Holger Zastrow zu seinem Austritt aus der FDP: Ich will den Leuten noch in die Augen schauen können.
Holger Zastrow war FDP-Politiker in Dresden, wo er gegen den Trend bei der letzten Wahl immerhin 20 % Stimmen auf sich ziehen konnte. Heute ist er aus der FDP ausgetreten.
Seine Rücktrittserklärung wird man vielleicht in 10 Jahren mal zitieren, wenn sich Menschen die Frage stellen, wieso alles so kommen konnte, und ist eine Generalabrechnung nicht nur mit seiner Partei, sondern darüber hinaus eine der treffensten Istbeschreibungen der ganzen politischen Misere in Deutschland.
Ich hab einige Zitate raus kopiert, den gesamten Text findet ihr in dem ersten Kommentar:
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Holger Zastrow, Austrittserklärung aus der FDP, 16.1.2024:
„Ich habe mich entschieden, die FDP heute zu verlassen. Wie bekannt, fremdele ich schon länger mit vielem, was unsere Partei heute ausmacht. Solange Guido Westerwelle die FDP führte, war es meine Partei. Mit seinem Sturz begann ein schleichender Entfremdungsprozess.
Bis zu den Bauernprotesten in Berlin. Ich habe mir alle Reden angehört, auch die unseres Bundesvorsitzenden. Ich habe die Reaktionen gesehen. Es war der Tiefpunkt in mehr als 30 Jahren FDP für mich. Wie schon mein Besuch auf der Protestdemo der Bauern, Spediteure, Handwerker und Gastronomen auf dem Theaterplatz in Dresden fasst mich das alles emotional an.
Es erinnert mich an 1989. Da stand ich schon mal auf dem Theaterplatz. Es ist ein Deja-vu. Ich sehe ganz normale Leute, meine Leute, eigentlich unsere Leute, Menschen, für die wir einst in den politischen Kampfgezogen sind und deren Interessen wir vertreten haben. Lauter fleißige Leute, die einfach ihre Arbeit machen, und die die Sorge um unser Land auf die Straße bringt.
Die Politik der Ampel ist aus meiner Sicht falsch und zwar so vollkommen, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Nahezu nichts entspricht meiner Erwartung, nichts ist wirklich gut für unser Land.
Der Fehler liegt auf der Hand. Wir haben uns nicht nur mit einem uninspirierten Kanzler und einer aus der Zeitgefallenen SPD ins Bett gelegt, sondern vor allem mit den Grünen. Diese Partei arbeitet nicht im Interesse unseres Landes. Sie hat mit ihren sektiererischen Zügen anderes im Sinn und will die Gesellschaft nach ihrem Duktus umgestalten – koste es was es wolle – und sie macht das erstaunlich konsequent. Ihr geht es nicht um die Menschen, nicht um Deutschland. Ihr geht es darum, Recht zu haben und unter Inanspruchnahme allerlei Bedrohungs- und Angstszenarien das Land fundamental umzugestalten. Auf Kosten liberaler Werte wie der Freiheit und der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit.
Überall agieren Überzeugungstäter, deren Biografien und berufliche Karrieren sie zwar zu nichts qualifizieren, die sich aber anmaßen, es stets und immer besser zu wissen. Längst regiert die Politik am Volk vorbei, längst hat sie die Bindung zu ihren Bürgern verloren, Randthemen sind wichtiger als die Grundlagen, Rituale wichtiger als ehrliche Arbeit, Wahrheiten werden genauso ausgeblendet wie der Blick auf die Realität. Man lebt in seinem Kokon, abgeschirmt von nicht wenigen Medien und Interessensvertretern, die ihnen eine Welt vorgaukeln, die es gar nicht gibt und die sie in gut und böse einteilen.
Die Politik, die Parlamente, die Parteien sind in einer schweren Krise. Das Berufspolitikertum und die Selbstbedienungsmentalität, überbordende Kompliziertheit und die Bürokratie der Parteiendemokratie macht Politik in bedenklicher Weise zu etwas Exklusivem für einige wenige, die diesen Status gern erhalten würden.
Die Rede des Bundesvorsitzenden zeigte, wie weit weg wir inzwischen von der Lebenswirklichkeit unserer Klientel sind. Am Brandenburger Tor standen nicht unsere Feinde. Da standen in relevanter Zahl auch unsere Freunde und Leute, die auf uns gesetzt haben. Wir haben sie verloren und ich befürchte endgültig…..
Ich lebe wohl in einer anderen Welt als meine Partei. Ich sehe andere Probleme und andere Lösungen. Ich will den Leuten noch in die Augen schauen können.
Danke für die Zeit!“