Fox-Kommentator Mark Levin - Foto: Imago

Erdingers Blinker: Links oder Rechts?

Es ist egal, wo jemand parlamentarisch-gesäßgeographisch eingeordnet wird. Ob links oder rechts: Irgendwann macht jeder einmal eine zutreffende Bemerkung. Wenn ein Linker etwas Zutreffendes sagt, dann ist er in dem Augenblick durchaus wider Willen ein Konservativer. Der Konservative will bewahren, was immer gilt. Was gilt immer? Daß an der Wahrheit langfristig kein Weg vorbei führt, gilt immer.

von Max Erdinger

Daß sich jemand irrt, kommt vor. Das ist kein Drama, wenn er sich korrigiert, sobald er weiß, daß er sich geirrt hat. Irren sei menschlich, sagte Franz Josef Strauß, und daß sich immer zu irren sozialdemokratisch sei. Das ist aber in dieser Unbedingtheit nicht wahr. Helmut Schmidt z.B. hat durchaus ein paar wahre Behauptungen aufgestellt – und daß sie wahr gewesen sind, ließ sich erst Jahrzehnte später beweisen. Das gilt auch für Gustav Heinemann und etliche andere Sozialdemokraten. Ungut ist, etwas nur deswegen zu behaupten, weil man vorher gewußt hat, daß man den Beifall der “richtigen Seite” dafür bekommen würde. Die “richtige Seite” ist meistens identisch mit dem “eigenen Lager”. Ist man Parteimitglied, womöglich noch eines mit persönlichen Karriereambitionen, wird man vermutlich eher auf den zu erwartenden Beifall spekulieren, als darauf, etwas Wahres gesagt zu haben. Das Eine schließt zwar das andere nicht aus, aber ein solches Kalkül birgt die Gefahr, selbst zum Propagandisten zu werden. “Erzähle den Leuten, was sie hören wollen”, ist kein guter Ratschlag.

Es interessiert mich nicht mehr, ob etwas Gesprochenes als konservativ, als liberal, als rotlinks oder als braunlinks etikettiert wird, sondern mich interessiert, ob stimmt, was gesagt wurde. Öfter als mir lieb ist, kann ich das auch gar nicht beurteilen, weil ich dazu nicht genug weiß.  Daß mich nicht mehr interessiert, ob ein Sprecher als konservativ, als liberal, als rotlinks oder als braunlinks gilt, ist ziemlich neu. Seit wenigstens zwei Jahrzehnten hatte sich bei mir die Überzeugung herausgebildet, daß Linke lügen, sowie sie den Mund aufmachen. Tendenziell ist das auch so geblieben, aber eben nur tendenziell. Dementsprechend war meine Erwartung, etwas Wahres mit größerer Wahrscheinlichkeit von einem Konservativen zu erfahren. Auch das ist tendenziell so geblieben, aber ebenfalls nur tendenziell.

Es gibt deutlich mehr Progressisten als Konservative, die ich als ausgesprochene Lügenmäuler begreife, Grüne eigentlich durch die Bank,  und es gibt inzwischen auch etliche Konservative, die ich als Fake-Konservative identifiziert habe. Das Kriterium dabei war immer, ob wahr ist, was sie behaupten. Den immer möglichen Irrtum mit eingerechnet, hat mich also interessiert, ob jemand ganz bewußt und mit voller Absicht lügt. In dieser Hinsicht war der Ukrainekrieg ein Augenöffner. Es haben Leute etwas überprüfbar Richtiges dazu gesagt, von denen ich das nicht erwartet hätte – und andere, von denen ich das ebenfalls nicht erwartet hätte, haben gelogen, daß sich die Balken biegen. Was die Schuldfrage an diesem Krieg angeht, haben sich überraschend etliche vermeintlich Konservative als Fake-Konservative geoutet. Weil sie eben nicht bewahren wollen, was immer gilt. Immer gilt, wie oben schon genannt, daß an der Wahrheit langfristig kein Weg vorbei führt. Das ist übrigens etwas, das die Grünen in allernächster Zeit begreifen werden, ob sie wollen oder nicht. Das Zeitalter der “Herrschaft des Narrativs” läuft auf sein Ende zu.

Donald Trump

Den 45sten Präsidenten der USA habe ich leidenschaftlich verteidigt – und das tue ich auch heute noch – weil er allein schon tendenziell goldrichtig liegt. Daß er bisweilen Dinge sagt, die schlicht und einfach nicht wahr sind …  weiß ich immer so genau, ob er sich irrt oder ob er lügt? Starke Zweifel an Trumps Willen zur Aufrichtigkeit kamen mir erstmals, als ich ihn über Nordstream 2 räsonieren hörte – und zwar deshalb, weil er damit unter dem blieb, was ich ihm eigentlich zugetraut hatte.

