900 Jahre Thüringer Glasindustrie… und dann kam Habeck

Wenn in Berlin über ein Embargo für russisches Gas und Öl entschieden wird, verliert die Politik auf unverantwortliche Weise den Blick auf den Osten der Republik, der schon aus geographischen Gründen in stärkerer Abhängigkeit zu Energieträgern aus Rußland steht. Die geplanten Flüssiggas-Terminals für das umweltschädliche Fracking-Gas aus den USA und Katar werden im Westen stehen, während die östlichen Bundesländer weiterhin von der in Lubmin endenden Nord-Stream-Pipeline versorgt werden.

Ein Facebookbeitrag von Björn Höcke

Aktuell wurden die Lieferungen durch Gazprom um 40 Prozent zurückgefahren, als Grund werden Reparaturarbeiten angegeben. Es ist ein Vorgeschmack darauf, was bei einer vollständigen Einstellung der Gaslieferungen drohen würde – ein Zufall?

Vor diesem Hintergrund nimmt sich die Reaktion von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf die Forderungen nach Wirtschaftshilfen für die Industrie u.a. in Thüringen unverschämt und zynisch aus: Der Bund sei nicht für entgangene Gewinne zuständig, sondern könne lediglich den noch wettbewerbsfähigen Unternehmen unter die Arme greifen. Der Wirtschaftsminister stimmte die betroffene Industrie auf »Härten« ein – und das trotz der Kriegsrhetorik der Ampelkoalition und der langfristig in den Sand gesetzten Energiewende. Verantwortung für die Konsequenzen weist er weit von sich.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte diese Rhetorik noch vor ein paar Wochen in einem Interview übernommen – bis ihm der kalte Wind des Protestes der Thüringer Glasindustrie ins Gesicht blies. Dann hoffte auch er auf Habeck, wurde aber mit Phrasen abgespeist. Auf der Ostseeinsel Riems rangen die Ost-Ministerpräsidenten nun um eine Lösung: Fallen Öl und Gas aus Rußland weg, muß beides teuer auf dem Weltmarkt eingekauft werden, in Thüringen werden das vor allem die Bewohner der ländlichen Regionen auf ihren langen Arbeitswegen finanziell zu spüren bekommen – und die Glasindustrie ringt noch immer um ihre Existenz.

Thüringer Glas hat eine lange Tradition, schon im 12. Jahrhundert wurden im Thüringer Wald Buntglasscheiben und Arzneimittelfläschchen für Klöster gefertigt. Die Rennsteigregion bot mit ihren Wasserläufen und den eisenhaltigen Böden ideale Herstellungsbedingungen. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert wird Thüringer Glas nicht nur deutschlandweit, sondern in der ganzen Welt als Kunsthandwerk und Gebrauchsglas vertrieben – etwa die Hälfte des in Deutschland hergestellten Glases kommt aus unserem Bundesland. Und nun soll diese Traditionsindustrie vor dem Aus stehen, weil die Gasversorgung für den Herstellungsprozess nicht gesichert ist?

Ein Glaswerk kann man nicht einfach herunterfahren und warten, bis die Lage sich bessert. Die Abkühlung der Anlagen führt fast unweigerlich zu einer Schädigung der Schmelzwannen. Diese Wannen kosten nicht nur mehrere Millionen Euro, sondern werden europaweit nur von wenigen Betrieben gefertigt. Die Thüringer Glasindustrie im Stich zu lassen, bedeutet nicht nur den Verlust von 7000 Arbeitsplätzen, sondern schädigt auch die von der Produktion abhängigen mittelständischen Unternehmen deutschlandweit: Etwa die Hälfte des in Deutschland hergestellten Glases kommt aus der Region – und schon jetzt klagen Winzer und Brauereien in Rheinland-Pfalz und Bayern über einen Mangel an Glasflaschen. Ein Industriezweig geht nicht allein zugrunde – er zieht auch die mit ihm vernetzten Unternehmen mit sich.

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