Nehmt Abstand vom wankenden Koloß!

Ein isoliertes, international geächtetes Rußland, regiert von einem Autokraten, der ohne tiefere strategische Vorüberlegung zu den Waffen gegriffen hat und dem deshalb der baldige Sturz bevorsteht – das ist die große Rahmenerzählung, in der die Medien des Altparteiensystems von der Ukraine-Krise berichten. Doch darin steckt mehr Wunsch und Hoffnung als Wahrnehmung der Wirklichkeit.
Von Hans-Thomas Tillschneider
Daß China Rußland freie Hand in der Ukraine gelassen hat, ist allgemein bekannt. Damit wären schon zwei von fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates beisammen, wobei bekanntlich schon die Stimme nur eines ständigen Mitglieds für ein Veto gegen wirklich empfindliche Sanktionen ausreicht. Mit China steht Rußland zudem die Werkbank der Welt zur Seite, eine hochproduktive Industrienation, wohingegen die USA unter Deindustrialisierung und – damit zusammenhängend – einer parasitären, finanzkapitalistisch überdrehten Ausbeutungswirtschaft leiden (und die Welt mitleiden lassen wollen).
Das könnte ein Faktor sein, der erklärt, weshalb nun gerade in Schlüsselregionen für die Rohstoffversorgung sich abgesehen von den üblichen Kandidaten weitere Länder Rußland gegenüber neutral bis freundlich verhalten. So stehen im Nahen Osten nicht nur Iran, Syrien und im Libanon die Hisbollah Rußland bei, sondern, wie die Tagesschau selbst zähneknirschend berichtet, verhalten sich auch Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate eigentümlich neutral und vermeiden eine Verurteilung Rußlands (https://www.tagesschau.de/…/putin-potentaten-101.html).
Diese bisherigen US-Verbündeten haben den USA zwar noch nicht das Bündnis aufgekündigt, gehen aber auf Distanz. Sie ziehen gegen Rußland nicht auf Knopfdruck mit. Dieses Verhalten geht nicht nur auf ökonomische Faktoren zurück, sondern auch auf eine Ablehnung der von den USA propagierten Werte. Die arabischen Länder wollen sich keine ihnen zutiefst fremden Ausdeutungen von „Demokratie“ und „Menschenrechten“ aufzwingen lassen. Sie machen zunehmend die Erfahrung, daß, wer sich mit den USA einläßt, sich ihren gesellschaftspolitischen Vorstellungen fügen muß. Der Preis für Handel und militärische Kooperation mit den USA besteht darin, deren hochgradige Dekadenz in die eigenen Gesellschaften einsickern lassen zu müssen. Dazu sind immer weniger Länder bereit. Rußland dagegen enthält sich anders als früher die UdSSR konsequent jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten seiner Partner, versucht nicht, ihnen die eigenen gesellschaftlichen Vorstellungen aufzuzwingen, und akzeptiert im Sinne einer multipolaren Weltordnung deren kulturelle Eigenheiten. Hier baut sich gerade ein gewaltiges Widerstandspotential gegen den Globalismus auf, und hier ist deshalb die Stelle, an der jede echte Globalisierungskritik, auch und gerade die von rechts, anknüpfen sollte.
In Südamerika das gleiche Bild. Nicht nur wie üblich Kuba und Venezuela stehen Rußland bei, auch Brasilien verhält sich neutral (https://www.sueddeutsche.de/…/ukraine-krieg-wladimir…). Im übrigen gibt der Vorhof der USA ein ziemlich uneinheitliches Bild ab (https://www.dw.com/…/putins…/a-60998571). Auch Indien nimmt, wie die Tagesschau schreibt, „Rücksicht auf Rußland“ (https://www.tagesschau.de/…/indien-krieg-russland…). In Treue fest zu den USA in ihrem Kurs gegen Rußland stehen nur noch Japan und die EU, wobei innerhalb der EU einzelne Stimmen, allen voran Ungarn, zu einer differenzierten Sicht in der Lage sind (https://www.cicero.de/…/interview-ungarn-viktor-orban…).
Angesichts dieser Verhältnisse ist es keinesfalls ausgemacht, daß Rußland aus der Ukraine-Krise geschwächt hervorgeht. Das wird in den Medien der Altparteien mit zunehmender Penetranz als Gewißheit gepredigt, wobei aber nur der Eindruck zurückbleibt, daß etwas, was so sehr als Gewißheit gepredigt werden muß, wohl alles andere als gewiß sein dürfte. Ich halte das Gegenteil für wahrscheinlich: Die USA begeben sich mehr und mehr in internationale Isolation. Mehr und mehr Länder erkennen, daß die ökonomische Zusammenarbeit mit den USA vor allem den USA Vorteile verschafft, weniger den jeweiligen Partnern. Wir, die wir dank der Fehlentscheidung unserer Regierung demnächst anstatt des umweltfreundlichen und günstigen Erdgases aus Rußland überteuertes und schädliches Fracking-Gas aus den USA importieren dürfen, werden davon ein Liedchen singen können. Ein weiteres Beispiel wären die 100 Milliarden für die Bundeswehr, die eigentlich 100 Milliarden für die US-Rüstungskonzerne sind, denn nach allem, was bisher zu hören war, soll damit vor allem Waffenschrott aus dem USA bestellt werden.
Und abgesehen von den wirtschaftlichen Nachteilen haben die USA mit Multikulti, Gender und Black Lives Matter kulturell und gesellschaftlich nicht nur nichts zu bieten, was ein vernünftiger Mensch auf sein Land übertragen haben wollte – sie bieten gerade mit ihrem aktuellen Präsidenten ein Schreckbild kultureller Dekadenz. Jedes andere Land der Welt ist gut beraten, sich dagegen so weit wie möglich abzuschotten.
