Transatlantiker (Bild: shutterstock.com/FotoIdee)

Transatlantiker gegen Eurasier! Wir müssen umdenken!

Wenn, wie Carl Schmitt gezeigt hat, die Unterscheidung zwischen Freund und Feind die fundierende Unterscheidung des Politischen ist, und wenn die gesamte Welt von einem Kampf zwischen zwei Mächten erfaßt wird, kann es in der Weltpolitik keine Neutralität geben. Neutralität ist dann nur noch als äußere Nichtbeteiligung an Kampfhandlungen, aber nicht als eine Neutralität der Einstellung möglich. Wer behaupten wollte, weder der einen noch der anderen Seite zuzuneigen, würde damit die Sphäre des Politischen verlassen.
Ein Facebookbeitrag von Hans-Thomas Tillschneider

Wenn also angesichts des Krieges zwischen Rußland und den USA auf ukrainischem Boden Vertreter der AfD erklären, sie seien für Deutschland, dann ist das erstens eine Trivialität und zweitens ein Zurückweichen vor der eigentlichen Frage, die ja selbstverständlich voraussetzt, daß wir unser deutsches Interesse verfolgen, aber darauf abzielt, ob unser Interesse eher im Austausch mit Rußland oder eher im Austausch mit den USA liegt.

Ein solches Ausweichen kann auf parteipolitischem Opportunismus beruhen, der an sich schon eine Degenerationsform des Politischen darstellt. Es ist dies jene in Friedenszeiten dem Fortkommen zuträgliche, im wahrsten Sinne mittelmäßige Haltung, die danach strebt, es sich ja mit niemandem zu verderben, sich deshalb der nichtssagenden Aussagen bedient und immer einen Mittelstandpunkt einnimmt. Die Friedenszeiten, in denen eine solche Haltung Fortkommen garantiert, sind nun aber vorbei. Oder es steckt Täuschungsabsicht dahinter. Der scheinbar Neutrale hat seine Unterscheidung zwischen Freund und Feind sehr wohl getroffen, behält sie nur für sich. Hier gilt das Freudsche Wort, daß kein Sterblicher ein Geheimnis bewahren kann und erst recht keiner, der politisch täuscht. Denn wenn es ernst wird und die Entscheidung kommt, auf die er gewartet und für die er sich überhaupt erst in die Lage des Entscheiders gebracht hat, wird auch dieser Neutrale Farbe bekennen.

Also: Transatlantiker gegen Eurasier. Tertium non datur. Auf der einen Seite stehen die USA, die einzig verbliebene Weltmacht, die verhindern will, daß in Europa eine Kontinentalmacht entsteht, die ihre eigene Macht einschränken könnte. Bei Zbigniew Brzezinski formuliert, leitet diese Maxime die Politik der USA spätestens seit dem Fall des Kommunismus. Sie steht auch im Ukraine-Konflikt hinter jeder Weichenstellung angefangen von der Inszenierung der orangenen Revolution 2004 über das Schüren des ukrainischen Nationalismus während des sog. Euro-Maidan 2014 bis zur Sprengung der deutsch-russischen Gaspipelines in der Ostsee.
Auf der anderen Seite steht Rußland, das die US-Strategie verkennend, nach dem Zusammenbruch der UdSSR zunächst naiverweise um eine EU- und NATO-Mitgliedschaft nachsuchte, mehrfach abgewiesen wurde, langsam erkannte, daß keine Partnerschaft gewollt ist, sondern Eindämmung und Unterdrückung, dann in die Defensive ging, der Softpower der USA wenig entgegenzusetzen hatte, hilflos mit ansah, wie sich die NATO immer weiter in seinen unmittelbaren Einflußbereich ausdehnte und schließlich mit militärischen Mitteln in die Offensive ging. Der strategische Gegenentwurf zum US-Konzept der Spaltung und Niederhaltung Europas ist das Konzept Eurasien: ein großer Wirtschaftsraum von Paris bis Wladiwostok, dem die deutsch-russische Komplementarität zugrunde liegt (russische Energieträger und Rohstoffe gegen deutsche Industrieprodukte).

Während das Konzept der USA über Ozeane hinweg ein Eingreifen in allen Weltregionen vorsieht, bleibt das eurasische Konzept beschränkt auf den je eigenen Boden. Es ist verbunden mit dem Konzept einer multipolaren Weltordnung, die neben Eurasien weitere gleichrangige Weltregionen entlang kontinentaler und kultureller Einteilungen vorsieht. Es kann kein Zweifel bestehen, daß nicht der transatlantische Globalismus, sondern ein solcher eurasischer Zusammenschluß im deutschen Interesse liegt und wir also im Weltkonflikt zwischen den USA und Rußland die Freundschaft mit Rußland suchen sollten. Ein solcher Zusammenschluß würde Frieden und Wohlstand garantieren. Das Bündnis mit den USA bringt uns Armut und Krieg.