Trump mokierte sich darüber, daß die USA den Löwenanteil der Kosten für die NATO tragen, und daß (nicht nur) die Deutschen sich mit billiger Energie bei denjenigen versorgen (Russland), zu deren potentieller Abwehr die NATO überhaupt existiert, anstatt beim “Verbündeten & Partner” USA einzukaufen, wo der doch so viel LNG-Gas feilzubieten hat zu einem saftigen Preis.

Da dachte ich mir nur: Lieber Donald, dein Feindbild ist nicht mein Feindbild. Und ich bin auch beileibe nicht der einzige, der in Russland eher den Freund als den Feind erkennt. Das erklärt auch die deutsche Russlandpolitik von fast zwei Jahrzehnten, beginnend mit der Auflösung der Sowjetunion am 26.12.1991. Wenn man seit seiner ersten Amtszeit etwas ganz genau wissen kann, dann ist das, daß Wladimir Putin ausgezeichnet Deutsch spricht und große Sympathien für unser Land hat. Es ist auch eine Konstante der deutschen Geschichte: War das Verhältnis zu Russland gut, ging es auch den Deutschen gut. Das hat schon Otto von Bismarck festgestellt. Andreas Eberhard Baron Budberg, Karl Robert von Nesselrode, Wladimir Lamsdorf und Boris Stürmer waren russische Außenminister im 19. Jahrhundert, allesamt deutsch oder deutschstämmig. Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst war im 18. Jahrhundert sogar Zarin Katharina die Große. In Russland gibt es eine Vielzahl deutscher Siedlungen. Russland ist nicht dasselbe wie die Sowjetunion.

Deswegen, lieber Donald, interessiert es mich einen feuchten Kehrricht, wen du dir wegen der geopolitischen Interessen deines Landes am liebsten als Feindbild erhalten würdest, um zugleich zu behaupten, die NATO sei unser “gemeinsames Verteidigungsbündnis”, obwohl sie zuvörderst das militärische Werkzeug deines Landes ist und beileibe kein rein defensives. Verzupf dich dahin, wo du hingehörst – zwischen Pazifik und Atlantik. Ich bin Deutscher und Europäer mit einer Geschichte – du bist “nur” ein vergleichsweise neumodischer Amerikaner. Du hast keine Ahnung von den europäischen Interessen, die sich neben unserer Geschichte allein schon aus unserer geographischen Lage auf dem Globus ergeben. Du hast den Vorteil, daß du mitsamt deiner Vereinigten Staaten mitten zwischen zwei Ozeanen in relativer Sicherheit vor Kriegen verschont bleiben wirst – und wir Europäer haben eben den Vorteil, daß wir aus Russland billig Energie beziehen können. Und überhaupt, lieber Donald: Würdest du denn uns europäischen NATO-Verbündeten erweiterte Mitspracherechte bei der Ausformulierung der US-amerikanischen Geopolitik einräumen, wenn wir deutlich mehr für “deine” NATO abdrücken würden als bisher? – Nicht? Gut, dann haben wir das schon erledigt. Nächtes Thema, Donald. Wie sieht es denn aus bei der Wirtschaft? Würdest du es denn hinnehmen, daß wir Europäer wegen der billigen und schier unerschöpflichen Energie aus Russland und in engster Verbundenheit mit Russland deine amerikanische Wirtschaft “outperformen”, wenn das der Fall werden würde? – Was soll das Herumgedruckse? Wenn nicht, dann bist du nicht mein Freund, auch wenn du der Donald bist, der in seinem eigenen Land meiner Ansicht nach viel verdammt richtig macht. Langer Rede, kurzer Sinn: Beim Thema Nordstream 2 kam mir zum ersten Mal der Verdacht, daß der Donald vielleicht gar nicht so sehr mein Freund ist, wie ich das eigentlich gern hätte, weil ich ihn seiner Art wegen einfach gern habe.

