Den Haag & Israel: Zionisten schwer unter Druck

Südafrikanische Anwälte haben in beeindruckenden, punktgenauen Plädoyers vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICJ) in Den Haag ihre Klageerhebung gegen die israelische Regierung begründet. Angeschlossen haben sich ihnen bislang 16 weitere Nationen. Der Vorwuf: Völkermord.

von Max Erdinger

Die Klage gegen die israelische Regierung umfasst 85 Seiten und beweist durch eine umfangreiche Sammlung von Fußnoten und die Listung zahlreicher Zitate von israelischen Spitzenpolitikern, daß im Gazastreifen nicht nur ein Völkermord stattfindet, sondern daß auch unabhängig von dem bestialischen Angriff am 7. Oktober einer geplant gewesen war. Umso grotesker sind die israelischen Versuche, sich gegen die Vorwürfe zu wehren. Es braucht neue Lügen. Die unverschämteste: Israel versuche, in seinem „Kampf gegen die Hamas“, diesem „Cervantes-Kampf gegen die Windmühlen“, so gut es geht, Zivilisten zu schonen. Das exakte Gegenteil ist der Fall. Es geht darum, so viele wie möglich zu ermorden. Es waren israelische Spitzenpolitiker und Medienleute, die auch keinen Hehl daraus machten. Das wiederum ist unwiderlegbar so.

Unter den über 20.000 ermordeten Palästinensern der vergangenen drei Monate befinden sich etwa 8.000 Kinder. Um diese Zahl einmal zu visualisieren: Das entspricht einer etwa 2 Kilometer langen Kolonne von 160 (!) durchschnittlichen Reisebussen, in denen jeder Sitzplatz mit einer Kinderleiche belegt ist. Von Gebäudeteilen zerquetschte, bis zur Unkenntlichkeit zermalmte Kinderleichen, von Sprengstoffen zerfetzte und verbrannte, tote Kinder, denen oftmals die Gliedmaßen fehlen.

Die Amaleks

Im Zusammenhang nicht nur mit den Palästinensern gibt es in Israel ein gebräuchliches Synoynm für die Bezeichnung des Todfeindes: Amalek. Der Begriff stammt vom biblischen Volk der Amalekiter ab und der göttlichen Weisung an die Israeliten, dem Volk der Amalekiter den Garaus zu machen, es mit Stumpf und Stil auszurotten. Niemand darf verschont bleiben, Frauen nicht, Kinder nicht, niemand. Allerdings sind die Amaleks nicht auszurotten, da sie per Reinkarnation immer wiederkehren und immer wieder aufs Neue ausgerottet werden müssen. Todfeind-Recycling, sozusagen. So wurde zum Beispiel der deutsche Kaiser Wilhelm II. zum Nachkommen der Amalekiter erklärt, weswegen ihn Rabbi Joseph Chaim Sonnenfeld beim kaiserlichen Palästinabesuch auch nicht empfangen wollte. Wer den Israelis nicht gefällt, wird leicht zum „Amalek“ erklärt. So zum Beispiel Wladimir Putin mit dem Beginn der russischen SMO in der Ukraine im Februar 2022. Nationalsozialisten wurden zu Amaleks, der ägyptische Präsident Nasser wurde zum Amalek und etliche andere mehr. Der Vorteil des „Amaleks“: Der Jude, der einen Amalek ermordet, folgt einer Weisung Gottes und ist daher nicht selbst für den Mord verantwortlich, da er nur Gottes Wort gehorchte. Über „islamische Gotteskrieger“ wissen „wir“ schon alles. Es ist an der Zeit, sich mit den „jüdischen Gotteskriegern“ zu beschäftigen. Genau darum geht es vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Die Palästinenser wurden erstmals 1974 zu „Amaleks“ erklärt. Zum gegenwärtigen Nahostkrieg heißt es bei „Wikipedia„: „Während des Israel-Gaza-Krieges 2023 wurden die Palästinenser bzw. die Hamas seitens israelischer Politiker und Medien vielfach mit den Amalekitern gleichgesetzt. In einer Rede am 28. Oktober 2023 bezeichnete der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die Hamas als eine Wiederholung der biblischen Amalekiter. Netanjahu zitierte Deuteronomium 25,17: „Du sollst daran denken, was Amalek dir angetan hat.“, wobei er die nachfolgenden Passagen, die zur Ausrottung der Amalekiter aufrufen (Vers 19, „Du sollst das Andenken an Amalek unter dem Himmel auslöschen. Vergiss nicht!“), ausließ“.

