Foto: Land NRW / Ralph Sondermann
Foto: Land NRW / Ralph Sondermann

Beschwerde gegen geplante „Meldestellen“ in NRW eingereicht

Im grün-geführten NRW-Familienministerium sollen Meldestellen eingerichtet werden, mit denen „insbesondere auch Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze, die nicht in den Polizeistatistiken erfasst werden“ registriert werden. Torsten Küllig von den Freien Wählern Dresden legt Beschwerde wegen Verstößen gegen die EU-Datenschutz-Grundverordnung ein. Jouwatch dokumentiert das Schreiben.

Sehr geehrte Frau Gayk,

laut BILD-Artikel vom 15.7.2022 plant das Integrationsministerium Nordrhein-Westfalens die Einrichtung von Meldestellen für queerfeindliche und rassistische Vorfälle. Es sollen dabei auch Vorfälle erfasst werden, die „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ liegen (siehe Anlage 1). Aus meiner Sicht verstößt diese administrative Maßnahme auf mehreren Ebenen gegen die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO).

Grundsätzlich werden durch die DS-GVO Behörden und Private zu folgenden 5 Datenschutzprinzipien verpflichtet:

  • Rechtmäßigkeit: Jede Datenverarbeitung bedarf einer gesetzlichen Erlaubnis.
  • Datensparsamkeit: Jede Datenverarbeitung muss dem Zweck angemessen
    sein.
  • Zweckbindung: Jede Datenverarbeitung darf nur zu legitimen Zwecken
    erfolgen.
  • Datensicherheit: Der Schutz vor Datenmissbrauch muss gewährleistet sein.
  • Transparenz: Jede Datenverarbeitung muss nachvollziehbar sein.

Das Konzept von Datenvermeidung und Datensparsamkeit steht in engem Zusammenhang mit dem traditionellen datenschutzrechtlichen Grundsatz, dass nur diejenigen personenbezogenen Daten verarbeitet werden dürfen, die für die Erfüllung der jeweiligen Aufgabe benötigt werden (Erforderlichkeit). Es bedarf also einer Rechtsgrundlage, idealerweise eines Parlamentsgesetzes, die eine Behörde dazu ermächtigt, Daten von Bürgern zu erfassen. Insbesondere im Hinblick auf die nicht konkret gefassten Kriterien zur Einordnung der Speicherungswürdigkeit bei Vorfällen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sich Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung systematisch, wenn nicht sogar institutionell etabliert werden könnten. Auch wenn das Ministerium ihre Initiative damit begründet, es diene der Dunkelfeldanalyse, so ist nicht auszuschließen, dass personenbezogene Daten widerrechtlich gespeichert werden.

Insofern ist fraglich, ob für die Erfassung derlei nicht strafrechtlich relevanter Daten nach Artikel 6 Absatz 1 DSGVO, der die Grundlage für eine rechtmäßige Speicherung von personenbezogenen Daten bildet, überhaupt erfüllt ist, da der Artikel 23 DS-GVO (Beschränkungen) nicht zum Tragen kommt. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese Datenerhebung von nichtbehördlichen Dienstleistern [Verbund der sozial-kulturellen Migrantenvereine Dortmund (VMDO) e.V., dem Landesverband der Netzwerke von Migrant*innenorganisationen NRW (LV NeMO e.V.), dem Anti-Rassismus Informationszentrum (ARIC e.V.), dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) sowie dem Verein kamerunischer Ingenieure und Informatiker (VKII Ruhrbezirk e.V.)] erbracht werden soll, erwächst daraus eine besondere Zuständigkeit ihrer Behörde, bei der Überwachung des Artikel 5 Absatz 1 a bis f. Im vorliegenden Fall scheint insbesondere ein Verstoß gegen die Art. 5 Abs. 1 c vorzuliegen. Auch ist zu befürchten, dass die mit der Speicherung und Auswertung der personenbezogenen Daten vertrauten privaten Dritten nicht über die erforderliche Schutzbedarfe ihrer Datenverarbeitungstechnik gemäß Art. 5 Abs. 1 f verfügen.

Gerade an die Technik der Datenverarbeitungssysteme sind hohe Anforderungen gestellt, die private Dritte häufig nicht in der geforderten Komplexität nachkommen können, denn im Sinne der Verordnung erfordert die Sicherstellung von Integrität zusätzlich die Richtigkeit von personenbezogenen Daten, sowie die Erkennung von Modifikationen. Die Integrität umfasst sowohl die Korrektheit der Daten an sich (Datenintegrität) als auch die korrekte Funktionsweise des Systems (Systemintegrität). Die Integrität von Systemen und Diensten erfordert ihre Absicherung gegen Manipulationen. Dies umfasst u.a.

