Stromnetz (Bild: shutterstock.com/urbans)
Stromnetz (Bild: shutterstock.com/urbans)

Kommen wir ohne Stromausfälle durch den Winter?

Die deutsche Stromversorgung steht in diesem Winter vor einer bisher nie dagewesenen Belastungsprobe. Nicht nur der Gasmangel zur Stromerzeugung ist problematisch, es kommen mehrere andere Probleme noch dazu, die Stromausfälle auslösen könnten.

Ein Beitrag von Blackout News

Binnen weniger Wochen hat Robert Habeck seine Meinung zum Stresstest des deutschen Stromnetzes geändert. Nachdem er zuvor noch davon ausgegangen war, dass wir kein Stromproblem hätten und deshalb die Atomkraftwerke zum Jahresende abstellen könnten, will er jetzt die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 im Streckbetrieb weiter laufen lassen. Die FDP will auch das Kernkraftwerk Emsland im niedersächsischen Lingen am Netz halten, um sicher über den Winter zu kommen. Habeck sperrt sich dagegen allerdings immer noch. Hendrik Neumann, Geschäftsführer des größten deutschen Netzbetreibers Amprion kommentiert die Situation so: „Ich kann nur sagen, dass drei Kernkraftwerke besser sind als zwei“ (deutsche-wirtschafts-nachrichten: 04.10.22)

Gasmangel bedroht auch die Stromversorgung

Das größte Problem ist der akute Gasmangel. Unmittelbar nach Regierungsantritt hat Robert Habeck den Kohleausstieg vorgezogen und wollte die dadurch entstehende Versorgungslücke für eine bessere CO2 Bilanz mit Gaskraftwerken abdecken. Doch Gas ist mittlerweile Mangelware und Gaskraftwerke benötigen davon große Mengen. Ohne die russischen Lieferungen steht im Winter nicht genug dazu zur Verfügung. Bei einem strengen Winter reicht das Gas aus den Speichern unter Umständen noch nicht einmal zum Heizen aller Haushalte. Die LNG Lieferungen aus den USA können das fehlende russische Gas mengenmäßig nicht annähernd ausgleichen. Dazu fehlt es sowohl an der Transportkapazität, als auch an der erforderlichen Infrastruktur, um das Gas in das Netz einzuspeisen.

Grenzüberschreitende Stromversorgung mit Frankreich problematisch

Das nächste Problem sind die französischen Atomreaktoren. Mehr als die Hälfte davon produzieren, aufgrund von technischen Problemen, oder länger andauernden Wartungsarbeiten, zurzeit keinen Strom und werden auch über den Winter nicht viel zur Stromversorgung beitragen. Das ist auch für Deutschland problematisch. Der deutsche Strommix mit viel Erneuerbaren ist im Winter, wenn die Sonne kürzer scheint und es zu Windflauten kommt, auf Strom aus Frankreich angewiesen. Allerdings muss auch Frankreich im Winter regelmäßig Strom importieren, da bei Minustemperaturen, selbst wenn alle Reaktoren laufen, der Strom regelmäßig nicht ausreicht (Blackout-News: 22.08.22). Diese gegenseitige Abhängigkeit zieht alle in Mitleidenschaft. Weder Frankreich noch Deutschland können sich darauf verlassen, dass der jeweils andere ein entsprechendes Defizit ausgleichen kann, wenn die Versorgungslage kritisch wird.

Vorgezogener Kohleausstieg wird zum Problem

Ein weiteres Problem ist der vorgezogene Kohleausstieg. Die bereits abgeschalteten Kohlekraftwerke, die wieder ans Netz zurückgekehrt sind, haben vor der Einstellung ihres Betriebs ihre Kohlehalden abgebaut. Durch den regenarmen Sommers und die damit verbundenen niedrigen Pegelstände der Flüsse konnten diese Halden nicht ausreichend wieder aufgebaut werden, da die Transportkapazität der Schiffe eingeschränkt war. Dazu stehen zu wenige Schiffe zur Verfügung, weil ein großer Teil zur Verschiffung von ukrainischem Getreide verlagert wurde. Die betroffenen Kohlekraftwerke können deshalb im Ernstfall nicht mit voller Last laufen. Ihnen geht schlicht der Brennstoff aus.

