In der gegenwärtigen „Multikrise“ muss immer wieder mit völlig unerwarteten Ereignissen an gleichfalls unvorhergesehenen Schauplätzen gerechnet werden, die das Gesamtbild der Krise dramatisch verändern. Die jüngsten Proteste gegen Corona-Maßnahmen in der Volksrepublik China haben aus meiner Sicht das Potential, ein solcher game changer zu sein. Natürlich ist die Nachrichtenlage zu diesem Zeitpunkt alles andere als vollständig. Wenn aber im chinesischen Kontroll- und Überwachungsstaat überhaupt protestierende Menschenmassen auf den Straßen zu sehen sind und solche Bilder gleich aus einer Vielzahl von Städten in den Westen vordringen können, tut man gut daran, das reale Ausmaß der Proteste nicht zu unterschätzen. In diesem Sinne könnten wir es durchaus mit einer chinesischen „Corona-Revolution“ zu tun haben, deren mögliche Auswirkungen im Folgenden analysiert werden sollen.
Zunächst einmal wird hier deutlich, dass es in letzter Konsequenz unmöglich sein wird, den biologischen Menschen – dem Homo sapiens – dauerhaft jenem dystopischen Kontrollregime zu unterwerfen, das allgemein als Zielsetzung des Great Reset verstanden wird. Selbst in einer kollektivistisch geprägten Kultur wie der chinesischen führen solche Absichten irgendwann zu verzweifelten Aufständen. Die chinesische Corona-Politik der letzten Monate mit ihren Menschenjagden auf offener Straße lässt sich nicht rechtfertigen. Spätestens jetzt müsste sich eigentlich auch bei westlichen Corona-Politikern ein Bewusstsein tiefer Scham über den Umstand breitmachen, dass sie den totalitären chinesischen Hygiene-Staat seit 2020 als leuchtendes Vorbild angesehen haben, anstatt die Corona-Krise im Einklang mit Grund- und Menschenrechten als zentralen westlichen Werten anzugehen. Der chinesische Corona-Aufstand müsste auch bei uns als unübersehbare Mahnung dazu verstanden werden, sich endlich von den Relikten einer unmenschlichen Gesundheitspolitik zu verabschieden.
Chinas Ausnahmestellung unter den globalen Corona-Playern
Man muss aber in der Bewertung der chinesischen Ereignisse auch ein Gegenargument berücksichtigen. Die chinesische Staatsführung besitzt unter allen Spielern der weltweiten Corona-Krise eine Ausnahmestellung, weil höchstwahrscheinlich ihr allein bekannt ist, was sich 2019/20 in der Anfangsphase der Seuche wirklich ereignet hat. Dieses Wissen muss in Peking zu einer geradezu panischen Angst vor der an sich relativ harmlosen Omikron-Variante von Sars-CoV-2 geführt haben. Anders ist die chinesische Jagd auf das Virus, die zur gewaltsamen Massenverfolgung harmloser und gesunder Menschen eskalierte, nicht zu erklären. Das Folgende ist Spekulation, aber aus meiner Sicht durchaus eine Möglichkeit, die Geschichte der Corona-Krise faktenbasiert zu erzählen und sie auf diese Weise besser zu verstehen: In diesem Bild entwich Sars-CoV-2 schon im Sommer 2019 als künstlich erzeugter, aber zunächst harmloser Erreger aus dem Bio-Labor von Wuhan und breitete sich schnell weltweit aus, ohne Aufsehen zu erregen.
Dass es bereits im Herbst 2019 in Europa und den USA eine flächendeckende Präsenz des Virus gab, kann – etwa aufgrund der Analyse von Blutspenden aus jener Zeit – inzwischen als gesicherte Erkenntnis gelten; der nicht-natürliche Ursprung des Erregers aufgrund einer Vielzahl von Studien ebenfalls. Der zunächst harmlose Virus mutierte dann aber um die Jahreswende 2019/20 an seinem Ursprungsort Wuhan zu einer hochgefährlichen Variante, welche in Wuhan tausende Todesfälle erzeugte und sich – vor allem durch Reiseaktivitäten im Zusammenhang mit dem chinesischen Neujahrsfest – auch an die bekannten Pandemie-Brennpunkte wie das norditalienische Bergamo ausbreitete. Da aber bei Atemwegsviren mit steigender Krankheitsintensität (tieferes Eindringen in die Lunge) auch die Ansteckungswahrscheinlichkeit sinkt, konnten diese Ausbrüche mit den bekannten Corona-Maßnahmen schnell unter Kontrolle gebracht werden. Was davon übrig blieb, ist eine bis heute anhaltende weltweite Gespensterjagd nach dem ursprünglichen, harmlosen Typ von Sars-CoV-2, auf welchen die ominösen Corona-Tests anspringen.
Ein Körnchen Wahrheit im Wahn?
