Die Bodenoffensive im Gazastreifen hat begonnen und die Dinge werden ihren Lauf nehmen. Wenn irgendwann wieder alles in Schutt & Asche liegt und Millionen ihr Leben gelassen haben, wird es erneut heißen: Nie wieder. Bis dahin könnte man eigentlich den Mund halten. So hoffnungslos wie die Entwicklung selbst sind die Debatten, die das Ganze begleiten.
von Max Erdinger
Es gibt Deutsche, die zur Äquidistanz aufrufen im Nahen Osten. Man solle sich um die Probleme im eigenen Land kümmern und zu den Konfliktparteien im Nahen Osten gleichermaßen Distanz halten. Der dortige Krieg sei schließlich nicht der unsrige. Daß sich Deutsche ohne Not Kriege zueigen machen, ist allerdings nichts Neues. Das war schon im Ersten Weltkrieg so, das war jetzt im Ukrainekrieg so und im Nahen Osten ist es wieder so. Deshalb bin ich mir nicht sicher, daß Deutschland vom Krieg in einem weiteren Sinne verschont bleiben wird. Es gibt bekanntlich genügend Sympathisanten der Hamas bzw. der “palästinensischen Sache” im Land und der Hass dieser Leute beschränkt sich nicht auf die Israelis, sondern er gilt allgemein dem kollektiven “Wertewesten” unter der Führung der USA. Die Terrorgefahr dürfte in Deutschland bereits jetzt signifikant erhöht sein.
“Russischer Mob stürmt Flughafen”, titelte “n-tv” und dokumentierte damit die ganze Perfidie, zu der deutsche “Qualitätsmedien” fähig sind. Tatsächlich hatte ein Mob den Flughafen Machatschkala in Dagestan gestürmt, um sich die israelischen Passagiere einer Maschine zu greifen, die kurz zuvor, aus Israel kommend, gelandet war. Der “russische Mob” bestand zu 100 Prozent aus Moslems unterschiedlicher Strömungen. Aber “russischer Mob”. In einem deutschen Sender. “n-tv” ist “RTL” ist “Bertelsmann”.
Vorgestern wurde ein Briefing bekannt, das beim ZDF für die Redakteure stattgefunden hatte. Es ging um die Wortwahl bei der Nahost-Berichterstattung. “Kämpfer der Hamas” z.B. darf nicht als Formulierung auftauchen und es hat jederzeit festzustehen, wer der Angreifer und wer der Angegriffene gewesen ist. Unterdessen ist noch immer nicht klar, weshalb das “beste Sicherheitskonzept der Welt” am 7. Oktober so katastrophal versagt hat. Die Weltöffentlichkeit wird mit Mutmaßungen und Spekulationen abgespeist, soll aber tunlichst wieder eine Haltung einnehmen. Die Empörung in den sozialen Medien fußt auf den “Informationen”, die den Nachrichtenhungrigen vom transatlantischen Mediennetzwerk geliefert werden – und es “funktioniert” schon wieder. Niemand stellt sich die Frage, weshalb die Hamas einen ganzen Gazastreifen und das Leben von Abertausenden von Palästinensern für 1.400 tote Israelis eintauschen wollte, obwohl doch offensichtlich ist, daß es sich dabei um ein sehr unvorteilhaftes “Geschäft” handelt und die Hamas vorher wissen konnte, wie die Reaktion auf die bestialischen Morde ausfallen würde. Es hat offenbar ein Krieg vom Zaun gebrochen werden sollen. Von wem?
Lernresistenz
Roger Köppel, Herausgeber der Schweizer “Weltwoche”, erklärte das Dilemma, in dem er steckt. Er versteht beide Seiten im derzeitigen Nahostkonflikt, weshalb er sich auch nicht bedingungslos auf einer der beiden Seiten verortet. Mir geht es genauso. Es ist keine drei Wochen her, als ich noch wusste, wem meine Sympathien voll und ganz gelten. Nach der bestialischen Terrorattacke auf israelische Zivilisten war ich kurz davor, voller Empörung und Wut “I Stand With Israel” zu skandieren, aber ich konnte mich beherrschen. Ich “stande” nicht mit Staaten, höchstens mit den Einwohnern von Staaten – und auf jeden Fall immer auf der Seite des Lebens. Drei Wochen nach der bestialischen Terrorattacke die Ernüchterung: Die israelische Regierung steht genauso wenig auf der Seite des Lebens wie die Terroristen von vor drei Wochen. Ihre “Entschuldigung”: Wir haben recht. Weil die israelische Regierung rechthat, wächst im Gazastreifen der Leichenberg. “Die haben angefangen”, heißt es. Gemeint ist nicht mehr nur die Hamas, sondern “die Palästinenser” allgemein. Die israelischen Zivilisten vor drei Wochen waren aber von Terroristen bestialisch abgeschlachtet worden, nicht von “die Palästinenser”. “Die haben angefangen” – so lauten die Rechtfertigungen im Kindergarten, wenn die liebe Tante Eleonore wieder einmal einen Streit schlichten muß.