Daß die US-Demokraten mehrheitlich “a pain in the arse” sind, ist gar keine Frage. Und daß die Republikaner gerade einen fast historisch zu nennenden Kampf gegen die US-demokratische Wokeness, die Cancel Culture – kurz: den US-demokratischen Kulturmarxismus führen, ist ebenfalls keine. Die geben sich wirklich Mühe und haben sich dafür jeden Applaus verdient. Aber eines ändert das nicht: Die sind vom Militärisch-Industriellen Komplex der USA mindestens so eingesackt worden wie die Demokraten. Dementsprechend saudumm fallen auch ihre Kommentare zum Ukrainekrieg aus. Und zwar so dermaßen saudumm, daß mir es dann auch schon wieder egal ist, ob sie mit ihrem inneramerikanischen Kampf gegen die Kulturmarxisten rechthaben oder nicht. Wenn sie den gewinnen, stecken sie hernach nämlich immer noch mindestens genauso tief im Rektum dieser globalen Heimsuchung, wenn nicht sogar noch tiefer.

Mark Levin

Mark Levin
Verlogen bis dorthinaus: Mark Levin, “Konservativer” – Screenshot YouTube –

Den Beweis dafür lieferte ausgerechnet Mark Levin, ein von mir ansonsten sehr geschätzter Kommentator hinsichtlich des inneramerikanisch tobenden Kulturkampfes. Meine Güte, kann dieser Levin lügen, wenn es um die Ukraine und Russland geht. Und wie er das einfädelt! In diesem Video hier kann man es offenen Mundes bestaunen. Zuerst kommt er mit dem Honigtopf dahergeschlichen und attestiert seinem Publikum, daß es schlauer sei als alle anderen, weswegen er einen guten Rat beherzigen wolle, den ihm ein renommierter Wrschtpfrmpft einst gegeben hat: “Unterschätze niemals dein Publikum!” – Und als nächstes unterschätzt Levin 15 Minuten lang sein Publikum – und wie! Das dümmste, verlogenste und bigotteste Geseich, das mir in dem Zusammenhang jemals untergekommen ist. Dagegen sind sogar Lindsey Graham und Sean Hannity wahre Waisenknaben. Bei “Fox-News” war wenigstens Tucker Carlson so clever, um zu erkennen, daß konservativ zu sein heißt, das zu bewahren, was immer gilt: An der Wahrheit führt kein Weg vorbei. Carlson ist der einzige dort, der den amerikanischen “Exzeptionalismus”, diese faschistische Herrenmenschenattitüde, als großes globales Problem identifiziert.

Wenn Levin rechthatte mit seiner Vermutung, daß er mit der Bodenlosigkeit, die er mit seinem Video abliefert, bei seinen konservativen Freunden in den USA durchkommt, dann kannst du als Europäer die “Konservativen” in den USA genauso vergessen wie die verblödeten Kulturmarxisten bei den US-Demokraten. Die Ukrainer haben ein Recht darauf, in einer unabhängigen Nation, in einer Demokratie und in der Freiheit zu leben … und “heldenhaft” … und amerikanische Werte … und bla-bla-bla. Was für ein bigotter Stuß! Es ist so, Mark Levin: Wenn die Ukrainer vor dem Krieg im Paradies gelebt haben und wegen deiner geschissenen “amerikanischen Werte” – du kritisiert doch dein eigenes Land dafür, daß es ein kulturmarxistisches Shithole geworden ist, in dem die “Bill Of Rights” als suspendiert begriffen werden muß, oder nicht?  – wenn die Ukrainer also vermittels deiner “amerikanischen Werte” und mithilfe deines Militärs wieder in ihr angebliches Paradies von Demokratie und Freiheit zurückkehren sollen, weil sie ja schließlich als freie Menschen zur Welt gekommen sind, dann, mein Freund, verpisst du dich mit deiner Army zuerst einmal aus meinem Land, bevor du groß dein bigottes “Konservativen”-Maul aufreißt, verstanden? Dann ist meinereiner nämlich ebenfalls als freier Mensch auf die Welt gekommen, fünfzehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, und dann hat meinereiner es ebenfalls nicht nötig,  im Jahre 2023 zu realisieren, daß er eigentlich nie frei gewesen ist, sondern genau wie ein Ukrainer von solchen Arschgesichtern wie dir nie als etwas anderes begriffen wurde, denn als Vasall, als Verfügungsmasse deiner geschissenen, geostrategischen Überlegungen, du Herrenmensch, du faschistischer. Haben wir uns jetzt verstanden, Mark Levin!? Und spare dir dieses Gesabber von der transatlantischen Wertegemeinschaft, von den Amerikanern als meinen “Verbündeten & Partnern”, von der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Wer meine Pipeline sprengt, ist nicht mein “Verbündeter& Partner”, ein Freund erstrecht nicht, sondern der ist mein Feind. Kannste nachvollziehen, Mark Levin, du “Edelkonservativer”, oder?

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