Der entscheidende Punkt ist aber, dass der nicht-natürliche Charakter dieses Virus offenbar die Möglichkeit unvorhersehbarer, gefährlicher Mutationen in sich birgt. Es könnte also in Karl Lauterbachs ansonsten lächerlichen Horrorprognosen ein Körnchen Wahrheit stecken, welches eben auch als Erklärung für die chinesischen Brachialmaßnahmen gegen Omikron herhalten könnte. Ich betone, dass ich mit diesem Szenario keineswegs die endlosen und sinnlosen Corona-Maßnahmen in Deutschland rechtfertigen will. Gefahrenabwehr kann sich im juristischen Sinne nur auf konkrete und nicht auf hypothetische Gefahren beziehen. Eine gewisse Vorsicht gegenüber „Corona“ halte ich aber weiterhin für geboten. In der VR China wurde diese Vorsicht in den letzten Monaten aber bis hin zur Menschenfeindlichkeit überzogen, womit wir wieder bei unserem eigentlichen Thema angekommen sind.
Der chinesische Corona-Aufstand kann, wenn auch sehr vorläufig, als Bestandteil einer Art Weltrevolution verstanden werden, die im Namen gewachsener menschlicher Gemeinschaften und Identitäten gegen den globalistischen Liberalismus und seine Politik des Great Reset geführt wird.
Jenseits von religiöser, nationaler, regionaler und familiärer Identität ist die höchste aller dieser Identitäten die Identität als Mensch, welche der globale Liberalismus durch Biopolitik, Transhumanismus und Gender-Ideologie in unserer Gegenwart offen angreift. Im Namen dieser menschlichen Identität rebellieren die Chinesen. Bei dieser Deutung ist aber angesichts der weltpolitischen Machtverhältnisse Vorsicht geboten. Obwohl die chinesische Staatsführung an globalen Netzwerken wie dem World Economic Forum (WEF) beteiligt ist, ist sie alles andere als ein ausführendes Organ der vornehmlich US-amerikanischen Globalisten. Die VR China stellt im heutigen „Großen Spiel“ der Weltpolitik ein eigenständiges Machtzentrum dar, das in gewisser Weise seinen eigenen Great Reset praktiziert. Man versteht diese Zusammenhänge besser, wenn man sich an das „Globalisierungsparadox“ des Harvard-Ökonomen Dani Rodrik erinnert: Globalisierung, die Staatsordnung des Nationalstaates und seine demokratische Verfasstheit können nicht alle drei gleichzeitig existieren.
Utopie und Realität
Man kann von diesen Dingen immer nur zwei vollständig besitzen. Die VR China hat sich dabei von vornherein auf ein Modell ohne Demokratie festgelegt, sodass sie innerhalb der Globalisierung eine starke, nationale innere Ordnung aufrecht erhalten kann. Die westlichen Staaten können sich aus offensichtlichen Gründen nicht völlig von der Demokratie lösen. Solange aber die Globalisierung als alternativlose Konstante gesetzt ist, entsteht daraus aber nach Rodrik eine Notwendigkeit, Staatsordnung und Demokratie gegeneinander auszuspielen. Weil aber auf eine Staatsordnung nicht verzichtet werden kann, solange man nicht libertären Gesellschaftsmodellen ohne Staat anhängen will, kommt es zu jener Erosion von Demokratie und Freiheitsrechten, die wir gerade als Oppositionelle in den westlichen Gesellschaften überdeutlich wahrnehmen. In gewisser Weise hat sich der Westen somit schleichend einem falschen chinesischen Vorbild angepasst, und diese Vorbildfunktion der VR China wurde in der Corona-Krise überdeutlich sichtbar.
Wenn sich nun als Folge der Corona-Revolution die VR China demokratisieren sollte, heißt dies nach Dani Rodrik nichts anderes, als dass eine Gleichzeitigkeit von Demokratie und stabiler nationaler Staatsordnung auf Kosten der Globalisierung stattfinden müsste.
Eine Rückkehr zu einem solchen Zustand muss das Ziel jedes Menschen sein, der sich dem globalen Liberalismus und seinem Great Reset widersetzt. Diese Utopie stößt aber in der Realität auf das große Hindernis, dass sich die in Jahrzehnten geschaffenen falschen Verflechtungen der Globalisierung nicht auf einfache Weise auflösen lassen. Meine Heimatstadt Wolfsburg ist Sitz eines allseits bekannten Automobilkonzerns, der schon in den 1970er Jahren, also der Anfangszeit der chinesischen Wirtschaftsreformen, die VR China als lukratives Geschäftsfeld entdeckte. Daraus hat sich eine Abhängigkeit entwickelt, in welcher praktisch die gesamte Inlandsproduktion der Volkswagen AG nur noch unter der Voraussetzung eines profitablen China-Geschäftes möglich ist. Ein politischer und damit auch wirtschaftlicher Zusammenbruch der VR China, oder auch eine konsequente anti-globalistische Wende in Peking würde schlagartig in Wolfsburg und ganz Ostniedersachsen gleichsam das wirtschaftliche Licht ausknipsen. Wolfsburg und VW sind dabei nur ein Beispiel von vielen in Europa. Man sieht, was angesichts von möglichen revolutionären Veränderungen in der VR China für uns Deutsche auf dem Spiel stehen könnte.