Die berühmte Auslassung. Nachgerade ein Wesensmerkmal des heutigen „Wertewestens“. Wen interessierte die Vorgeschichte des Ukrainekrieges? – Kaum jemanden. Der fing grundlos am 24. Februar 2022 an, weil: Putin böse. So einfach war das. In der Folge war dann die Rede von „Putins unprovoziertem Angriffskrieg“, dem exakten Gegenteil dessen, was tatsächlich Sache gewesen war. Henryk M. Broder als „Ukrainefan“ sinngemäß: Alles hat eine Vorgeschichte. Insinuation: Vorgeschichten haben generell nicht von Interesse zu sein. Ein hochmögendes Urteil ist auch ohne Berücksichtigung der Vorgeschichte gerecht. Typische Amalek-Denke. Amalek: Das perfekte Mittel zur fortdauernden Selbstexkulpation bei gleichzeitiger Verantwortungsverschiebung.

Wikipedia weiter: „Joshua Krug kritisierte Netanjahu dazu im Jewish News in Northern Carolina scharf: es sei taktisch, strategisch und moralisch falsch, die Hamas mit Amalek gleichzusetzen. Das Wort, das im heutigen Sprachgebrauch dafür steht, was der antike Text befiehlt, sei „Völkermord“. Netanjahus Sprachwahl sei „zynisch, manipulativ und gefährlich in einer Zeit des Krieges, in der Menschen weltweit seinen Worten zuhören und diese als Munition für die Behauptung hinzufügen, dass Israel einen Völkermord begehe.“

Arieh King, stellvertretender Bürgermeister von Jerusalem, erklärte dagegen anlässlich von Fotos, die von der israelischen Armee festgehaltene entkleidete Palästinenser in einer Sandgrube zeigten, dass man diese „Untermenschen“ mit Bulldozern lebendig hätte begraben sollen. Jede Erinnerung an die „Amalekiter“ müsse „ausgelöscht werden.“

Die israelische Armee bestätigte die Echtheit eines Videos, in dem israelische Soldaten unter anderem sangen, die Saat Amaleks zu tilgen, und dass das Verhalten der Soldaten nicht im Einklang mit den Werten der israelischen Armee stünde.

Die „Israel National News“ schrieb: „Amalek hat wieder sein Haupt erhoben, und dies ist die Botschaft, was wir ihnen antun sollen, wie es in 1. Samuel, 15 in Übereinstimmung mit Devarim 25 geschrieben steht. Lasst dies eine Warnung – und eine Richtlinie – für unsere Führer sein, die uns schon viel zu lange im Stich gelassen haben.“ Es folgte die biblische Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Samuel und Saul vor dem Hintergrund von Samuels Völkermordbefehl an den Amalekitern.

Aviel Schneider, Redakteur des deutschsprachigen israelischen Online-Mediums Israel Heute, setzte die Hamas mit Amalek gleich, und fragte, warum man sie nicht vernichten dürfe, wenn Gott doch die Ausrottung Amaleks geboten habe. Ryan Jones schrieb in einem Artikel desselben Mediums: „Israel ist endlich bereit, Amalek zu vernichten, aber die Christen (die USA und Europäer) lassen es nicht zu.“

Ob bei ihrem „Kampf gegen Amalek“ auch Leute ums Leben kommen, die gar nicht zu Amaleks erklärt worden waren, ist den vor Selbstgerechtigkeit stinkenden Nachfahren terroristischer Zionisten gegen Briten und Araber natürlich egal. In den vergangenen drei Monaten fanden über 100 Journalisten im Gazastreifen den Tod, mehr, als in jedem anderen bewaffneten Konflikt des 20. Jahrhunderts in so kurzer Zeit. Christen, Alte, Kranke – ganz egal: Der göttliche Auftrag zur Vernichtung der Amalekiter und ihrer jeweiligen Reinkarnationen rechtfertigt einfach alles.

