Die von der Ampel heute beschlossene, mit heißer Nadel gestrickte Wahlrechtsreform lässt die Systemopposition von CDU und CSU vor Wut explodieren: Beide Schwesterparteien haben Verfassungsklagen angekündigt. Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, bestätigte kurz nach der Abstimmung, dass Bayern dies wird vorhabe und man als Fraktion darüber beraten werde, “wie wir in diesem Fall auch vorgehen”. Es handele sich um eine beispiellose Manipulation des Wahlrechts,, die keine Anwendung bei einer Bundestagswahl finden dürfe.
Besonders schlimm sei der erst kürzlich bekannt gewordene Plan einer Abschaffung der “Grundmandatsklausel”, weil nun jede regionale Partei bundesweit über die Fünf-Prozent-Hürde kommen müsse, sagte CDU-Chef Friedrich Merz. Er kündigte an, “jede Gelegenheit” zu nutzen, die von SPD, Grünen und FDP beschlossene Änderung wieder rückgängig zu machen. Merz will seiner Fraktion vorschlagen, auch einen Normenkontrollantrag in Karlsruhe einzureichen.
Gysi mit seltsamem “Kompromissvorschlag”
Auch die Linke – die vom Wegfall der Grundmandatsklausel besonders betroffen wäre – geht auf die Barrikaden. Ihr Ex-Chef und Abgeordneter Gregor Gysi skizziert dabei einen möglichen Kompromissvorschlag, um die “Grundidee des Wahlrechts – regionale Stärke zu berücksichtigen, und Fünf-Prozent”, die für ihn “beide zusammengehören”, zu wahren: Dieser soll ernsthaft darin bestehen, die Prozent-Hürde abzuschaffen. Denn: Wenn man die Grundmandatsklausel abschaffe, müsse man auch die Fünf-Prozent-Hürdea abschaffen, so Gysi zur “Welt” – weil dann “eben auch Parteien mit weniger als fünf Prozent der Stimmen einziehen müssen”.
Klar, dass Gysi so redet: Die Linke wäre ohne die Direktmandatsklausel längst Geschichte. Gysi spricht deshalb von einer “Geringschätzung von Direktmandaten” und einer Vernachlässigung der vom Bundeswahlrecht vorgesehenen “Abbildung von regionaler Stärke”. Dies ist natürlich schon durch das Wahlkreisprinzip Unsinn – denn jeder Abgeordnete ist regional zugeordnet.
Wer den Sumpf trockenlegen will…
Die CSU, die beim letzten Mal 5,2 Prozent der Stimmen bundesweit erhielt und 48 direkt gewählte Abgeordnete hatte, könnte damit durch das neue Wahlrecht ebenfalls leicht an der Fraktionsbildung gehindert werden – weil der Gesetzgeber jetzt sage: `Die zählen nicht. Die bleiben einfach zu Hause. Sie ziehen nicht ein in den Bundestag.” “Das ist ja undenkbar”, so der Linkenpolitiker. “Die Personifizierung ist damit raus. Wozu machen wir dann überhaupt noch eine Erststimme? Dann brauchte man ja nur Zweitstimmen”, sagte Gysi. “Also, und das geht, meines Erachtens, nicht.”
Grundsätzlich gilt natürlich: Eine Wahlrechtsreform zur Begrenzung der Überhang- und Ausgleichsmandate tut not – aber sie müsste die Direktmandatsklausel unangetastet lassen und etwa mehrheitswahlrechtliche Komponenten stärken. Dass die von den Reformen betroffenen Parteien am lautesten klagen ist nicht verwunderlich – wer den Sumpf trckenlegen will, darf nicht die Frösche fragen. Dennoch ist zu dieser Reform mit Sicherheit nicht das letzte Wort gesprochen. (TPL)