Wir erleben in diesen Tagen, dass deutsche Gerichte immer öfter regierungsfreundliche Urteile im Namen des woken Volkes verkünden. Ob es nun die Entscheidung des OVG in Münster war, das hunderte Beweisanträge der AfD entweder überhaupt nicht oder allenfalls oberflächlich geprüft hat, um am Ende zu dem erwartbaren Ergebnis zu kommen, dass die Einstufung der Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall zulässig sei. Letztlich befand man anhand einer auf tönernen Füßen stehenden Argumentationskette, dass eine völkische Ideologie zwar nicht prinzipiell illegitim sei.
Von Dennis Riehle
Es aber genügend Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Partei mit Blick auf die Menschenwürde zur Verwirklichung einer Zwei-Klassen-Mentalität bereit sei, die Personen mit Migrationshintergrund pauschal gegenüber Deutschen benachteilige und schlechterstelle. Dass es hierfür an einer konkludenten, plausiblen und nachvollziehbaren Beweisführung fehlte, ist nur eine von vielen Kritiken an dem Ausgang dieses Geschehens. Oder man blicke nur auf den Prozess gegen Björn Höcke, an dessen Ende eine Sanktionierung in Höhe von 13.000 Euro für drei aneinandergereihte Vokabeln steht, die nur deshalb von Bedeutung sind, weil sie – wie viele andere Parolen – in der dunklen Vergangenheit durch die SA verwendet wurde. Dass das Verfahren in einem Gebäude geführt wurde, an dessen Außenwänden ein deutlich schändlicheres Zitat aus der unrühmlichen Geschichte in Stein gemeißelt bleibt, macht die Doppelmoral sinnbildlich, mit Hilfe derer nach zweierlei Maß abgewogen wird. Immerhin ist es durchaus beachtlich, dass der Richterspruch sogar bei den linken Presseorganen auf Ablehnung stieß.
Denn würden wir den Gedankengang des StGB in dieser Widersprüchlichkeit fortführen, müsste sich jeder von uns rechtfertigen, der in einem zwischen 1933 gebauten Haus lebt, auf einer damals angelegten Straße fährt oder einen vom Hitler-Regime festgelegten Feiertag begeht. Die Absurdität dieses erbärmlichen Schauspiels offenbart sich auch in der internationalen Öffentlichkeit, die sich brennend für die aktuellen Entwicklungen in Deutschland interessiert – und nicht zuletzt auch einige Diktaturen und ihre Despoten neidisch auf unsere Zensur, Repression und Gängelung blicken lässt. Schlussendlich tut sich der Rechtsstaat keinen Gefallen damit, in manch einer inszenierten Dramaturgie nicht nur die Aufmerksamkeit der Bevölkerung vom Versagen der Ampel wegzulenken. Sondern jegliche Verlässlichkeit, Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit preiszugeben, wenn man sich im Vergleich den Ausgang von Abhandlungen gegen Politiker des Establishments ansieht. Da werden Steuerhinterzieher, Sozialleistungsbetrüger oder Besitzer von kinderpornografischem Material mit einer deutlich geringeren Geldbuße geahndet als nun der thüringische Spitzenkandidat der Alternative für Deutschland. Dass unter diesem Aspekt das Vertrauen der Menschen in die Funktionalität unserer Judikative verloren geht und das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit massiv mit Füßen getreten wird, spielt für die handelnden Akteure auch deshalb keine Rolle mehr, weil man sich über die vergangenen Jahre ohnehin in allen drei Gewalten sukzessive von den Bürgern entfernt hat.
Tatsächlich wurde das repräsentative System zu einem Freifahrtschein für alle Verantwortlichen in der Republik, die sich ihrer Sache deshalb sicher sind, weil die Gründungsväter der Verfassung nicht daran gedacht haben, einen Schalthebel für den Schleudersitz zu installieren. Und so klebt man in den Sesseln der Macht – und das voraussichtlich noch für 16 Monate. Dass man sich dabei auch der Unterstützung durch die Leitmedien sicher sein kann, belegt beispielsweise der Umstand, dass der selbsternannte Qualitätsjournalismus 100 Tagessätze für den blauen Anwärter auf den Ministerpräsidentenposten in Erfurt als Eilmeldung an die erste Position der Schlagzeilen setzte, während eine Nachricht nahezu überall in den Hintergrund trat, die im Gegensatz zur Verwerflichkeit einer „Nazi-Losung“ von deutlich widerwärtiger Dimension ist. Denn in Bochum schickte man den ehemaligen Vize-Bürgermeister von Lünen, der bis 2023 noch der Sozialdemokratie zugehörte, wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und anderer ähnlicher Delikte für dreieinhalb Jahre hinter Gitter. Was im Falle eines Funktionärs der Alternative zu einem Skandal aufgebauscht worden wäre, reicht bei den obrigkeitsverliebten Haltungskolumnisten allenfalls für eine Randnotiz. Da wird hinsichtlich der kritischen Opposition mit Kanonen auf Spatzen geschossen, um eine Nebelkerze zünden zu können, die das Verbrechen eines ehemaligen Genossen verwässern soll. Das informationsmonopolistische Kartell läuft also auf Hochtouren, um Wahrnehmung und Bewusstsein des Publikums zu manipulieren.
Der Aufschrei über ein zutiefst sittenloses, verachtenswertes und auf der niedrigsten moralischen Stufe angesiedeltes Gebaren eines einstigen SPD-Mannes wird unter Zuhilfenahme eines AfD-Schauprozesses im Keim erstickt. Wenn die Menschen nicht mehr den Eindruck haben, dass das verbriefte Prinzip der Rechtsgleichheit und -sicherheit eingehalten wird – und man die Unabhängigkeit und Autonomie der Robenträger stattdessen dazu nutzt, Entschlüsse mit fehlender Analogie zu fällen, erodiert die Glaubwürdigkeit des gesamten Gefüges. Denn der Anspruch eines jeden Angeklagten, ohne jedes Ansehen der Person behandelt zu werden, wird bis zum Äußersten gebeugt – und damit nicht nur Art. 3 GG verletzt. Man hebt wesentliche Merkmale einer freiheitlichen Ordnung aus den Angeln, wenn die Tugend der Verbindlichkeit nur noch ein Feigenblatt ist. Schlussendlich verfestigt sich die Annahme, dass Justitia zwar blind ist – aber nicht frei von einer persönlichen Gesinnung. Sie dürfte zwar eigentlich keine Rolle spielen. Aber da ich selbst einer beruflichen Zunft angehöre, die der Theorie nach zu Objektivität verpflichtet ist – durch ihr momentanes Agieren die Reputation aller publizistisch Tätigen allerdings auf das Niveau eines Schwerstkriminellen drückt und jegliche Unvoreingenommenheit und Vorurteilsfreiheit an der Garderobe der Redaktion abgibt, fällt es mir nicht allzu schwer, eine immanente Parteilichkeit auch dort nicht auszuschließen, wo aus Banalitäten ein Tribunal wird. Denn es braucht im Zweifel schon viel Naivität, um nicht zumindest auf die Vermutung zu kommen, dass manch ein Verdikt der Gegenwart politisch motiviert sein könnte.