So wird immer deutlicher, daß wir es bei den USA mit einem sterbenden System zu tun haben, einem wankenden Koloß, der sicherlich nicht so sauber in sich zusammenfällt wie die Twin Towers, sondern in seinem Fall viel mitreißen und zerstören wird. Karlheinz Weißmann soll die USA einmal als „sanften Hegemon“ beschrieben haben. Mich treibt nicht die geringste Neugier, den Text zu lesen, in dem das steht, weil, wer in den USA einen „sanften Hegemon“ sieht, dermaßen verblendet sein muß, daß er zu keiner politischen Erkenntnis von auch nur minderem Wert fähig sein dürfte. Die USA sind kein sanfter, sondern ein sterbender und auf seine alten Tage zunehmend aggressiver Hegemon.
Angesichts dessen verhält sich kaum eine Regierung törichter als unsere Bundesregierung, die glaubt, sich gerade jetzt enger als je zuvor an den sterbenden Riesen klammern zu müssen, anstatt so schnell wie möglich auf Abstand zu gehen. Bei einer Bundesregierung, an der SPD und Grüne beteiligt sind, verwundert das nicht. Daß nun aber Teile der AfD sich davon kaum unterscheiden, Kanzler Scholz am liebsten Beifall spenden würden und das Hohelied des transatlantischen Bündnisses singen, bedarf der Erklärung.
Dieses Verhalten liegt so sehr nicht in deutschem Interesse, daß es sich bei einer Partei, die als einzige noch deutsche Interessen verteidigen will, nur als irrationale Regung interpretieren läßt, als Ausdruck einer Sehnsucht zurück in die BRD vor der Wiedervereinigung, als die USA der Freund waren, Rußland der Feind und jeder, der diese Setzung mitgemacht hat, große Freiheiten genießen konnte. Das galt vor allem für allerlei Altrechte, die während des Kalten Krieges Gewähr boten, im Falle einer Konfrontation mit der UdSSR gegen die – aus Sicht der USA – Richtigen vorzugehen. Beispielhaft für diese Liäson steht Reinhard Gehlen, der Generalmajor der Wehrmacht, der nach dem Krieg unter US-Führung den BND aufbauen durfte. Hier führen starke Traditionslinie bis in die letzten Monate des Dritten Reiches, als Teile der NS-Regierung davon phantasierten, nach einem Separatfrieden mit den Westmächten vereint mit den USA gegen Rußland vorzugehen.
Die USA wiederum haben diesen Faden nur zu gerne aufgenommen, ebenso wie jetzt in der Ukraine im vollen historischen Sinn des Begriffs faschistische Hypernationalisten gerne gesehene Partner sind, solange sie gegen die – aus Sicht der USA – Richtigen vorgehen. Eine Parallele übrigens auch zum Fall der sog. Wehrsportgruppe Hoffmann, die Teil der Gladio-Strukturen gewesen sein soll – eine NATO-Geheimarmee, die den Auftrag hatte, im Fall eines sowjetischen Vorstoßes hinter der Frontlinie Sabotageakte zu begehen.
Dergleichen könnte man getrost als Schaustück in ein historisches Kuriositätenkabinett einsortieren, gäbe es nicht Kräfte, die aktuell Anschluß an solche verfaulten Traditionen gewinnen wollen. So hat Karlheinz Weißmann sich in einem Text, der meine freundliche Haltung zu Rußland diskreditieren sollte, allen Ernstes auf Hans-Ulrich Rudel berufen, der die Russen als „Barbaren mit Pferdemägen“ beschrieben hat (https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2022/286113/). Hier hoffen einige wohl, wenn sie sich brav dem geopolitischen Spiel der USA fügen, wieder ein wenig der Lehre vom russischen Untermenschentum frönen zu dürfen.
In den altrechten Stars-and-Stripes-Mief Westdeutschlands führt aber kein Weg zurück, weil die USA eine selbstbewußte deutsche Haltung nur dem halben, aber niemals dem ganzen Deutschland zugestehen konnten. Nach der Wiedervereinigung wurde deshalb auch schnell die Agenda gewechselt und fortan die antideutsche Gesinnung innerhalb aller linken Parteien und Strömungen auch von den US-Diensten massiv gefördert. Waren vorher die Kommunisten die Erzteufel, die mit maximaler Härte ausgegrenzt werden mußten, so sind es seit der Wiedervereinigung die Patrioten. Abgesehen davon würde sich ein Zurück auch gar nicht lohnen, weil diese Haltung dem deutschen Interesse im Hier und Jetzt nicht gerecht wird.
Deutschlands Interesse als einem rohstoffarmen Land mit energieintensiver Industrie besteht in erster Linie darin, mit billiger Energie beliefert zu werden. Als eine Macht in der Mitte Europas haben wir ein Interesse, mit unseren östlichen und westlichen Nachbarn in friedlichem Ausgleich zu leben. Kulturell benötigen wir einen Rahmen, in dem wir unsere deutsche Eigenart frei entfalten und zeitgemäß entwickeln können. Zusammen mit den USA ist nichts davon möglich. Was die USA angeht, so haben wir in erster Linie ein Interesse, in Frieden gelassen zu werden – und auch das können wir, seitdem Trump nicht mehr Präsident ist, wohl nur mit Rußland durchsetzen. Binden wir uns dagegen einseitig an die USA, werden wir völlig deindustrialisiert, ausgemergelt und verarmt in einer hysterischen Klima- und Genderdiktatur enden, ein nützlicher Idiot von Staat, dessen Volk sich mit perversen Parolen aus dem Arsenal neulinker Pseudomoral in jede beliebige Richtung hetzen läßt.

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