In den Fernsehnachrichten wird gemeldet, daß es in Münster einen Protestaufmarsch gegen einen Neujahrsempfang der AfD gegeben hat. Wegen des Protestaufmarsches konnten offenbar etliche Teilnehmer das Rathaus von Münster, wo das Ganze stattfand, nicht erreichen, und der Saal blieb halb leer.
Von Ulrich Vosgerau auf X
Die ARD meldet völlig-unparteiisch-süffisant: die Polizei habe den Teilnehmern geraten, möglichst früh anzureisen! Nun, eigentlich ist die Polizei nicht dafür da, Berufsträgern oder Politikern Ratschläge zur besseren Gestaltung ihrer Arbeitsabläufe zu geben, sondern ihnen den Weg zur Veranstaltung freizumachen – denn das Versammlungsrecht des Grundgesetzes bezieht sich von Anfang an nur auf geistige Auseinandersetzungen, also dastehen und Schild mit blöder Parole hochhalten, aber nicht: den Zugang zu verhindern.
Aber wie dem auch sei: das „breite Bündnis“, das den Teilverhinderungs-Zinnober veranstaltete, nannte sich offenbar „Keinen Meter für Nazis“. Das ist bemerkenswert. Ich persönlich bin ja eigentlich ein Liberaler, konservativ bin ich nebenher auch noch (früher war es umgekehrt). Als Liberaler bin ich gegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit, erst Recht, wenn das auch noch durch das Strafrecht geschieht. Zumal strafrechtsförmige Einschränkungen der Meinungsfreiheit passen nicht zu einem westlichen Verfassungsstaat.
Ich persönlich würde daher § 130 StGB („Volksverhetzung“) ganz einfach abschaffen. Solche Vorschriften gibt es ja anderswo auch nicht; keinem Dänen, keinem US-Amerikaner können Sie den deutschen Volksverhetzungsparagraphen erklären! Und wenn Sie es versuchen, sagt der Däne, bzw. der US-Amerikaner danach: „Merkwürdig, ich dachte bisher immer, Deutschland sei auch eine Art Demokratie“. Aber in einer westlichen Demokratie führt z.B. die Äußerung von exzentrischen, von der Fachwissenschaft nicht anerkannten Theorien über den vermeintlich wahren Ablauf bestimmter geschichtlicher Ereignisse eigentlich nicht ins Gefängnis. Der Volksverhetzungsparagraph hatte in den ersten Nachkriegsjahren seine Berechtigung, hätte aber irgendwann Ende der 1950er Jahre, als die Demokratie sich als stabil erwiesen hatte, wieder abgeschafft werden müssen.
Stattdessen zeigte und zeigt sich die umgekehrte Entwicklung: der Paragraph wird immer länger, immer neue Sachverhalte und Meinungsäußerungen wurden im Lauf der Zeit (als Linke und Grüne immer mehr Einfluß gewannen) zu Straftaten erklärt! D.h., Deutschland wurde tendenziell immer illiberaler und undemokratischer, obwohl gleichzeitig – auffälligerweise – der „lange Weg nach Westen“ (H.-A. Winkler) zum Ziel der Welt erklärt wurde. Die bisherige, metastasenartige Entwicklung des Volksverhetzungsparagraphen belegt jedenfalls nichts weniger als einen „langen Weg [der Bundesrepublik] nach Westen“. Ich persönlich würde daher auch das Zeigen des Hakenkreuzes tendenziell erlauben. Wenn ein Bürger dieses Symbol als authentischen Ausdruck seiner politischen Überzeugungen ansieht – warum soll er in einer entwickelten Demokratie eigentlich gezwungen werden, insofern zu lügen?