  • die Wahrung der referentiellen Integrität in Datenbanken,
  • die Protokollierung von Änderungen,
  • das Durchführen von Plausibilitätsprüfungen,
  • die Verhinderung der Eingabe ungültiger Werte,
  • die ungewollte Löschung, Überschreibung oder Änderung von Daten.

Es ist sicherzustellen, dass Programme und Daten „nicht verfälscht und/oder falsche Daten nicht verarbeitet werden, damit sie (nicht unbemerkt) fehlerhafte Ergebnisse erzeugen oder Funktionen ausführen, die nicht erwünscht sind.“ Datenintegrität soll durch geeignete Schutzmaßnahmen sicherstellen, dass jederzeit ein übermittelter Datenstrom rekonstruiert werden kann. Auf diese Weise wird sichergestellt, ob und wie Daten eventuell manipuliert worden sind.

Insofern bitte ich um Mitteilung, wie diese technischen Voraussetzungen bei den mit der Speicherung vertrauten Akteuren (siehe Anlage 2) gemäß den Anforderungen der DS-GVO umgesetzt werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in der Pressemitteilung davon speziellen Datenbanksystemen Bezug genommen wird, in denen die gemeldeten Diskriminierungsfälle erfasst, analysiert und dokumentiert werden.

Bitte um ausführlichen und einzelnen Nachweis aller unter Anlage 2 aufgeführten Vereine. Insbesondere wäre für diese Vereine und den 42 Beratungsstellen jeweils einzeln zu prüfen, ob ein Datenschutzbeauftragter benannt worden ist und ob er über die entsprechende Qualifikation verfügt. Auch richtet sich die datenschutzrechtliche Einordnung nachfolgenden Kriterien, die bitte auch jeweils einzeln durch die durch das Ministerium mit der Erfassungsaufgabe betrauten Vereine (Anlage 2) und die daran 42 angegliederten 42 Beratungsstellen beantwortet werden sollten.

  • Wie viele Mitarbeiter hat der Verein?
  • Erhebt, übermittelt oder verarbeitet der Verein umfangreich (mehr als 5000
    Verarbeitungen) personenbezogene Daten? Vermutlich ja
  • Verarbeitet der Verein besonders sensible Daten? Vermutlich alle
  • Führt der Verein aktuell ein Verarbeitungsverzeichnis (nicht älter als 3 Monate)?
  • Liegt eine Dokumentation der technisch-organisatorischen Maßnahmen
    (TOMs) vor?
  • Entspricht die Website des Vereins den aktuellen DS-GVO Anforderungen?
  • Hat der Verein Abläufe zur Erfüllung der Betroffenenrechte (Recht auf Auskunft,
    Löschung etc.) im Zusammenhang mit der ihm übertragenen Aufgabe definiert?
  • Hat der Verein seine Mitarbeiter im Hinblick auf die DS-GVO sensibilisiert und
    zur Geheimhaltung von Daten entsprechend verpflichtet?
  • Wie ist gewährleistet, dass der Verein seiner Informationspflicht gegenüber den
    betroffenen Personen nach Art. 13 und 14 DS-GVO nachkommt?

Auch stellt sich die Frage wie Art. 17 DSGVO Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“) im vorliegenden Fall durch die mit der Speicherung beauftragten Vereine ordnungsgemäß gewährleistet und umgesetzt wird.

Abschließend sei insbesondere auf Artikel 9 Abs. 1 DS-GVO hingewiesen. Dort wird explizit die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen hervorgehen, Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person untersagt.

Die seitens des Ministeriums gewünschte Dunkelfeldanalyse zielt aber genau darauf ab, dass offensichtlich kritische aber keinesfalls strafrechtlich relevante Meinungsäußerungen hinsichtlich der sexuellen Orientierung der Betroffenen erfasst und statistisch ausgewertet werden sollen. Dies ist eindeutig nicht rechtskonform im Sinne des Artikel 9 Abs. 1 DS-GVO insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese Erhebung von personenbezogenen Daten durch nicht beliehene private Dritte erfolgt.

Ich bitte Sie die notwendigen Schritte gegenüber den von mir aufgeführten Vereinen und dem Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration einzuleiten und meine Bedenken auch den Bundesdatenschutzbeauftragten zu übermitteln, da zu befürchten ist, dass die Meldestellen auch personenbezogene Daten außerhalb des Einzugsgebietes des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen erheben werden.


