Die Bedenkenlosigkeit, mit der seit dem Ukraine-Krieg in Deutschland und Europa über Krieg gesprochen wird und Friedensverhandlungen verspottet und verächtlich gemacht werden, ist atemberaubend. Friedensverwöhnte und wohlstandsverweichlichte spätdekadente, realitätsfremde Parleure meinen, mit verantwortungslosem Geplapper alle Lehren aus dem Kalten Krieg ignorieren zu können und mit Denkmustern aus dem Voratomzeitalter, gekreuzt mit schwüler Moralpenetranz, auf einen Siegfrieden des „Wertewestens“ hineskalieren zu können, ohne dass dies irgendwelche katastrophalen Folgen berge. Nachdem man es sich jahrzehntelang unter dem militärischen Schutzschirm der USA bequem gemacht hat und vor allem Deutschland seine Streitkräfte bis zur Einsatzunfähigkeit heruntergespart hat, will man nun offenbar im Eiltempo sämtliche Versäumnisse nachholen und mit Hurra in den gerechten Kampf ziehen.
Nachdem Donald Trump, der schon während seiner Präsidentschaft immer wieder kritisiert hatte, dass Deutschland und andere NATO-Mitglieder ihrer Verpflichtung, mindestens zwei Prozent ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben, nicht nachkämen, drohte er nun sogar, säumige NATO-Mitglieder nicht gegen einen eventuellen russischen Angriff verteidigen zu wollen. Dadurch ist die Rüstungsdebatte in Europa noch hysterischer geworden. Katarina Barley, die SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl, nutzte Trumps Äußerungen, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen und fabulierte über eine europäische Atombombe als Teil einer europäischen Armee. Bundesfinanzminister Christian Lindner forderte in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die strategischen Nuklearstreitkräfte Frankreichs und Großbritanniens als „Element europäischer Sicherheit unter dem Dach der NATO weiter zu denken“. Es stelle sich nun die Frage, unter welchen politischen und finanziellen Bedingungen Paris und London bereit wären, die eigenen strategischen Befähigungen für die kollektive Sicherheit vorzuhalten oder auszubauen.
Atomkrieg aus dem Hinterzimmer
Lindners Parteifreundin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der die deutsche Unterstützung für die Ukraine gar nicht weit genug gehen kann, stellte sich natürlich umgehend gegen ihren Vorsitzenden: Sie meinte, das Thema solle „nicht in der Öffentlichkeit diskutiert“ werden. Zwar biete Frankreich Gespräche über Atomwaffen an, aber die Fähigkeiten des Landes reichten nicht als Schutzschirm, es habe „eine nicht vergleichbare atomare Abschreckung“ wie die USA. Nur die USA könnten einen über Jahrzehnte aufgebauten Schutzschirm anbieten, der etwa auch die baltischen NATO-Länder einbeziehe, so Strack-Zimmermann. Sie sei der Meinung „wir müssen konventionell stärker werden, wir müssen deutlich mehr in den Cyberbereichen machen“, fügte sie hinzu. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) warnte, „mit dieser Leichtfertigkeit eine solche Diskussion vom Zaun zu brechen, nur weil Donald Trump, der noch nicht mal Präsidentschaftskandidat ist, solche Äußerungen macht“.
Im Klartext gesprochen bedeutet also dies nichts weniger, als dass Strack-Zimmermann – die wohlgemerkt auch noch FDP- Spitzenkandidatin für die Europawahl ist – offenbar einen Atomkrieg aus dem Hinterzimmer befürwortet. Ihre Forderung, dieses buchstäblich überlebenswichtige Thema solle nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden und damit über dem Rücken der Menschen, die im Atomblitz als erste verglühen würden, wenn die westliche Moralkriegstreiberei eines Tages erwartbare Früchte trägt, spricht erneut Bände über ihr Politikverständnis. Sie bevorzugt offenbar die Geheimdiplomatie des 19. Jahrhunderts über die Köpfe der Menschen hinweg. Dann gäbe es nicht nur Millionen Tote, sondern auch Millionen unwissende Tote. (DM)