Reichlich vorschnell ist im Westen das grauenhafte Massaker bei Moskau als islamistischer Anschlag gewertet worden. Doch allein die Nachricht, dass die mutmaßlichen Massenmörder aus Tadschikistan stammen, belegt das noch nicht.
Von Wolfgang Hübner
Die allermeisten Menschen in dem zentralasiatischen Land sind Moslems. Wenn die von russischen Sicherheitskräften verhafteten Personen tatsächlich die Täter in dem Konzerthaus waren, dann liegt nach den bislang vorliegenden Informationen der Verdacht nahe, dass es sich nicht um religiöse, auch zum Selbstopfer bereite Fanatiker, sondern um gedungene und bezahlte Killer handelt, deren Auftraggeber noch unbekannt sind.
Auffällig ist jedenfalls, dass die festgenommenen Männer auf dem Weg zur ukrainischen Grenze waren. Der Weg nach Tadschikistan ist ein ganz anderer. Da sie auf russischem Territorium mit Sicherheit über kurz oder lang aufgespürt worden wären, mussten sie versuchen, ins Ausland zu flüchten. Und zwar dorthin, wo sie sich sicher fühlen und ihren Blutlohn erhalten konnten. Da Russland mit der Ukraine im Krieg ist, konnten die Mörder darauf hoffen, wenn nicht gar darauf vertrauen, jenseits der ukrainischen Grenze ihren Verfolgern zu entkommen.
Das ist noch kein Beweis für die Verwicklung oder Verantwortung der ukrainischen Regierung oder Geheimdienste in das Geschehen, das so viele Menschenleben zerstört hat. Es könnte allerdings ein Indiz dafür sein, dass ukrainische Kreise, welche auch immer, beteiligt waren. Immerhin hätten diese das stärkste Motiv, Russland einen solchen Schlag zu versetzen. Hingegen ist es in Erwägung des während des Gaza-Krieges noch gestiegenem Ansehen Russlands in der islamischen Welt sehr unwahrscheinlich, ausgerechnet jetzt ins Fadenkreuz von Dschihadisten gekommen zu sein.
Sollte die Führung in Moskau zu der Überzeugung gelangen, in der Ukraine sei der Massenmord mit tadschikischen Auftragskillern geplant und in die Wege geleitet worden, könnten die Folgen für Kiew noch katastrophaler als ohnehin schon sein: Dann würde Russland schon aus Selbstschutz kein anderes Kriegsende akzeptieren können als die bedingungslose Kapitulation der Ukraine. Will der Westen dann für den Schutz von Terroristen einen Weltkrieg riskieren?