Anlage 1 (1. Juli 2022)

Aufbau von vier Meldestellen zu queerfeindlichen und rassistischen Vorfällen gestartet

Ministerin Paul: Können künftig wichtige Schlüsse für Interventions- und Präventionsarbeit ziehen / Auch Dokumentation von Fällen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze

Die Landesregierung setzt sich konsequent gegen Antisemitismus und jede Form von Diskriminierung, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Hass ein. Aus diesem Grund richtet das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen ein bundesweit einzigartiges Netz in Form mehrerer Meldestellen ein, die Vorfälle auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erfassen, analysieren und dokumentieren. Neben der bereits gestarteten Meldestelle Antisemitismus hat nun der Aufbau von vier weiteren Meldestellen begonnen. Sie nehmen folgende Themen in den Blick: 1. Queerfeindlichkeit, 2. antimuslimischer Rassismus, 3. Antiziganismus sowie 4. anti-Schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus.

Die Träger wurden im Rahmen eines landesweiten Interessenbekundungsverfahrens ausgewählt. Die Konzeption der Meldestelle Queerfeindlichkeit erfolgt durch das Queere Netzwerk NRW e.V. in Kooperation mit rubicon e.V., dem Lesben- und Schwulenverband NRW (LSVD NRW e.V.), der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in Nordrhein- Westfalen e.V. (LAG Lesben in NRW e.V.) sowie dem Verein Geschlechtliche Vielfalt Trans* NRW e.V. (NGVT*).

Der Aufbau der Meldestelle für antimuslimischen Rassismus wird in einem Trägerverbund der Vereine Interkultur e.V. und Coach e.V. erfolgen. Dabei wird dieser Verbund wissenschaftlich durch Prof. Dr. Kemal Bozay von der IUBH Internationale Hochschule in Düsseldorf unterstützt.

Für den Bereich Antiziganismus wird der Verein PLANB Ruhr e.V. die Aufbauarbeiten der Meldestelle verantworten. Wissenschaftlich unterstützt wird der Verein dabei durch Dr. Markus End, der unter anderem Mitglied in der von der Bundesregierung berufenen „Unabhängigen Kommission Antiziganismus“ war.

Die Federführung für den Aufbau der Meldestelle anti-Schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus übernimmt der Verbund der sozial-kulturellen Migrantenvereine Dortmund (VMDO) e.V. Er kooperiert dabei mit dem Landesverband der Netzwerke von Migrant*innenorganisationen NRW (LV NeMO e.V.), dem Anti- Rassismus Informationszentrum (ARIC e.V.), dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) sowie dem Verein kamerunischer Ingenieure und Informatiker (VKII Ruhrbezirk e.V.).

„Wir haben uns für die neue Legislaturperiode viel vorgenommen, um den Abbau von Diskriminierung in unserer Gesellschaft weiter voranzutreiben. Der Aufbau der Meldestellen ist dabei ein erster wichtiger Schritt. Mit diesem bundesweit einzigartigen System von Meldestellen wollen wir insbesondere auch die Diskriminierungsvorfälle registrieren, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen und deswegen nicht in den polizeilichen Statistiken erfasst werden. Damit bekommen wir ein noch umfassenderes Bild und können wichtige Schlüsse für Intervention und Prävention ziehen. Ich freue mich, dass wir für die vier weiteren Meldestellen erfahrene und gut vernetze Träger gefunden haben, die sich jetzt um den Aufbau der Einrichtungen kümmern,“ erklärte Ministerin Josefine Paul.

Die Träger werden beim Aufbau der Meldestellen von einer professionellen Prozess- und Organisationsbegleitung unterstützt. Neben einem engen Austausch mit den jeweiligen Gemeinden und Communities wird auch an einem abgestimmten Datenbanksystem gearbeitet, in dem die gemeldeten Diskriminierungsfälle erfasst, analysiert und dokumentiert werden. Die Landesregierung stellt für den Aufbau der vier Meldestellen jeweils 140.000 Euro zur Verfügung. Es ist geplant, dass die Meldestellen Mitte 2023 ihre Arbeit aufnehmen.

Mit dem bundesweit einzigartigen System soll es für Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit eine niedrigschwellige Möglichkeit zur Meldung von Vorfällen geben und Diskriminierung sichtbarer gemacht werden. Jährliche Berichte sollen die Grundlage bilden für Forschung sowie Interventions- und Präventionsmaßnahmen. Durch die Meldestellen werden die bisherigen Angebote, u.a. die der 42 Beratungsstellen für insbesondere von rassistischer Diskriminierung Betroffene in Nordrhein-Westfalen ergänzt. Daneben wird die neue Landesregierung unter anderem eine Landesantidiskriminierungsstelle aufbauen und ein Landesantidiskriminierungsgesetz erarbeiten.

 

Das Schreiben wurde auf der dieser Seite vorher veröffentlicht.

 

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