Unterschied: Ursache und Auslöser
Es “funktioniert” wieder wie vor gut anderthalb Jahren in der Ukraine. Auf die Barrikaden! Aggressive Russen! Putin ist Hitler! Unprovozierter Angriffskrieg! Die arme Ukraine! Goliath verprügelt David! Laßt uns Steinschleudern liefern! Unter einem beispiellosen Bekenntniszwang brach sofort ein unbezähmbarer Bekenntnisdrang aus – und seltsamerweise, nein, nicht seltsamerweise, auch unter solchen, die bis zum 24. Februar 2022 gar nicht gewusst hatten, was für ein Land die Ukraine überhaupt ist und welche Vorgeschichte es gab. Die sozialen Netzwerke verwandelten sich in ein Meer von blaugelben Bekenntnisflaggen, in Berlin war die Ost-West-Achse ein einziges Flaggenmeer in blaugelb, der Oberkorrupte in der Ukraine wurde über Nacht zum Heiligen erklärt. Der Ukrainekrieg: Am 24. Februar 2022 ging er los, keinen Tag früher. Und sofort war klar, wer Täter und wer Opfer ist. Eine Rechthaberei, daß einem ganz schwindlig wurde. “Es heißt ‘Donbas’ mit einem ‘s’, nicht ‘Donbass’, du Depp!”. Einer schlauer als der andere. Tatsächlich gibt es eine ukrainische und eine russische Schreibweise. Die eine mit einem “s”, die andere eben mit zwei “s”. Was? Zwei Möglichkeiten für ein und dieselbe Sache? Gibt’s ja gar nicht. Das ist ja total hinderlich! Wie soll man denn da noch rechthaben?
So ist es jetzt wieder. Der Krieg in Israel ging am 7. Oktober los. Die viehische Abschlachtung israelischer Zivilisten am 7./.8. Oktober ist die Ursache. Nein, die war nicht Ursache, sondern Auslöser. Weil die Ursache bestanden hat, konnte die Tragödie, die seither stattfindet, ausgelöst werden. Eine Zündkerze nützt niemandem etwas, der kein Benzin im Tank hat. In den sozialen Netzwerken tobt allerweil wieder die Debatte der Rechthaber, wie schon im Frühjahr und im Sommer 2022 in Sachen Ukraine. Die Kanaaniter werden bemüht, die 3.300 vor Christus bereits im heiligen Land lebten, das auserwählte Volk, die zwölf Stämme Israels. Es gibt keine Palästinenser, weil es nie welche gab. Israel ist mit Fug & Recht das Land der “die Juden”. Moment, Land der “die Juden”? – Ja, ja, eigentlich schon, dachte ich mir, aber wie komme ich darauf, unterschiedslos von den “die Juden” zu reden? Ich rede doch sonst auch von den Katholiken, den Protestanten, den Anglikanern, den Baptisten, den Mormonen, den Wiedertäufern, bei den Moslems von Schiiten, den Sunniten und so weiter? Warum denke ich Juden als “die Juden”? Sofort wusste ich, weshalb mir das ausgerechnet bei den Juden so in Fleisch & Blut übergegangen war. Wegen der jahrhundertelangen Verfolgung der Juden in Europa, in Deutschland, in Russland und sonstwo. Es wurden immer “die Juden” verfolgt – und schließlich wurden von meinen Vorfahren 6 Millionen “die Juden” umgebracht. Weil sie “die Juden” waren. Ich selbst redete von “die Juden” als handele es sich bei ihnen um eine unterschiedslose Masse von absolut Gleichen. “Israel” und “die Juden” – das war in meinem Bewußtsein eine Einheit, ein “Happy End”. Ich war so froh, daß sie endlich ein eigenes Land hatten, in dem sie vor Verfolgung sicher waren, und die “die Juden” waren froh, daß sie ihr eigenes Land hatten. So dermaßen “Happy End” war “Israel” für mich, daß ich mich gar nicht mehr fragte, ob sich außer mir und den “die Juden” noch jemand freute, daß sie ab 1948 endlich ihr eigenes Land hatten. Ich hatte zwar wahrgenommen, daß dem nicht so gewesen ist, aber ich verbuchte das unter: Na ja, Moslems, Araber, notorische Antisemiten eben. Gottlob bin ich selbst keiner. Ich ein Antisemit? – damit könnte und wollte ich nicht leben.