Nicht genügend Reservekraftwerke für Redispatchmaßnahmen

Dabei ist auch noch unklar, wie viele Notfallkraftwerke im Süden verfügbar sind, um das deutsche Netz zu stabilisieren. Diese Notfallkraftwerke benötigen die Netzbetreiber für sogenannte Redispatchmaßnahmen. Diese sind dann erforderlich, wenn die Windkraftanlagen im Norden mehr Strom erzeugen, als über das Stromnetz nach Süden übertragen werden kann. In diesem Fall trennen die Netzbetreiber die Windanlagen im Norden vom Netz ab. Der dadurch im Süden fehlende Strom muss dann von den Reservekraftwerke erzeugt werden. Normalerweise springen in diesem Fall zuerst Kraftwerke von unseren Nachbarstaaten ein. Für diesen Winter ist allerdings noch nicht einmal die Hälfte der notwendigen Kraftwerksleistung aus dem Ausland vertraglich gesichert.

Hunderttausende verkaufte Heizlüfter gefährden das Stromnetz

Ein echtes Risiko für das Stromnetz sind auch die Hunderttausende Heizlüfter und Radiatoren, welche in den letzten Monaten von viele Deutschen aus Sorge vor einer kalten Wohnungen gekauft haben. Sollten viele davon in Betrieb genommen werden, sind lokale Stromausfälle mancherorts unvermeidbar. Der Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) hat bereits davor gewarnt, dass unsere Stromversorgung für eine derartige gleichzeitige Zusatzbelastung nicht ausgelegt ist. Die entsprechende zusätzliche Last kann von den Netzbetreibern nicht, wie zum Beispiel bei Wärmepumpen, per Fernzugriff gesteuert werden. Deshalb warnen sowohl die Netzbetreiber und Kommunen immer wieder auch in den Medien, mit elektrischen Zusatzheizern im Winter zu heizen.

Unterschiedliche Interpretation der Ergebnisse aus dem Stresstest

Wie sicher unsere Stromversorgung im Winter ist, hat der Wirtschaftsminister durch einen Stresstest ermitteln lassen. Das sollte eine klare Sache sein, sollte man eigentlich meinen. Doch das Ergebnis dieses Stresstests wird unterschiedlich interpretiert. Nach Habecks Meinung reichen die zwei Atomkraftwerke im Süden, um Stromausfälle zu vermeiden. Die Netzbetreiber sehen selbst dann noch Probleme, wenn alle drei Kernkraftwerken noch weiter am Netz bleiben. Denn, so die Netzbetreiber, es sei nicht nur die Kapazität der Atomkraftwerke wichtig, sondern auch deren Lage. Die Stromtrassen von Norden nach Süden seien nicht ausreichend ausgebaut, um an kritischen Tagen den Strom auch dorthin zu transportieren, wo er gebraucht wird. Das reine Addieren von Leistung sei deshalb nicht in allen Fällen richtig. Allerdings werden solche Experten-Meinungen im Wirtschaftsministerium regelmäßig ignoriert. Auch deshalb muss Habeck alle paar Wochen seine Entscheidungen korrigieren.

Probleme sollen durch Maßnahmen in der Zukunft gelöst werden

Mittlerweile schließen Beteiligte eventuelle lokale Stromausfälle bereits nicht mehr aus (MDR: 09.10.22). Politisch wird weiterhin taktiert und auf zukünftige Lösungen, wie zum Beispiel dem Ausbau der Batteriespeicher, die Umstellung auf grünen Wasserstoff, oder die Einführung eines Flex-Alert-Systems, verwiesen. Über so ein System erhalten die Bürger in Kalifornien und in Teilen Frankreichs eine SMS, wenn das Stromnetz in ihrer Nähe zu überlasten droht und werden angewiesen, ihren Stromverbrauch zu drosseln. Bis es in Deutschland genügend Batteriespeicher gibt oder ein Flex-Alert-System einsatzfähig ist, werden vermutlich Jahre vergehen. Der kommende Winter steht allerdings unmittelbar vor der Tür. Die angedachten zukünftigen Maßnahmen werden in diesem Winter nicht helfen.