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Nord-Stream-Anschlag: Meinung eines Tauch-Experten

Die mittlerweile vier Beschädigungen an den Nord-Stream-Pipelines zeigen uns Europäern, wie verletzlich die Infrastruktur unserer Länder ist – und zudem, wie es um die Souveränität der Bundesrepublik tatsächlich bestellt ist. Mittlerweile sind sich die meisten Akteure jedenfalls darin einig, dass es sich nur um Sabotage handeln kann. Die alles bestimmende Frage ist nun: Wer war es? Und natürlich: Wie konnte eine solche Sabotage technisch bewerkstelligt werden?

Ein Beitrag von EinProzent

Wir haben einen erfahrenen ehemaligen Taucher der Bundesmarine befragt, wie ein solcher Anschlag in über 70 Metern Tiefe eigentlich möglich ist und was es dazu braucht.

„Man braucht nur fünf Kilo Sprengstoff“

„Ein Prozent“: Welche Möglichkeiten gibt es, so einen Sabotageakt in 70 Metern Tiefe durchzuführen? Hat jeder die Möglichkeit, das zu tun?

Meiner Meinung nach würden nur zwei Szenarien Sinn ergeben: der Einsatz von Tauchern und der Einsatz von Unterwasser-Drohnen, sogenannten Autonomous underwater vehicles (AUV).

Ein Einsatz von Tauchern wäre von einem Schlauchboot oder einem kleinen Kutter möglich. Die Einsatzstelle wird über Wasser mittels GPS geortet und durch ein Grundgewicht mit Leine markiert. Die Taucher tauchen ab, befestigen die Ladung an der Pipeline und tauchen wieder auf. Da sich die Einsatzstelle in größerer Tiefe befindet, ergibt der Einsatz von Kreislaufgeräten Sinn; da diese mit einem Gasgemisch „betaucht“ werden, können sie längere Grundzeiten und kürzere Dekompressionszeiten ermöglichen.

Über solches Equipment verfügen Russland sowie ein Großteil aller NATO-Staaten. Die deutsche Bundesmarine „betaucht“ ihr Tauchgerät bis zu einer maximalen Einsatztiefe von nur 54 Metern. Aber auch im zivilen Bereich sind solche Gerätschaften zu erwerben.

Ein AUV-Einsatz ist ebenfalls von Schlauchbooten bzw. kleinen Kuttern möglich. Ferngesteuert bedient, taucht man das Objekt an, klinkt Sprengladung aus auch taucht wieder auf. Diese Vorgehensweise birgt aber die unwahrscheinliche Gefahr eines technischen Defektes am AUV, das Spuren hinterlassen könnte.

[Hier finden sich beispielhafte berichte zu AUV: Bericht 1 und Bericht 2]

Heißt das, dass ein Angriff von „Ökoterroristen“ ausgeschlossen werden kann?

Der Erfahrung nach sind einfache zivile Kräfte nicht in der Lage, solche Aktionen durchzuführen. Die Verbringungsart ist sicherlich vorhanden, aber es fehlt an der doch recht speziellen Zündvorrichtung und der Hauptladung.

Zwar wird der europäische Schwarzmarkt jetzt durch die massenhaften Waffenlieferungen an die Ukraine mit zum Teil schwerem Kriegsgerät überschwemmt, und es ist so möglich, diese auch zu erwerben, allerdings beschränken sich die Waffenlieferungen auf den terrestrischen Raum, das Land.

Als Auslösevorrichtung wird hier wahrscheinlich eine Unterwasserfernübertragung mittels Ultraschalls benutzt. Alles sehr spezielle Technologien, die nicht einfach überall erhältlich sind.

Anders als in manchen Medienberichten beschrieben, glaube ich nicht, dass eine größere Sprengstoffmenge notwendig war. Den jetzt beschrieben Schaden kann man auch mit einer Sprengladung von fünf Kilogramm erzeugen. Hierfür bedarf es einer kleinen gesprengten Öffnung und den Rest übernimmt dann der Druck in der Leitung. Also sehr deutlich gesagt: Kleinere Mengen Sprengstoff (Stichwort „Hohlladungen“) genügen für einen solchen Schaden. Es deutet alles darauf hin, dass es sich hier um ein militärisches Unternehmen gehandelt hat. „Zivile“ Akteure („Ökoterroristen“) sind fast auszuschließen.

Wie würde man die Überwachung im Gebiet umgehen?

Eine permanente Überwachung von Seewegen findet quasi nicht statt und kann durch das Ausschalten von AIS [Anmerkung der Redaktion: Automatic Identification System] umgangen werden.

Zudem benötigt man für die eben beschriebenen Einsatzmöglichkeiten keinen großen und auffälligen Flottenverband. Durch das hohe Aufkommen von Schiffen im Gebiet fällt eine solche Aktion mit kleinen Booten nicht auf. Über Wasser sieht man praktisch nichts, bis auf das zu Wasser bringen und Bergen von Tauchern bzw. der Drohne. So eine Aktion dauert jenach Einsatzort nicht länger als 30 Minuten.

Haben Sie eine Idee, warum es gerade das Gebiet um die Insel Bornholm getroffen hat?

Zufällig befand sich die letzten Tage die USS KEARSARGE (LHD-3) inkl. Flottenverband in genau dem Gebiet, wo jetzt das Nord-Stream-2-Leck ist. Die letzte Position laut AIS Marinetraffic ist nördlich von Bornholm. Einigen Presseberichten nach war das Schiff auch südlich von Bornholm, wo die Pipeline verläuft, und hatte dort sein AIS-System ausgeschaltet. [Anmerkung der Redaktion: AIS Daten der USS KEARSARGE]

Es mag Zufall sein, aber wie beschrieben ist ein Flottenverband für das Manöver nicht erforderlich – doch natürlich macht die Sache einfacher.