Langer Rede, kurzer Sinn: Meine Sympathie für die Juden war nicht wirklich eine Sympathie für diese “die Juden”, sondern die Zufriedenheit darüber, daß sie wegen “meiner historischen Schuld” vor Verfolgung sicher waren. Ihrer Sicherheit und dem “Happy End” namens “Israel” galt meine Sympathie. Meinen jüdischen Freunden sowieso. Aber bei denen war es nie von großer Bedeutung, daß sie Juden sind. Sie sind Freunde. Ich unterscheide nicht nach “Freund” und “jüdischer Freund”. Und dann stellte ich fest, daß ich, weil mir das für meinen Hausgebrauch reichte, versäumt hatte, mich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, aus wem sich diese “die Juden” eigentlich zusammensetzen. Seit ungefähr zwei Wochen reicht mir “die Juden” nicht mehr, um nach gut & böse zu unterscheiden. Wie kam’s? Ich konnte mit der ganzen Rechthaberei in den sozialen Netzwerken nichts mehr anfangen. Ich konnte die Relevanz nicht erkennen, die es für Leute haben soll, die heute im früheren Palästina leben, daß dort vor über 5.000 Jahren die Kanaaniter wohnten und daß es die zwölf Stämme Israels gibt, das Exil der Israeliten in Ägypten, Moses und die Teilung des Roten Meeres. Ja schön, war so – und weiter? Bibel, gelobtes Land – und?
Tatsache ist, daß im gelobten Land eine Menge Leute leben, denen es verdammt egal ist, wer hier wann wem was genau gelobt hat. Es handelt sich um diese “die Palästinenser”. Totale Unsympathen. Wuah, was für gräßliche Leute. Ich habe früher schon Videos gesehen, wie es bei denen zugeht unter “menschlichen” Gesichtspunkten so. Nicht mein Fall. Absolut nicht mein Fall. “Tiere”, dachte ich mir – und gewußt habe ich: Menschen. Menschen, die Freude und Leid, Wut und Trauer, Hunger und Durst und alles das kannten, was ich auch kannte. Und die “die Juden” ebenfalls. Trotzdem totale Unsympathen, aber was soll’s? Wer wäre ich, die Existenzberechtigung eines Menschen danach zu beurteilen, ob er mir sympathisch ist oder nicht? Ja, diese Unsympathen machten das offenbar so. Hat man ja gesehen am 7. Oktober. Und nicht nur da. Und umgekehrt hat man das auch schon gesehen: Jigal Amir, Baruch Goldstein. Im gelobten Land tobte der Hass seit vielen Jahren. Die politische Kunst hatte darin bestanden, zu verhindern, daß es zum Massaker kommt. Sicherheit hatte Priorität. Gelang alles in allem ganz gut bis zum 7. Oktober.
