Viktor Orban (Foto: Von Alexandros Michailidis/shutterstock)
Viktor Orban (Foto: Von Alexandros Michailidis/shutterstock)

Orbán fordert eine europäische NATO ohne die USA

Die Briten sagten “Goodbye”, nationale Kräfte sehen sich im Aufwind, und die Fronten in der Flüchtlingspolitik sind verhärtet: Steht die EU tatsächlich vor dem Aus, wie Populisten düster prophezeien? Zwar klingt ein Europa ohne EU unvorstellbar, doch die Bedrohung scheint real. Zwar appellieren Politiker an die Einheit, doch Lösungen sind nicht in Sicht.

Stattdessen brodeln weitere Krisenherde vor sich hin, auch wenn es um die Sanktionen gegen Russland geht. Nun forderte der ungarischen Ministerpräsidenten Orbán in einem Interview mit der Weltwoche, eine europäische NATO ohne die USA. Weiter sagte er, Washington verfolge oft persönliche Interessen, wenn es um internationale Sicherheitsfragen gehe. Orbán ist der Ansicht, dass es „heute zumindest im Westen am Willen mangelt“, die Situation in der Ukraine zu lösen. Viele Nationen – Araber, Brasilianer, Inder, Chinesen, Türken – wollen ein schnelles Ende des Konflikts, aber der Westen habe seine Fähigkeit verloren, die Welt für eine Sache zu vereinen, so Orbán weiter. Das Interview mit Viktor Orbán ist leider nur hinter einer Paywall zu lesen. Es sei jedem Leser empfohlen.

Die Weltwoche titelte: «Wir beten und vertrauen auf den lieben Gott» Ungarns Premierminister Viktor Orbán spricht über den Krieg, Wege zum Frieden, seine Begegnungen mit Putin, die dramatische Schwäche Europas und seine eigenen politischen Leistungen. Er hält die christliche Lehre auch in der Politik für gültig. Hier einige weitere Auszüge, die sehr deutlich machen, in welchem Zustand sich die EU derzeit befindet.

Orbán über den Ukraine -Krieg

Weltwoche: Der Ukraine-Krieg, der 2014 begann, eskalierte vor einem Jahr. Was ist für Sie die wichtigste Erkenntnis?

Orbán: 2014 standen bedeutende Persönlichkeiten an der Spitze der europäischen Länder, insbesondere Frau Merkel. Ich war mit ihr zwar oft uneins, aber sie hatte unbestritten politisches Gewicht und Format. Damals hieß es, dieser Konflikt müsse von Europa geregelt werden. Heute hat sich Europa aus der Diskussion verabschiedet. In den Brüsseler Entscheidungen erkenne ich öfter amerikanische Interessen als europäische. In einem Krieg an den Grenzen Europas haben heute die Amerikaner das letzte Wort. Ich werfe den Amerikanern nichts vor, denn der Löwe frisst nun einmal Fleisch. Man kann von ihm nicht verlangen, zu grasen.

Weltwoche: Sie sagen: Europa ist verschwunden, nicht mehr zu erkennen in diesem Krieg. Was ist der Grund?

Orbán: Es gibt tiefere Gründe, und es gibt schieres Pech. Der tiefere Grund ist: Wir kennen weder gefühls- noch verstandesmäß eine europäische Identität. Das muss über kurz oder lang das Selbstvertrauen erschüttern. Wenn wir die Diskussion über die Zukunft Europas ernsthaft geführt hätten, ohne Tabus, sodass selbst eine Revision der Grundsatzverträge möglich gewesen wäre, hätten wir zu Kriegsbeginn wohl eine gefestigte Identität gehabt. Dann kam auch noch Pech hinzu. Hätte Donald Trump die amerikanische Präsidentschaftswahl gewonnen, gäbe es keinen Krieg. Der deutsche Machtwechsel tat sein Übriges.

Weltwoche: Man könnte in der Deutung noch einen Schritt weitergehen. Der tiefere Grund für die Schwäche Europas ist die EU. Sie zersetzt die Nationalstaaten, ohne etwas Funktionierendes an deren Stelle zu errichten.

Orbán: Das sehe ich auch so. Die EU will eine «ever closer union». Wir einigen uns nicht auf das Ziel, sondern auf den Weg. Das ist der Grund für Europas Krankheit.

Weltwoche: Ist die Europäische Union heute eine Bedrohung für Europa?

Orbán: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Ich zweifle nicht daran, dass die Politiker in Brüssel guten Willens sind. Sie glauben, etwas aufzubauen. In Wahrheit reißen sie etwas Funktionierendes ein, ohne zu wissen, was danach kommen soll. Ich habe 26 Jahre im Sozialismus gelebt. Als ich den Satz von der «ever closer union» hörte, erinnerte ich mich an meine Marx-Studien. Marx hat eine ganze Bibliothek vollgeschrieben, wie der Kommunismus verwirklicht werden könne. Aber keinen Satz darüber, wie das Leben im Kommunismus aussehen würde. Wir sind intellektuell auf derselben Schiene unterwegs. Ich habe bei dieser EU immer das Gefühl: Das habe ich schon gehört, das habe ich schon gesehen.“

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