Die zionistische Gehirnwäsche

Unterdessen werden immer mehr Videos aus der israelischen Zivilgesellschaft bekannt, wie sie oft in sozialen Netzwerken gepostet werden. Junge israelische Eltern, die ihre Kinder mit Palästinensertüchern „schmücken“, ehe sie die Kleinen, frisch geduscht und manierlich an einem reich gedeckten Tisch speisend, filmen, um so ihren Hohn und ihren Spott auszugießen über den palästineischen Kindern, die im Gazastreifen verletzt, dreckig, hungrig und durstend, von Seuchen bedroht, um ihr Überleben fürchten. „Kampf gegen die Hamas“ – eine Phrase für Vollidioten. Was im Gazastreeifen stattfindet, garantiert den Israelis weitere Jahrzehnte erbitterter Feindschaft der Palästinenser. Es tauchen Selfie-Videos auf von israelischen Teenagern, Mädchen, die kichernd und bestens gelaunt erklären, das Schicksal der Palästinenser sei ihnen vollkommen egal und daß man sie am besten alle umbringen sollte. Das wären dann, das Westjordanland eingerechnet, gute vier Millionen. In einem Volk, das einen wesentlichen Teil seiner Identität aus der Tatsache bezieht, selbst zum Opfer eines millionenfachen Völkermordes geworden zu sein. Ein 15-jähriger Gymnasiast ist zu sehen, der allen Ernstes erklärt, daß man „logischerweise“ auch die Babies im Gazastreifen töten müsse, da sie heute bereits prinzipiell nichts anderes seien als künftige Terroristen. Das alles in einem Staat, der sich selbst wesentlich auf Terrorismus gegründet hat.

Die Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof müsste angesichts der unwiderlegbaren Beweise gegen Israel eigentlich von Erfolg gekrönt sein. Der Haken an der Sache ist, daß sich alle Welt zugleich auch fragt, welche realen Druckmittel der IJC eigentlch hat, um seinen Urteilen Nachdruck zu verleihen. Es sieht nicht danach aus, als müssten Urteile des ICJ von Regierungen größer beachtet werden, die das schlicht nicht wollen. Zugleich eignet sich der ICJ aber auch vorzüglich, die elende Bigotterie der amerikanischen Außenpolitik zu illustrieren. In den USA gilt: Sollte es der ICJ wagen, Amerikaner etwa für Kriegsverbrechen anzuklagen, dann wird der ICJ in Den Haag selbst zum Ziel amerikanischer Vergeltungsmaßnahmen. Jedoch: Als Wladimir Putin mit einem Haftbefehl aus Den Haag bedacht worden war, hielten das dieselben Amerikaner für eine „gute Sache“.

Die weiteren Aussichten

Geopolitisch und militärstrategisch sieht es unterdessen übel aus für die Zionisten. Das „American Israel Public Affairs Committee“ (AIPAC) sieht sich im US-Kongress stärkerem Gegenwind ausgesetzt als je zuvor. Innerhalb des US-amerikanischen Politestablishments – auch innerhalb der Bidenregierung – tobt ein Grabenkampf zwischen denen, die Israel um jeden Preis der Welt unterstützen wollen, ohne sich zu überlegen, wie die militärischen Machtverhältnisse sich global in den vergangenen Jahren verschoben haben – und solchen, die das berücksichtigen und deshalb zur Zurückhaltung mahnen. Neutrale Militärexpereten aus aller Welt prophezeien nicht nur den USA eine blutige Nase, sollten sie sich im Nahen Osten stärker als bislang engagieren, sondern auch den Israelis als unmittelbare Folge dessen. Nicht mehr ausgeschlossen ist, daß die religiösen Zionisten, die in den vergangenen zwanzig Jahren stetig an Einfluß auf die israelische Politik gewonnen hatten, mit ihrem Völkermord gegen die Amaleks den Anfang vom Ende des zionistischen Staates eingeläutet haben. Das wäre dann „gut so“, wie ein ansonsten geschätzter Kollege angesichts des fadenscheinigen Widerspruchs der Israelis gegen die Klage vor dem ICJ kurz zu kommentieren beliebte. Es bleibt spannend. Nicht die ISraelis haben ein Palästinenserproblem, sondern die Palästinenser haben seit Jahrzehnten und Generationen ein Zionistenproblem.