar ist, dass die Vorenthaltung von Freizügigkeit und Teilhabe an Lebensbereichen vom Einkaufen bis zu Freizeitaktivitäten Nichtgeimpfte quasi nötigt, sich (womöglich gegen ihre Überzeugung und gegen jede medizinische Notwendigkeit) die Spritze geben zu lassen. Mit einem Rechtsstaat, der diese Bezeichnung verdient, ist eine derartige Erpressung schlichtweg nicht vereinbar. (DM)