Diese Zusammenhänge sind einleuchtend und bedürfen keiner näheren Begründung; was begründet, aufwendig erklärt und abgesichert werden muß, ist der Gegenstandpunkt. Das Maß an Propaganda, das die USA aufbieten müssen, um dafür zu sorgen, daß eine Mehrheit der Deutschen nicht auf die Idee kommt, eine Partnerschaft mit Rußland wäre das Beste für uns, zeigt nur, wie richtig und naheliegend diese Idee ist. Die seit Jahrzehnten verbreitete, groß angelegte Erzählung vom menschengemachten Klimawandel soll dafür sorgen, daß wir freiwillig auf Öl und Gas aus Rußland verzichten. Die abnormale politische Fokussierung auf sexuelle Minderheiten, die Abwertung der Familie und die Zerstörung gesunder gesellschaftlicher Normen soll uns neue Werte anerziehen, die uns dem gesunden und bodenständigen Wertesystem, wie es in Rußland noch lebendig ist, entfremden. Die Masseneinwanderung soll unsere Gesellschaft nach dem Modell des Einwanderungslands USA umformen, uns so den USA angleichen und uns den Charakter eines historisch gewachsenen Nationalstaats nehmen. Im Geiste von Multikulti und Homoglobo umerzogen, sollen wir uns von der ethnischen Identität und dem starken Familiensinn in Rußland abwenden. Begleitet wird das alles von einer feindseligen Haltung gegen russische Kulturäußerungen.

Die Durchsetzung der großen Propagandaerzählungen, die politische Weichenstellungen gegen Rußland fundieren sollen, ist das Eine. Die gezielte Infiltration politischer Parteien ist das Andere. Am besten gelungen ist sie bei den Grünen, die von einer US-kritischen Friedenspartei zu einem US-hörigen bellizistischen Haufen verkommen sind, der seine Anhänger mit einem vergifteten Pseudopazifismus abspeist und dazu bringt, jede Aggression der USA zu unterstützen. Ähnlich steht es auch um die Linke, der ihre traditionell rußlandfreundliche Politik ausgetrieben wurde, und in der Sarah Wagenknecht vollständig kaltgestellt wurde. In der CDU sind die Führungsspitze und weite Teile der Basis im Westen für die USA eingenommen, während die Basis im Osten Rußland zuneigt. SPD und FDP ergeben ein diffuses Bild. Bei Dominanz der Transatlantiker werden doch immer wieder vereinzelt Gegenstimmen laut.

Die noch am wenigsten transatlantisch dominierte Partei und deshalb das vorrangige Einflußziel der Transatlantiker ist die AfD. Im Januar 2014 saß ich als Abgesandter der AfD-Sachsen in der Bundesgeschäftsstelle in Berlin zusammen mit Henkel, Starbatty, Lucke, Gauland und anderen. Die Veranstaltung nannte sich „Europaprogrammkommission“. Gauland döste im Halbschlaf vor sich hin. Als die Weltpolitik an die Reihe kam, hielt Starbatty ein scharfes Plädoyer dafür, man müsse sich fest mit den USA zusammenschließen – explizit gegen Russland! Bei „gegen Russland“ schreckte Gauland aus seinem Dämmer auf und hielt eine Gegenrede. Am Ende kam ein nichtssagender Kompromiss in den Programmentwurf.
Gauland und ich dürften die einzigen sein, die von denen, die damals zusammen saßen, heute noch Mitglied der AfD sind. Es ist ein politisches Wunder und war bei der Gründung der AfD gewiß nicht so vorgesehen, daß sie von Lucke bis Meuthen immer die transatlantische Einflußnahme abgeschüttelt hat. Das heißt aber nicht, daß die Infiltrationsversuche abnehmen würden, im Gegenteil. Der Druck außerhalb wie innerhalb der Partei nimmt zu.

Der Erfolg der Transatlantiker beruht darauf, daß sie sich nicht auf eine Partei fokussieren, sondern jede Partei durchdringen und im Streit zwischen den Parteien verborgen bleiben. Der Kampf zwischen Eurasiern und Transatlantikern tobt in jeder Partei. Der Feind steht in jeder Partei – und zugleich der Freund. Sarah Wagenknecht steht einem Alexander Gauland objektiv näher als ihrer Parteifreundin Petra Pau. Und ein Gerhard Schröder wiederum sollte sich eher einer Sarah Wagenknecht und den US-Kritikern in der AfD verbunden fühlen als seinem Parteifreund Olaf Scholz. Ich selbst stehe Sarah Wagenknecht ungleich näher als so mancher Figur aus dem Umkreis der Identitären Bewegung, die sich solidarisch mit dem ukrainischen Azow-Regiment erklärt und dabei von rechts nichts anderes darstellt als das, was die Antifa von links darstellt: Beispiele für nützliches Idiotentum. Wir Eurasier sehen uns in allen Parteien dem gleichen Typus des transatlantischen Wadenbeißers ausgesetzt, der, sobald etwas die US-Interessen verletzt, anschlägt und die Antiamerikanismus-Keule schwingt. Jede noch so berechtigte Kritik läßt sich angreifen, indem sie zum Ausdruck einer pathologischen oder sittlichen fragwürdigen Voreingenommenheit erklärt wird. Das Muster ist billig, weshalb die fehlende Qualität des Arguments durch Aggressivität kompensiert werden muß.