Jedenfalls dachte ich mir, es könnte an der Zeit sein, sich doch noch einmal genauer mit der “Rechteverteilung” am Land im gelobten Land auseinanderzusetzen und dazu vielleicht nicht gar so weit in der Geschichte zurückzugehen. Wie war das eigentlich mit der britischen Verwaltung von Palästina zwischen 1917 und 1947? Was ist in der Zeit genau geschehen? Was hat es mit dieser Balfour-Deklaration auf sich? Wieso “palästinische Juden” im Jahr 1927? Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich weniger wusste, als ich eigentlich angenommen hatte. Beim Kriegsausbruch in der Ukraine am 24. Februar 2022 wusste ich wegen des Maidan-Putsches und seinen Folgen ab 2014 bereits mehr über die Ukraine, als ich am 7. Oktober über Israel und die Zustände in Palästina vor der israelischen Staatsgründung gewusst habe. Mit der Ukraine hatte ich mich 2013/2014 schon ausgiebig beschäftigt. Das kam mir 2022 zugute, auch wenn ein paar Jahre dazwischen lagen, die ihrerseits wieder von der Migrationskrise ab 2015 überlagert gewesen waren. Aber Israel? Das war eben gelobtes Land, Sicherheit, die Juden, der Holocaust, ich als “Gerade-wir-als-Deutscher”, jüdischer Staat, Israel und Happy End. Ich sah keinen Anlaß, das näher zu beleuchten. Ich wollte meine Ruhe haben. Ja, die Palästinenser, PLO, Arafat, Befreiungsbewegung, Terror – trallala – Hamasbald? Unkultiviertes Gelichter eben. Israel und aus. Jetzt nicht mehr.
Seit der Völkermord und das Kriegsverbrechen im Gazastreifen angelaufen sind: Jetzt nicht mehr! Von wegen die “die Juden”. Welche Juden? Welche? “Die Palästinenser” reicht mir. Ich mag sie nicht, sie interessieren mich nicht, aber sie sind da: Es sind Menschen. Palästinensische eben. Soviel Zivilisation darf schon sein.
Deutsche Debatten
In Deutschland bist du schneller Antisemit, als du “Papp” sagen kannst. Nicht, weil du tatsächlich einer wärst, sondern weil sich die, die dich so bezeichnen, vorsorglich schon mal in Sicherheit bringen wollen. Daß dem so ist, – dafür gibt es ein schier wahnsinniges Beispiel. In den sozialen Netzwerken postete gestern jemand das Bild eines Rabbis zusammen mit einem Zitat. Der Rabbi hatte behauptet, daß die jüdische Religion mehrere tausend Jahre alt ist, der Zionismus aber erst rund 100 Jahre – und daß die Zionisten Verräter am jüdischen Glauben seien. Das wurde nur gepostet. Niemand außer dem Rabbi hatte diese Behauptung aufgestellt. Aber es gab natürlich Kommentare. Ich habe zunächst keinen abgegeben, sondern beobachtet, wie sich die Sache entwickelt. Und pfeilgerade kam auch gleich einer dieser ach-so-bezeichnenden Rechthaber-Kommentare. Ganz egal, daß es das Zitat eines Rabbis gewesen ist: Derjenige, der das Zitat gepostet hatte, war glasklar der “Judenfeind”. Wenn das nicht irre ist? Nicht der jüdische Rabbi war der “Judenfeind”, sondern der Deutsche, der ihn samt seinem Zitat gepostet hatte. Faszinierend geht es zu in der Klapse, dachte ich mir. Aber ich hielt immer noch still. Nicht lange, und es kam der nächste Kommentar. Von einer deutschen Frau Doppelname. Viel hatte sie nicht zu sagen. Sie postete ein Gif, bestehend aus der israelischen Flagge und einem “I Stand With Israel”. Ihr eigener Textbeitrag beschränkte sich auf vier bis fünf Kotz-Smilies in Reihe und der provokanten Frage, ob sich von den Diskutanten in diesem Gesprächsfaden eigentlich niemand schämt? Hinter ihrem “schämt ihr euch nicht” platzierte sie nicht etwa ein Fragezeichen, sondern eine Reihe von Ausrufezeichen. Ganz klar: Sie wollte die Moralweltmeisterin sein, Rabbi hin oder her. Sie bekam noch eine kurze, gepfefferte Antwort von mir und ich war draußen aus der Debatte. Das muß ich mir nicht antun.
Die Manichäer
Seit dem 25. Oktober gibt es in den USA einen neuen “Speaker Of The House”, nachdem es drei Wochen lang keinen gegeben hatte. Kevin McCarthy war “gestürzt” worden. Mike Johnson heißt er, der Neue. Ich habe mir seine Antrittsrede vor dem Repräsentantenhaus zum Teil angehört. Nur so lange, bis mir schlecht wurde. Das ging schnell. Die USA haben ja wirklich eine ganze Reihe schwerster Probleme. Sein Topthema: Unterstützung für Israel. Na gut. Vorher natürlich der Dank an die Anwesenden für ihre Präsenz. Alles ganz liebe Leute. Besonderer Dank an den Amtsvorgänger, Kevin McCarthy, welcher der Nation seit 16 Jahren – Obacht: “selbstlos” – dient. Mike Johnson zufolge haben wir es heute, am 30. Oktober 2023, wieder mit einer “Achse des Bösen” zu tun. Russland, China, Iran und … Syrien? … nannte er. Das ist jetzt wieder die “Achse des Bösen”. Die USA – und selbstredend auch “Israel” – bleiben nach wir vor die “Träger des Guten”. Oh heilige Einfalt.
