Lange Zeit galten Märchen ein Stück weit als überholt, altmodisch und rückwärtsgewandt. Eltern verzichteten zunehmend darauf, ihren Kinder entsprechende Geschichten zu erzählen – und setzten stattdessen Vertrauen in die Macht flexibler Online-Lexika, in denen sich die Kleinsten später einmal darüber informieren würden, dass es sich bei den Gebrüdern Grimm eben nicht um ein 2000er-Popduo oder ein Influencer-Tandem der Neuzeit handelte.
Von Dennis Riehle
Doch nachdem in diesen Tagen so Manches ein Revival erlebt – man denke beispielsweise an die totalitären Tendenzen à la DDR, deren erneutes Aufkeimen bis vor kurzem kaum jemand für möglich hielt -, scheint es auch wieder en vogue, sich in das Land der Phantasie zu flüchten. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn man sich generell von der Wirklichkeit oder explizit ein paar aufgebrachten Bauern aus Schüttsiel verfolgt fühlt. Dass es für philosophisches Denken Kreativität und Einfallsreichtum braucht, können wir nicht erst bestätigen, seitdem uns die Ethikrat-Vorsitzende Buyx in die zauberhafte Parallelwelt der ach so ehrenwerten Corona-Maßregelung mitnimmt. Sondern es ist auch unser Vizekanzler von der Ostseeküste, der immer wieder aufzeigt, um wie viele Hirnwindungen man doch denken kann, um am Ende zu einem Ergebnis zu kommen, welches zufällig und punktgenau auf jene Situation passt, mit der man sich aktuell konfrontiert sieht. Und so fragt man sich am Ende, ob die Einlassungen von Robert Habeck auf dem kleinen Parteitag der Grünen entweder nur so versteht Dreistigkeit strotzen – oder ob das Maß der Verblendung mittlerweile derart groß ist, dass ein Amtsträger tatsächlich glaubt, er könnte seine Konkurrenten und die Öffentlichkeit augenscheinlich, plump und missgünstig mit einer haltlosen Tatsachenverdrehung überzeugen.
Es hat schon etwas von dem Versuch einer strukturellen und systematischen Volksverdummung, wenn sich derjenige von aller Schuld für die momentane konjunkturelle Entwicklung lossagen will, der mit seiner brachialen Transformation nicht nur dazu beigetragen hat, dass Unternehmen insolvent werden – sondern dass sie auch nichts mehr produzieren. Wenn sich unser oberster Klimaschützer also zu der Feststellung hinreißen lässt, dass der ökonomische Zustand der Republik im Jahr 2024 auf das Versagen von Friedrich Merz zurückzuführen sei, muss man sich doch einige Male kneifen, um sich klar darüber zu werden, dass wir uns nicht in einer Fiktion oder Simulation befinden – auch wenn wir erwiesenermaßen nicht weniger als einen versuchslaboratorischen Testlauf darstellen. Sondern wir sind in jener Realität, die dem Elfenbeinturm zunehmend auf die Pelle rückt. Zweifelsohne hat die CDU nicht nur den migrationspolitischen Sündenfall zu verantworten. Sondern sie ließ sich auch in einer völlig unüberdachten, reflexartigen und sinnfreien Entscheidung dazu hinreißen, aufgrund eines Tsunamis in einem Hafen am anderen Ende des Erdballs die hiesigen Atommeiler abzuschalten – und damit die Versorgungssicherheit in der Republik massiv zu gefährden. Es ist allerdings kaum an Argwohn zu überbieten, dass sich nun ausgerechnet ein dem Klüngel nachweisbar äußerst zugewandter Ökologist in die Unterstellung versteigt, die Christdemokraten hätten unsere Breiten in eine eindimensionale russische Abhängigkeit gebracht – und angesichts der zugespitzten Lage nach den Maidan-Protesten in Kiew und einer Okkupation der Krim durch Moskau versäumt, die Abnabelung vom Kreml voranzutreiben.
