Dass Merkel für vermeidbare Corona-Tote verantwortlich sei, an den “Tragödien” in den Altersheimen, und “an den seelischen Schäden, die Kinder und Jugendliche genommen haben“, wird von Kubicki scharf formuliert – und doch, so wundert sich die “Welt”, mündeten diese Vorwürfe zu keinem Zeitpunkt in Rücktrittsforderungen gegen Merkel. Kubicki windet sich in diesem Punkt heraus: Zumindest den Rücktritt Jens Spahns habe er im März gefordert. Ansonsten belässt er es jedoch in markigen Angriffen auf Merkel, ohne von ihr Konsequenzen zu fordern: Er schreibt von “kalter Undifferenziertheit” im Umgang mit Heimbewohnern und deren Angehörigen, von “Starrsinn” und Schwarzmalerei zulasten der jungen Generation”. In seinem Buch finden sich weitere Kanzlerinnenattribite wie “Planlosigkeit“, “Unfähigkeit“, “Dilettantismus” oder “Allgemeingefährdung“.
Starker Tobak, wenn auch viel zu spät
Und auch in der “Welt” sagt Kubicki – in erfreulicher Direktheit – dann solche bemerkenswerten (und wohl außerhalb der GroKo und ihrer Serviceopposition rundum konsensfähigen) Sätze: “Die Kanzlerin hat sich im Verlauf der Pandemie Dinge angemaßt, die ihr überhaupt nicht zustanden. Infektionsschutz ist hauptsächlich Ländersache beziehungsweise Sache der Kreise und kreisfreien Städte. Angela Merkel hat bei der Ministerpräsidentenkonferenz – in der sie eigentlich gar keinen Sitz hat – das Heft des Handelns immer wieder in die Hand genommen und ein Entscheidungsgremium geschaffen, das die Verfassung nicht vorsieht.”
Von der Vorenthaltung eines selektiven Risikogruppenschutzes zugunsten eines sinnlosen Komplettlockdowns über Masken- Testpflichtchaos bis zur verschleppten, an die EU delegierten Impfstoffbeschaffung hat Merkels Kabinett in dieser Krise fast alles falsch gemacht, was nur falsch zu machen war – und sie hat die deutsche Verfassung mit Füßen getreten. Der von ihr begründete Dauerzustand der pandemischen Lage hält weiter an und wird ihre Amtszeit absehbar überdauern. Kubicki distanziert sich zwar in seinem Buch und auch im Interview fast pausenlos von den “Querdenkern” – doch eigentlich hört er sich genauso an wie sie. Was ist schlimm daran, hier Gemeinsamkeiten einzuräumen, wenn die Sach- und Realkritik doch vollauf berechtigt ist? (DM)