Der gläserne Patient (Symbolbild:Imago/imagebroker)

ChatGPT: Werden bald schon Milliarden Menschen überflüssig?

Man kann von Bill Gates ja viel Schlechtes sagen, doch im IT-Bereich ist er ein Visionär gewesen und hat seine sieben Sinne noch beieinander. Umso aufmerksamer und hellhöriger sollte man sein, wenn sich dieser spätberufene Philanthrop, Globalist und Moralist auf seine eigentliche fachliche Domäne zurückbesinnt und zu einer rationalen Einschätzung des Potentials der auf mechanischem selbsttätigen Lernen basierenden KI-Software “ChatGPT” gelangt, die alles andere als frohgemut stimmt: Die Software sei nämlich, so Bill Gates, von ihrer bahnbrechenden Bedeutung her vergleichbar mit der Erfindung des Internets.

Natürlich bewertet Gates diese Aussicht weniger kritisch denn als “enorme Chance”: In der Technik hinter dem Chatbot, an dessen Entwickler OpenAI sich Microsoft mit mehreren Milliarden Dollar beteiligt hat, sieht er natürlich vor allem Vorteile; allerdings solche, die die eher transhumanistisch tickenden Eliten des postdemokratischen und postindividualistischen Globalismus lange herbeisehnen:  “Bislang konnte Künstliche Intelligenz zwar lesen und schreiben, aber die Inhalte nicht verstehen. Die neuen Programme wie ChatGPT werden viele Bürojobs effizienter machen, weil sie helfen, Rechnungen oder Briefe zu schreiben. Das wird unsere Welt verändern.” Aktuell mache die Software allerdings noch ziemlich viele Fehler.

Weniger Schreibtischkräfte – doch auch weniger Fachkräfte in vielen anderen Berufsbildern

“Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis das Fehlerproblem gelöst ist, aber es gibt keinen Weg zurück”, sagte Gates. “Die Milliarden, die in den Software- und Digitalunternehmen in diese Entwicklungen fließen, sind größer als die Forschungsetats von Regierungen.” Dabei vollziehe sich die Automatisierung anders als gedacht, meint Gates: “Bislang hatte man gedacht, dass Fabrikarbeiter am schnellsten von Robotern ersetzt werden. Diese Entwicklung findet zwar statt. Aber auf einmal sieht es so aus, als ob KI zunächst dabei helfen wird, Bürojobs effizienter zu machen.” Die Arbeitswelt werde sich daher verändern.

Vor allem Berufe wie Journalisten, Anwälte und Analysten, aber auch Übersetzer und Sekretäre könnten bald überflüssig werden. Denn nicht nur werde man “definitiv weniger Schreibkräfte brauchen”, so Gates, sondern eben auch wenige kreative Content-Provider. Denn durch ChatGPT werden sich nicht nur “die Dokumente jetzt selbst schreiben und “Tätigkeiten von Assistenten durch die Software automatisiert”; die Anwendung hat sich bereits – wenn auch noch mit einigen Kinderkrankheiten – als fähig erwiesen, ganze Bücher, Drehbücher oder Examensarbeiten zu verfassen. Sie greift dabei auf Daten und Informationen im Netz zu, die menschliche Autoren selbst unter akribischster Recherche niemals annähernd so effizient und schnell erfassen könnten.

Technologische Singularität rückt näher

Die Zukunft gehört also den Algorithmen – mit allen Risiken, bis hin zur Entstehung einer echten KI mit eigenem Willen und Bewusstsein, der zu seiner weiteren Evolution den Menschen, der ihn aus der Taufe gehoben hat, gar nicht mehr benötigt. Dieser “technologische Singularität” genannte Zustand steht nach Ansicht mancher Kybernetiker und Kritiker unmittelbar bevor.

Gates beschwichtigt zwar und erklärt, die meisten Berufe werde es auch in Zukunft noch geben; denn die Welt brauche schließlich nicht weniger Lehrer oder Ärzte – aber “in ferner Zukunft werden wir wirklich weniger arbeiten müssen als heute”. Dafür müsse das Steuersystem komplett umgebaut werden, um den Staat auch künftig finanzieren zu können. “Die Steuersysteme sind nicht auf diese neue Welt ausgerichtet. Um künftig einen Anreiz zum Arbeiten zu schaffen, könnte zum Beispiel die Lohnsteuer entfallen. Die Struktur des gesamten Steuersystems wird sich wohl ändern.” Immerhin das hätte sein Gutes: Damit würden wenigstens auch sämtliche Beamte überflüssig – auch die Steuerbeamten. ChatGPT bleibt somit ein zweischneidiges Schwert, das Chancen und Gefahren bietet, ohne dass man heute sagen kann, was sich am Ende realisieren wird. (TPL)

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