Immerhin ist es genau dieser Vertreter unserer Regierung, der bei den Scheichs in der Wüste einen Knicks macht – und die Kernkraftwerke in der Ukraine als eine sichere Technologie bezeichnet, welcher uns mit seinem Konzept der LNG-Pipelines in eine neue Responsibilität überführt. Ja, es war aus meiner Sicht ein kurzsichtiges Manöver, aufgrund des Krieges in einer falsch verstandenen, überhasteten und bedingungslosen Solidarität mit Selenskyi ohne jeden Gedanken an Nachhaltigkeit und Weitsichtigkeit aus der Energiepartnerschaft mit Putin auszusteigen. Denn auch wenn uns manche Waffenlobbyisten in diesen Tagen immer wieder suggerieren wollen, dass unsere Freiheit am Donbass verteidigt werde, so ist dieser Befund heute ebenso falsch wie damals, als man unsere Sicherheit am Hindukusch bedroht sah. Weil wir uns als überhebliche und anmaßende Instanz verstehen und uns als Weltpolizei überall einmischen müssen, nehmen wir uns wichtige Chancen auf Kooperationen mit Handelspartnern, die aus unserer westlichen Sicht nicht den ethischen Standards entsprechen, die wir als moralinsaure Idealisten jedem aufdrängen wollen, der sich für die Demokratie aus unterschiedlichen Gründen und völlig legitim nicht erwärmen kann. Geschäftsbeziehungen obsessiv mit einer normativen Erwartungshaltung zu verknüpfen, mag aus der Perspektive derjenigen erstrebenswert und sinnhaft sein, die sich in ihrem Puritanismus als etwas Besseres begreifen. Dass die Deutschen ausschließlich aus dieser Gemengelage mittlerweile die höchsten Preise für Strom bezahlen, ist eben nicht in erster Linie dem Wegfall von Lieferungen aus dem Ostern zu verdanken, sondern dem Egozentrismus, der Sturheit und einer deutschlandfeindlichen Boshaftigkeit der Ampel.
Denn wäre die exorbitante Teuerung in diesem Bereich ein überregionales Phänomen, würden auch andere europäische Staaten unter einer solchen Krise leiden. Dass sie dies aber nicht tun, beweist einmal mehr, dass die Ursachen für Inflation, Stagnation und Depression in einer ideologisch verbissenen Trendwende zu suchen sind, die sich Habeck auf seinem Reißbrett ausgedacht hat – dessen Konzept an Engstirnigkeit, Fehlsichtigkeit und Unbedarftheit jedoch kaum zu überbieten ist. Immerhin schottet ihn sein weltanschaulicher und parteilicher Dunstkreis vor jedem Rat von Experten ab, was die freigeklagten Dokumente zum AKW-Aus beweisen. Schlussendlich war es eine den Eid diametral verletzende Strategie, in einer internationalen und sicherheitspolitischen Ausnahmesituation auf Teufel komm raus eine die Artenvielfalt bedrohenden und die Landschaft zerstörenden Wunschträumerei durchzuboxen, die sich nicht nur als Rohrkrepierer offenbart. Stattdessen zeigen Logik und Vernunft bei unseren Nachbarn, dass wohl niemand auf diesem Globus derart gutgläubig und naiv erscheint, sich eine Zukunft völlig ohne Fossilität vorzustellen. Und sie ist auch weder erstrebenswert noch zielführend, weil es bis heute an belastbaren Belegen dafür fehlt, dass die Einsparung von CO2 maßgeblichen Einfluss auf unser perspektivisches Wetter hat. Deshalb war es nicht der aktuelle Parteichef der etablierten Opposition, der uns ins Unglück stürzte. Sondern ein von Heimatlosigkeit getriebener Doktor aus Lübeck, der sich Denkmäler setzen möchte. Und dem es letztlich auch egal sein dürfte, ob nun die Wirtschaft schlecht ist – oder lediglich die Zahlen.