Ist das Ziel womöglich Chaos statt Demokratie?
Dies führt zu der abschließenden Frage, ob das Ergebnis der chinesischen Corona-Revolte vielleicht nicht Demokratie, sondern Chaos sein könnte? Unwahrscheinlich ist dies leider nicht. Die liberale Demokratie des Westens beruht auf einer langen Geschichte politischer und ideeller Entwicklungen, die es so in anderen Kulturen nicht gab. Selbst bei uns droht, wie wir weiter oben gesehen haben, eine Situation, in welcher der ökonomische Unterbau der Globalisierung das alte politische System nicht mehr tragen kann. Die Angst vor Chaos ist im Übrigen ein maßgeblicher Grund für die starre Innenpolitik der KP Chinas in den letzten Jahrzehnten, einschließlich der blutigen Niederschlagung der Tiananmen-Unruhen von 1989, der letzten größeren demokratischen Bewegung in der VR China vor den jetzigen Ereignissen. Die heute in China Herrschenden leiden immer noch unter den traumatischen Erfahrungen, die sie in ihrer Jugendzeit machen mussten, als der „Große Vorsitzende“ Mao Zedong (1893-1976) in den letzten Jahren seiner Alleinherrschaft das Land mittels der sogenannten „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ in völlige Unordnung stürzte.
Dieses unter westlichen Sozialisten teilweise immer noch glorifizierte Ereignis zählt in Wahrheit zu den großen Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts und forderte Millionen Todesopfer. Nicht wenige Mitglieder der heutigen chinesischen Staatsführung wurden damals für Jahre in völlige Unsicherheit und Armut gestürzt und mussten, was für Chinesen traditionell besonders schlimm ist, hilflos die teils gewaltsamen Demütigungen ihrer Eltern durch die kulturrevolutionären „Roten Garden“ mit ansehen, ideologisch aufgehetzte Kinder- und Jugendbanden, die Mao seinerzeit für seine finsteren Zwecke instrumentalisiert hatte. Diese Kommunismus-Katastrophe wurde in der VR China später nie aufgearbeitet, weil die KP Chinas auch nach Maos Tod an der Macht bliebt, aber sie ist als traumatische Erinnerung immer noch in den Köpfen der Chinesen präsent. Es verwundert deshalb nicht, dass die in Peking Herrschenden in jeder politischen Gegenbewegung, die sich auf den Straßen zeigt, nichts anderes erblicken können als neue „Rote Garden“.
Es droht die nächste brutale Niederschlagung
Es ist deshalb damit zu rechnen, dass auch diesmal die KP Chinas die Proteste mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen wird, bis hin zum Schusswaffengebrauch. Angesichts der jetzt schon sichtbaren Verbreitung des Aufstandes über das ganze Land – anders als 1989, als praktisch nur in Peking demonstriert wurde – dürfte es aber sehr schwierig werden, den Geist der Freiheit gewaltsam wieder in die Flasche zu zwingen. Auch die Bereitschaft der „Volksbefreiungsarmee“, gegen das eigene Volk zu kämpfen, dürfte Grenzen besitzen. Man hat im Herbst 1989 in der DDR und in Ostmitteleuropa gesehen, dass kommunistische Diktaturen, obwohl ihre Herrschaft wie in Stein gemeißelt erscheint, äußerst anfällig für gewaltlose Massendemonstrationen sind. Der Grund dafür ist, dass sich in solchen Protesten plötzlich ein „Volk“ zeigt, das nichts mehr mit jenem imaginären Volk zu tun hat, dessen ebenso imaginäre Herrschaft angeblich automatisch durch die kommunistische Einheitspartei verwirklicht wird. Man kann die Grundlage kommunistischer Macht kaum wirkungsvoller infrage stellen als mit der Losung „Wir sind das Volk!“.
Was jetzt in der VR China passieren wird, hängt allein von den Chinesen ab. Oppositionelle Geister mögen natürlich angesichts der gegenwärtigen Ereignisse an eine US-gesteuerte „Farbrevolution“ denken oder sogar an die Möglichkeit, dass US-Geheimdienste Sars-CoV-2 im Zuge des weltweiten „Hybridkrieges“ in China freigesetzt haben, um die Volksrepublik zu destabilisieren und jetzt verspätet die Früchte ihrer Anstrengungen ernten. Ich halte so etwas für wenig wahrscheinlich. Der chinesische Koloss ist in gleich mehrfacher Hinsicht zu groß, um ihn von außen her bewegen zu können. Unabsehbar sind hingegen die Auswirkungen, die ein revolutionärer Wandeln in der VR China für den Rest der Welt haben könnte. Insbesondere die China-Politik Angela Merkels hat Deutschland in eine Situation gebracht, in der wir leicht eine Lungenentzündung bekommen können, wenn China hustet. Auch auf den Ukraine-Konflikt könnten die chinesischen Ereignisse ungeahnte Wirkungen ausüben. Dies näher zu beleuchten, würde allerdings die Möglichkeiten dieser vorläufigen Analyse der chinesischen Corona-Revolution überschreiten.