Und: wer das Hakenkreuz unbedingt zeigen will, aber nicht darf, findet ähnliche Symbole, die dieselbe Wirkung erzielen, nur eben nicht verboten sind. Das hat ja schon der Neonazi Michael Kühnen in den 1970er Jahren vorexerziert. Daß das Zeigen des Hakenkreuzes de lege lata eigentlich erlaubt sein müßte und nicht verboten, zeigt übrigens schon die einfache Überlegung, daß ja das Zeigen des roten Sterns oder des Hammer-und-Sichel-Symbols völlig legal sind! Und das ist völlig ungereimt. Das eine ist kein bißchen schlimmer als das andere, jedenfalls, wenn man auf die Entwicklung der Sowjetunion zwischen 1917 und 1953 abstellt.
Nun: wir haben in der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls keine ausgeprägt liberale Demokratie; die Meinungsfreiheit ist beträchtlich, und in immer wieder erweiterter Form, „strafrechtlich eingehegt“, die Rede vom „langen Weg nach Westen“ scheint, jedenfalls insofern, nur wohlklingende Rhetorik modischer Zeithistoriker zu sein. (Habermas sprach bekanntlich von „Fundamentalliberalisierung“: nun, beim Volksverhetzungsparagraphen jedenfalls nicht!). Aber wenn dem eben nun einmal so ist, und wenn sich hieran auch so schnell nichts ändern wird (vielmehr ist mit weiteren Verschärfungen und Ausweitungen des Volksverhetzungsparagraphens zu rechnen!):
Dann ist es nicht so recht begreiflich, warum es nicht verboten ist, lebende Mitbürger und identifizierbare Gruppen als „Nazis“ zu bezeichnen. Denn dies ist die schlimmstmögliche Verdammung, die nicht anders verstanden werden kann als der Ruf nach Vernichtung und Entrechtung. Also: entweder man hebt § 130 StGB auf. Oder man nimmt in ihn das Verbot auf, heute lebende Mitbürger oder identifizierbare Gruppen als „Nazis“ zu bezeichnen. Es ist schließlich auch, jedenfalls mit verbalen Mitteln, kaum ein größerer Angriff auf die Menschenwürde bestimmter Mitbürger und politischer Konkurrenten denkbar.
Und hier noch die Meldung dazu:
In Münster haben am Freitag 30.000 Menschen gegen die AfD demonstriert. Anlässlich des Neujahrsempfangs der AfD im Rathaus von Münster hatte das Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ die Versammlung angemeldet.
31 weitere Sozialverbände und Organisationen hatten ebenfalls zur Teilnahme an der Versammlung aufgerufen. Man werde „deutlich machen, dass in unserer Stadt weiterhin kein Platz für extrem rechte Hetze ist“, hieß es im Aufruf zur Demonstration.
Bündnissprecherin Liza Schulze-Boysen bemängelte, der Rechtsruck der vergangenen Jahre habe vor allem im sozialen Bereich zu massiven Einsparungen geführt. „Ganz im Sinne extrem rechter Parteien wie der AfD“, so Schulze-Boysen. „Wir stehen als Bündnis von Beginn an nicht nur gegen die extreme Rechte und ihre Politik ein, sondern auch für eine solidarische Lösung gesellschaftlicher Probleme, und fordern eine Politik, die eine Gesellschaft und Teilhabe der Vielen ermöglicht und fördert.“
Die Demonstration ist laut Polizei überwiegend friedlich verlaufen, allerdings hätten einige Demonstranten versucht, Teilnehmern der AfD-Veranstaltung den Zugang also deren demokratischen Grundrechte zu verwehren. „Wenn 30.000 Menschen bei Versammlungen friedlich ihre Meinung ausdrücken, zeigt das den Wert unserer lebendigen Demokratie“, resümierte die Polizeipräsidentin von Münster, Alexandra Dorndorf.
Am Freitag fanden bundesweit 18 weitere Demonstrationen gegen Rechts statt, darunter in Gladenbach (1.500 Teilnehmer) und in Kürten (1.200 Teilnehmer). Für das Wochenende sind über 100 weitere Veranstaltungen geplant. (Quelle: dts)
An.d.R.: Wäre Mitgliedern der Grünen der Zugang zur Veranstaltung durch „rechte“ Demonstranten verwehrt worden – was hätte es für einen Aufschrei gegeben!