Ich habe keine Lust mehr, mir von irgendwelchen Amerikanern erklären zu lassen, wer die Bösen sind. Es sei denn, sie erklären mir, daß es die Amerikaner selbst sind. Also: bestimmte Amerikaner. “Neocons” zum Beispiel oder Demokraten. Oder die Redakteure der “New York Times”. Obwohl: Bei den Republikanern sieht es nicht viel besser aus. Mike Johnson, der neue “Speaker Of The House” ist einer. Lindsey Graham ebenfalls. Trump auch. Wenn der Herrgott ein Einsehen hat, dann scheißt er diese bigotte Drecksnation endlich zu. Dort gibt es nämlich “die Christen” so, wie es in Israel “die Juden” gibt und woanders “die Moslems”. Welche Christen? Hundert verschiedene Arten von “die Christen” gibt es in Amerika. Vergangene Nacht habe ich mir vor lauter gelangweilter Verzweiflung so ein Profanvideo bei YouTube angesehen, Titel: “The 50 most evil Christians in America”. Die fünfzig teuflischsten Christen in Amerika. Das Ganze in weniger als einer Stunde. Fernsehprediger, Mormonen, Baptisten, “prosperity preachers” – das sind die Allergeldgeilsten – , und alle schwören sie, sie liebten ihren Jesus. Und er sie sogar bald noch mehr. Einer nennt sich selbst einen “kleinen Gott”, alle scheffeln Geld wie Heu – und “In God We Trust”. Paying statt Praying. Und das Beste: Jeder von denen hat recht. Aber sowas von. Natürlich ist fast alles gequirlte Hühnerkacke. Mit der Bibel in der Hand ließe sich das überprüfen. Phil Collins lag schon richtig mit seinem Hit “Jesus He Knows Me”. Was für eine bigotte Bagage. Aber wer will heute schon noch lesen und verstehen? Ein Sessel zuhause reicht: Fernsehgottesdienst. Eine Meinung kann er auch so haben. Und eine Haltung sowieso. Wenn sie besonders kleidsam ist, dann auch besonders gern. Schwarz & weiß, Pro & Contra, Gut & Böse. Diese manichäische Haltung in ihrer ganzen Denkfaulheit wird den Untergang des in geistiger Dekadenz degenerierten “Wertewestens” gar perfekt machen.
Selbst zu Zeiten des Kalten Krieges wusste man, daß Kommunikationskanäle offen gehalten werden müssen. Heute nicht mehr. Jeder meint und findet den lieben langen Tag nach Herzenslust das, was ihm gefällt. “Gefällt mir”. Jeder hat recht. Die Realität ist immer eigenkonstruiert. Die Welt mit den Augen des Anderen zu sehen oder es wenigstens zu versuchen – das hat heute keiner mehr nötig. Alle berechtigt, alle superschlau, alle moralisch einwandfrei. Es ist zum Verzweifeln in seiner ganzen Ausweglosigkeit. Aber wozu Trübsal blasen? Eine Wette geht immer. Wollen wir wetten, daß die Bodenoffensive im Gazastreifen dereinst als der Anfang vom Ende des Staates Israel gelten wird? Oder lassen wir’s lieber bleiben in der Annahme, daß auch die Wettschulden niemand mehr einzulösen brauchen wird? – Ach egal. Von mir war’s das zum Thema Israel und Palästina. Ich werde nicht weiter darüber schreiben, sondern nur noch staunend beobachten. So lange es eben noch geht. Bis dahin ergötze ich mich am besten Zitat des kürzlich verstorbenen Gunnar Kaiser: “Die Idee von der freien Entfaltung der Persönlichkeit klingt ausgezeichnet. Bis zu dem Tag, an dem du jemanden triffst, dessen Persönlichkeit sich frei entfaltet hat.” – Und bumm!