Freilich bestehen zwischen den Eurasiern der verschiedenen Parteien Differenzen, aber diese Differenzen erscheinen nebensächlich angesichts der großen Differenz zwischen Eurasiern und Transatlantikern. Das Spiel der Transatlantiker wiederum beruht darauf, daß nichtige Parteidifferenzen hochgespielt und die entscheidende Differenz verdeckt wird. Demgegenüber kommt alles darauf an, die Unterschiede in die richtige Hierarchie zu bringen und zu verstehen, daß die Differenz zwischen Eurasiern und Transatlantikern der Hautwiderspruch ist, nach dem die Lager zu organisieren und dem alles andere unterzuordnen ist. Wer das zu spät begreift, unterliegt, weil er sich in Scheingefechten verliert und seine Kraft vergeudet.

Die Strategie der Transatlantiker, alle Parteien zu infiltrieren und die Parteien mit Scheingefechten untereinander beschäftigt zu halten, wird durchkreuzt, sobald eine Partei den transatlantischen Einfluß abschüttelt und klar gegen die Transatlantiker Stellung bezieht. Solange der Transatlantiker Merz und der Transatlantiker Habeck Scheingefechte führen, ist die Macht der Transatlantiker ungebrochen. Sobald eine Partei ausschert und die eurasische Gegenposition zu allen Transatlantikern einnimmt, ist deren Macht in Gefahr. Diese Partei kann nur die AfD werden. Wenn dies gelingt, hat Deutschland eine Chance.

Die Basis muß dazu rebellisch bleiben, die Partei muß sich ihre Beweglichkeit erhalten. Noch wichtiger als das aber ist die Erkenntnis, daß der Kampf zwischen Transatlantikern und Eurasiern die entscheidende Auseinandersetzung ist, aus der sich die politische Freund/Feind-Bestimmung ergibt. Nach dieser Achse muß das politische Themenfeld neu gedacht werden, was Meinungsänderungen und Umsortierungen notwendig macht. So wäre es dumm, aus einer berechtigten Kritik an der Masseneinwanderung islamischer Länder in das allgemeine Erdogan-Bashing miteinzustimmen; tut sich Erdogan doch damit hervor, daß er dem Machtstreben der USA widersteht und eine Brücke zu Rußland baut, die zum Nukleus einer eurasischen Renaissance werden kann. Erdogan wiederum muß begreifen, daß das deutsche Volk der Türkei Freund sein kann und deshalb die Ablehnung von kulturfremder Masseinwanderung und die Kritik an Überfremdung ernst zu nehmen sind.

Ähnlich der Fall des Iran. Es heißt auch wieder, den nützlichen Idioten der USA zu spielen, wenn wir in den Protesten im Iran Partei gegen die Regierung ergreifen. Im Iran gelten andere Traditionen im Verhältnis der Geschlechter, Traditionen, die uns fremd und unverständlich erscheinen, und eben deshalb können und sollten wir nicht mitreden, vor allem aber, weil der Iran nicht unser Feind ist. Das heißt, er will anders als die USA Deutschland nicht klein halten. Er will Handel treiben zu beiderseitigem Vorteil, was von den USA hintertrieben wird.

Der Schritt hin zu einem deutsch-russischen Austausch wäre speziell für uns Deutschen verbunden mit einer Emanzipation von der Besatzungsmacht USA und der Wiedererlangung echter Souveränität. Das stärkste Anzeigen dafür, daß wir entgegen offizieller Bekundungen keine echte Souveränität wiedererlangt haben, liegt darin, daß schon lange vor dem Ukraine-Konflikt die USA Nord-Stream-II immer wieder blockieren konnten und daß wir also für die Zusammenarbeit mit Rußland, die in unserem Interesse liegt, noch nicht frei sind. Der Konflikt zwischen Transatlantikern und Eurasiern ist nicht nur ein Konflikt in allen Parteien, nicht nur ein Konflikt zwischen unipolarer und multipolarer Weltordnung, zwischen Globalisten und Verwurzelten, es ist auch ein Konflikt zwischen zwei Varianten unseres Landes: Deutschland als militärisch und ökonomisch verkrüppelter Vasall der USA, der sich zur Niederhaltung Europas verheizen läßt, oder ein freies, prosperierendes und starkes Deutschland, das in einer ausgewogenen neuen Weltordnung seinen Beitrag zum Weltfrieden leistet und damit erst eigentlich so etwas wie seiner internationalen Verantwortung gerecht würde. Tertium non datur.

Hans-Thomas Tillschneider