Jan Böhmermann (Foto:Imago/Viadata)

Ein weiterer, offener Brief: Wissenschaftler gegen Diffamierung, für zivilen Diskurs

Es mutet fast schon hilflos an: Eine Gruppe von Wissenschaftlern mahnt einmal mehr: Die Wissenschaft dürfe nicht politisiert werden. Anlass für den Hilferuf ist das menschenverachtende “Fahndungsplakat” des linken Demagogen und mit Zwangsgebühren gepuderten ZDF-Scharfmacher Jan Böhmermann.

Unter der Überschrift „Zum Umgang mit Hendrik Streeck und zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Politik“ warnen wieder einmal mehrere Wissenschaftler, die Wissenschaft dürfe nicht polarisiert werden. Sie mahnen – es mutet fast schon hilflos an –  wie wichtig es sei, auch in einer Krise nicht mit „Diffamierung zur gesellschaftlichen Polarisierung beizutragen“, sondern „einen offenen, aber zivilisierten Diskurs im öffentlichen Raum und insbesondere in der Sphäre des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu ermöglichen“. Anlass ist das von dem Systemclown Jan Böhmermann veröffentlichte “Fahndungsfoto”:

Jouwatch dokumentiert auch diesen Brief im Wortlaut:

Vor einem Jahr (am 6. Dezember 2021) veröffentlichte die Allianz der Wissenschaftsorganisationen einen Aufruf zu mehr Sachlichkeit in Krisensituationen (hier). Anlässlich wiederholter Angriffe auf den Virologen Hendrik Streeck, die jüngst in einem persiflierten RAF-Fahndungsplakat des ZDF-Moderators Jan Böhmermann mündeten, sehen wir es für geboten an, diesen Aufruf zu erneuern. Auch wenn die Abbildung eines Wissenschaftlers auf einem Fahndungsplakat nur als Satire gemeint sein mag, können wir die wiederholten Angriffe gegen unseren Kollegen Hendrik Streeck nicht unwidersprochen lassen und unterstützen, was er selbst als Betroffener in der Zeit dazu geschrieben hat.

Der Urheber des Plakats hat Herrn Streeck zuvor unter anderem in einer Podiumsdiskussion in Zusammenhang mit „Menschenfeindlichkeit“ gebracht und ihm jegliche wissenschaftliche Expertise in Bezug auf die SARS-CoV-2-Pandemie abgesprochen. Angesichts von Hendrik Streecks Verdiensten in der HIV-Forschung und seines Engagements gegen die AIDS-Pandemie auf einer breiteren Ebene sind diese Angriffe befremdlich. Sie richten sich ausgerechnet gegen jemanden, der in der spannungsgeladenen Zeit der Corona-Pandemie stets auf Konzilianz bedacht war und, wo er Kritik für nötig erachtete, konstruktiv für behutsame, verantwortungsvolle Kurskorrekturen eingetreten ist.

Wir sehen in den genannten Diffamierungen nicht nur einen Angriff auf die Würde unseres Kollegen, sondern gleichzeitig den Ausdruck eines fehlgeleiteten Selbstverständnisses, wie es sich einige Journalistinnen und Journalisten sowie Medienschaffende im öffentlichen Diskurs zu wissenschaftlichen Themen angewöhnt haben. Zu oft maßen sich manche eine Schiedsrichterfunktion über im Diskurs zulässige Auffassungen und Personen an.

Wir halten es für selbstverständlich, dass Medien- und Kulturschaffende sowie ganz normale Menschen wissenschaftliche Politikberatung kritisch hinterfragen und auch humoristisch aufs Korn nehmen dürfen. Der jüngste Vorfall ist jedoch eine Entgleisung und Symptom einer übermäßigen Politisierung der Wissenschaft. Politik, Medien und Wissenschaft vollkommen zu entflechten, ist in Zeiten großer Herausforderungen weder realistisch noch wünschenswert, denn sie benötigen einander, aber sie funktionieren nach unterschiedlichen Regeln, die die Beteiligten respektieren sollten. Für diese Symbiose braucht es maßvolle kritische Distanz und keine übertriebene Emotionalisierung, auch wenn letztere oftmals zur Inszenierung des Journalismus gehören mag. Weder ist eine Wissenschaft wünschenswert, die Menschen übergriffig als bloße Schachfiguren behandelt, noch eine Gesellschaft, in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler öffentliche Herabwürdigung erfahren, wenn sie sich gewissenhaft im Rahmen ihrer Expertise äußern.

Ziel sollte es sein, nicht weiter im Ton der Diffamierung zur gesellschaftlichen Polarisierung beizutragen, sondern einen offenen, aber zivilisierten Diskurs im öffentlichen Raum und insbesondere in der Sphäre des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu ermöglichen.

Unterzeichner: Prof. Dr. Gerd Antes, Prof. Dr. Ralph Brinks, Prof. Dr. Martin Haspelmath, Prof. Dr. Bernhard Müller. Prof. Dr. Andreas Radbruch, Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Prof. Dr. Joachim Steffen