Russland-Sanktionen: Die EU spuckt große Töne – und schneidet sich ins eigene Fleisch



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Gasboykott mit reziproker Wirkung (Symbolbild:Imago)

Die Abwegigkeit der grundfalschen Annahme einer Kausalkette, wonach die Nichtabnahme von russischem Gas durch den Westen Putin zum Einlenken zwinge, indem die russischen Devisen gemindert und damit die Staatseinnahmen die Finanzierung des Angriffskrieges in der Ukraine vereitelt würden, wurde diese Woche prachtvoll unter Beweis gestellt – als nämlich Russland ersten osteuropäischen EU-Ländern, die die geforderte Verrechnung in Rubel verweigerten, den Gashahn abdrehte. Tatsächlich ist nämlich nicht Russland auf unser Geld angewiesen, sondern wir auf Russlands Gas – und letzteres kann problemlos auch anderswohin verkauft werden.

Eben diese einseitige Abhängigkeit dämmert inzwischen auch der EU. Während das Europäische Parlament Anfang des Monats noch lautstark ein komplettes Embargo gegen Einfuhren von Öl, Kohle, Kernbrennstoff und Gas aus Russland gefordert hatte, musste der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell diese Woche bereits kleinlaut zurückrudern – weil es für diese Position unter den EU-Mitgliedsstaaten keine Mehrheit mehr gibt: Einige Mitgliedstaaten hätten sehr deutlich gemacht, dass sie ein Embargo oder einen Strafzoll auf russisches Öl oder Gas nicht unterstützen würden, klagte Borrell. Das bedeute, „dass wir in der EU noch nicht die Einstimmigkeit haben, um ein Embargo oder einen Zoll zu diesem Zeitpunkt zu beschließen.“ Ein endgültiger Vorschlag über ein Embargo auf Öl und Gas sei „deshalb momentan noch nicht auf dem Tisch.“ Damit sind die vollmundigen Versprechungen Robert Habeck und Annalena Baerbocks über einen konzertierten Ausstieg aus russischen fossilen Energielieferungen bis Jahresende ebenfalls fraglich.

Bloße Durchhalteparolen

Die nach den in dieser Woche von Russland gestoppten Gaslieferungen an Polen und Bulgarien von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geäußerten Beteuerungen, man sei auf dieses Szenario vorbereitet und hätte in Brüssel „entsprechende Notfallpläne”, erweisen sich zunehmend als bloße Durchhalteparolen. Tatsächlich nämlich mehren sich innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten die Sorgen wegen weiterer möglicher Lieferstopps von russischem Gas. Die, die eigentlich das „scharfe Schwert der Sanktionen“ heldenmutig schwingen wollten, müssen kleinlaut erkennen, dass sie selbst wie Junkies am Tropf der bösen Russen hängen. Vor allem, dass der Kreml mit seiner Einstellung der Belieferung wegen der Rubel-Zahlungskondition nun ernst macht, obwohl diese in der westlichen Berichterstattung  anfänglich vielfach als „Bluff” abgetan wurde (auch Bundeskanzler Olaf Scholz und andere hochrangige Politiker hatten dem Erlass zunächst kaum Bedeutung beigemessen), hat sorgt in der EU für Nervosität und hat den Ernst der Lage verdeutlicht.

Während mehrerer Treffen der EU-Staaten in Brüssel hatten sich die Regierende eingeredet, dass Putins in seiner Tragweite sträflich unterschätzter Zahlungserlass keine Auswirkungen auf das EU-Sanktionsregime hätte. Erst nach zwei Wochen habe man dann realisiert, dass die Rubelforderung die EU zum Unterlaufen ihrer eigenen Sanktionspläne zwingen könne – sogar wie Ditte Juul-Jörgensen, Chefin der Energieabteilung der EU-Kommission, vor Vertretern der Mitgliedsstaaten verlegen einräumen musste.

Risiken nur bei Europa, nicht Russland

Mit reichlich Verspätung also dämmerte den Brüsseler Diplomaten, dass die von Putin verlangten Rubelzahlungen die EU-Gaskunden in Wahrheit zur Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen und Banken in Russland zwingt, die von den EU-Sanktionen betroffen sind. Damit sei auch für bereits bestehende Verträge ein völlig neuer Rechtsrahmen geschaffen worden, der Staaten und Unternehmen der EU in die paradoxe Lage bringe, gegen die Sanktionen der EU zwingend verstoßen zu müssen.

Aus einem EU-Papier von bereits Anfang April geht hervor, dass, wer weiterhin russisches Gas beziehen will, notgedrungen die Gazprom-Bank beauftragen muss, die Devisenzahlungen an der Moskauer Börse gegen Rubel zu verkaufen. Diese Rubelbeträge werden dann auf das entsprechende Kundenkonto bei der Gazprom-Bank verbucht und danach an die Gazprom überwiesen. Erst danach gelten die Lieferungen als bezahlt. Die Verhängung von Lieferstopps zu Durchsetzung dieses Prozedere war auf EU-Ebene und auch in den Mitgliedsstaaten anscheinend nicht im Entferntesten für möglich gehalten worden.

Todesstoß für geplante EU-Gaseinkaufsplattform

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Gasboykott mit reziproker Wirkung (Symbolbild:Imago)

Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass das Währungsrisiko nun bei den europäischen Beziehern von russischem Gas liegt: Wenn sich nämlich die Währungskurse während des mehrstufigen Umtauschprozesses, während dem die russische Zentralbank die Wechselkurse festlegt, zuungunsten der Käufer verändern, dann müssen diese die Differenz begleichen. Zudem hat Gazprom angekündigt, dass man die Weitergabe von russischem Gas an andere Konsumenten als Vertragsverletzung ansehe, die einen Lieferstopp nach sich ziehen könne. Dies könnte auch der Todesstoß für die geplante EU-Gaseinkaufsplattform sein, mittels der man auf dem Weltmarkt gemeinsam auftreten wollte.

Das vollmundige EU-Geschwätz über ein Gasembargo wird – ebenso wie die bereits verhängten Sanktionen – den EU-Staaten weitaus größeren Schaden zufügen als Russland. Dies macht sich auch im Währungskurs bemerkbar: Der Euro fiel infolge des russischen Lieferstopps um 0,22 Prozent auf 1,0613 US-Dollar, und damit auf den tiefsten Stand seit fünf Jahren. Laut Finanzexperten droht sogar ein Sturz des Euro unter den Wert des US-Dollar. Hingegen stieg der Europäische Energie-Future um bis zu 20.2 Prozent auf 118 Euro je Megawattstunde an; und auch der Erdölpreis zog an: Das Nordseeöl Brent verteuerte sich, ebenso wie das US-Öl WTI, um bis zu 1,3 Prozent, beide Sorten wurden mit 106,33 beziehungsweise 102,99 US-Dollar je Barrel (159 Liter) notiert. Fazit: Die EU und ihre Regierungschefs wurden de facto von Putin vorgeführt, und stehen nun als Maulhelden da, die sich selbst gewaltigen Schaden zufügen.

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