Krieg in der Ukraine - Foto: Corona Borealis Studio/Shutterstock

Auch Hitler scheiterte an Russland

Die Russische Föderation feiert am heutigen 9. Mai den „Tag des Sieges“. Nein, (noch) nicht den Tag des Sieges über das Regime in Kiew, sondern den Sieg über das nationalsozialistische Großdeutsche Reich.
Von Wolfgang Hübner
Wo es einen Sieger gibt, gibt es auch einen Verlierer. Dass der Tag der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands hierzulande nunmehr in einen „Tag der Befreiung“ umgelogen wird, ändert nichts an den historischen Tatsachen. Da im Zusammenhang mit dem Geschehen in der Ukraine auch wieder deutsche Kriegsgesänge zu hören sind und Panzer aus deutscher Produktion gen Osten rollen, muss einmal mehr daran erinnert werden, wie es zu dem verhängnisvollen „Unternehmen Barbarossa“ kam, das mit der größten Katastrophe und Demütigung in der deutschen Geschichte endete.
Es gibt unendlich viel Literatur und ebenso viele Meinungen dazu. War der deutsche Einmarsch in die damalige Sowjetunion am 22. Juni 1941 ein Angriffskrieg oder ein Präventivkrieg? Einer der sich ganz tief in diese Thematik eingearbeitet hat, war der 2020 hochbetagt gestorbene Publizist und konservative Journalist Herbert Kremp. Der frühere Chefredakteur der „Welt“, wenig gelitten bei der politischen Linken, hat bis zu seinem Lebensende an einem großen historischen Werk gearbeitet, das vor einiger Zeit unter dem Titel: „Morgen Grauen – Von den Anfängen des Zweiten Weltkriegs“ im Olzog Verlag erschienen ist. Kremps Buch hat den Verdienst, mit beispielloser Klarheit und ohne nachträgliche moralisierende Besserwisserei zu erklären, wie es zu dem Krieg des Deutschen Reiches mit der Sowjetunion kam, zugleich ein Duell der Diktatoren Hitler und Stalin.
Um es vorweg zu sagen: Kremp rüttelt nicht an der Tatsache, dass Hitler-Deutschland die Sowjetunion angegriffen hat und nicht nur besiegen, sondern vernichten und ihre Bewohner als „slawische Untermenschen“ töten oder unterdrücken wollte. Gleichwohl stand im Juni 1941 fest, Kremp schildert das überzeugend und detailliert, wie unvermeidbar der Krieg zwischen beiden Mächten war. Denn das sensationelle Bündnis zwischen den ideologischen Todfeinden Hitler und Stalin vom Sommer 1939, das den erfolgreichen deutschen Feldzug gegen Polen und dessen Aufteilung zwischen dem Reich und den Sowjets ermöglichte, hatte sich erschöpft und zahlte sich für beide Seiten nicht mehr aus.
Hitler hatte die Briten weder zu einem Kompromiss nötigen noch gar besiegen können, der Kriegseintritt der USA zeichnet sich ab. Und Moskau stellte Forderungen, die den deutschen Plänen zur Dominanz auf dem europäischen Kontinent völlig widersprachen. Zudem ging das sowjetische Militär in Angriffsformation. In dieser Lage setzte der „Führer“, der Deutschland trotz etlicher erfolgreichen Blitzkriege in eine Sackgasse gebracht hatte, auf einen schnellen Sieg über den völlig unterschätzten sowjetischen Koloss. Nach großen Anfangserfolgen erfolgte vor Moskau die Ernüchterung und nach Stalingrad die totale Niederlage. Über 20 Millionen Russen und Angehörige sowjetischer Minderheiten sowie Millionen deutsche Soldaten verloren ihr Leben dabei.
Herbert Kremp schildert in „Morgen Grauen“ mit dem nüchternen Blick eines aufgeklärten, unideologischen Konservativen, wie und warum es dazu kam. Er muss nicht mehr die Schande erleben, dass grüne Wehrdienstverweigerer, gelbe Waffenlobbyistinnen, rote Wendehälse und schwarze US-Vasallen Russland erneut als Feindbild propagieren. Doch wer vergisst, dass nach Napoleon auch Hitler in Russland gescheitert ist, riskiert eine bittere, ja vielleicht sogar tödliche Lektion.

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