Und jetzt singen wir alle: Europa den Bürgern, Grüne müssen raus, Grüne müssen raus – Döp dödö Döp. Hier weitere Reaktionen zum europäischen Rechtsbeben:
Schweden feiert die Europawahl und hört mal genau hin wie 🎶🤣
h/t @ElliotStabler92
— 𝙃𝙖𝙜𝙞𝙣𝙝𝙤 (@El_Haginho) June 9, 2024
Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel geht nach dem Debakel bei der Europawahl hart mit der Spitze seiner Partei ins Gericht. „Es ist falsch, alles der Regierung in die Schuhe schieben zu wollen“, sagte Gabriel dem „Stern“. Auch wenn deren Politik bei der Europawahl „klar abgestraft“ worden sei.
„Aber etwas anderes macht mich inzwischen nur noch traurig und wütend zugleich. Zusehen zu müssen, wie nach einer solch bitteren Niederlage die professionellen Gesundbeter und Ja-Sager schon vorbereiten, wie man spätestens übermorgen wieder zur Tagesordnung übergehen kann“, so Gabriel.
„In dem zu Recht gedrechselten Polit-Technokraten-Sprech wie `Wir werden das genau analysieren` oder `wir haben nicht das erreicht, was wir uns vorgenommen haben`, kommt immer ein Wort nicht vor: Verantwortung. Niemand sagt mal den Satz: `Ich übernehme dafür die Verantwortung`. Weder für den katastrophalen Wahlkampf noch für die völlig falsche Auswahl der Wahlaussagen und schon gar nicht für die Personalauswahl.“ Offenbar würden all nur daran denken, morgen irgendwie noch auf ihren Sesseln sitzen zu bleiben.
Die SPD hatte am Sonntag mit 13,9 Prozent ihr bislang schlechtestes Europawahl-Ergebnis aller Zeiten eingefahren.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm rechnet auch in Deutschland mit einer Neuwahl-Debatte. Die Entscheidung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Auflösung des Parlaments „dürfte diese Diskussion auch in Deutschland befeuern“, sagte Grimm den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die aktuellen Haushaltsverhandlungen seien „eine Sollbruchstelle“.
Grimm warnte zudem vor falschen Weichenstellungen in Europa beim Klimaschutz. „Viele Unternehmen haben ihre Geschäftsmodelle auf die Klimaschutzziele ausgerichtet. Es wird nun darauf ankommen, die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärker zu fokussieren, ohne durch Kehrtwenden beim Klimaschutz für Verunsicherung zu sorgen“, sagte sie. „Die kommenden Jahre werden extrem anspruchsvoll. Wenn wir uns in Europa nicht marginalisieren wollen, dann muss es gelingen, die Union wirtschaftlich stärker zu integrieren, nach innen – etwa über eine echte Kapitalmarktunion – und nach außen über Handelsabkommen.“
Das schwache Abschneiden der Grünen bei der Europawahl führt die Ökonomin auf eine falsche Klimaschutzpolitik zurück. Das Heizungsgesetz etwa habe „viel Vertrauen beim Wähler zerstört“, sagte sie den Funke-Zeitungen.
Grimm verwies auf die Verluste der Grünen gerade bei jungen Wählern. „Ein großes Problem erscheint mir, dass Klimaschutz nicht besonders überzeugend umgesetzt wird“, sagte sie. Statt sich mit der FDP auf einen marktorientierten Ansatz mit starkem Emissionshandel zu einigen, hätten sich die Grünen „dazu verstiegen, in großem Umfang mit Förderung und Subventionen zu arbeiten“. Dafür fehle aber das Geld.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wertet das Abschneiden bei der Europawahl als klaren Erfolg. „Wir sind heute Abend so etwas wie die Europameister der Herzen“, sagte BSW-Spitzenkandidat Fabio De Masi am Sonntagabend der ARD. Man nun „mit einer sehr positiven Grundstimmung“ in die kommenden Landtagswahlen in Ostdeutschland.
Die neu gegründete Partei trat erstmals bei einer bundesweiten Wahl an. Laut den Hochrechnungen von 22:15 Uhr von ARD und ZDF kommt sie im Mittel auf 6,1 Prozent. Stärkste Kraft sind CDU und CSU mit 30,3 Prozent. Dahinter folgen die AfD mit 15,9 Prozent, die SPD mit 14 Prozent und die Grünen mit 11,9 Prozent. Die FDP sehen die Sender im Mittel bei 5,1 Prozent, die Linke bei 2,7 Prozent und Volt bei 2,5 Prozent. Die Prognose für die ARD wurde von Infratest erstellt, die für das ZDF von der Forschungsgruppe Wahlen.
SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley zeigte sich vom Abschneiden ihrer Sozialdemokraten enttäuscht. Beim TV-Sender Phoenix kündigte sie an, die Wählerwanderung genauer zu analysieren, und sagte: „Wir haben die meisten an die Nichtwähler verloren, das ist sehr bemerkenswert, weil wir eigentlich dachten, der Kampf gegen rechts und auch die Demokratiebewegung, dass das unsere Wählerinnen und Wähler eher mobilisiert. Da müssen wir hinschauen, warum das nicht passiert ist.“
Der Rechtsruck in Europa sei kein neues Phänomen. Die Entwicklung in den Ländern setze sich bei der Europawahl fort. Zum Wahlerfolg der AfD sagte Barley: „Ich hätte mir gewünscht, dass die Skandale, die die AfD produziert hat – einen nach dem anderen – die Zustimmung dort auch deutlich geringer gewesen wäre. Ich finde, das muss allen Demokratinnen und Demokraten und uns als Gesellschaft zu denken geben, dass sie trotzdem so hohe Werte eingefahren haben.“
Sie erwarte nun mit Spannung, wie sich Ursula von der Leyen positioniere. „Für uns ist sehr wichtig, dass die EVP keine Bündnisse mit den Rechtspopulisten schließt. Wir stehen für alle Gespräche zur Verfügung, aber wir werden keine Bündnisse mit Rechtsextremen eingehen.“
AfD-Chef Tino Chrupalla, sieht derweil das starke Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl als Türöffner für Koalitionsverhandlungen. „Das gibt uns natürlich auch für die anstehenden Verhandlungen der nächsten Tage in Brüssel Rückenwind“, sagte er. Obwohl sich andere europäische rechte Parteien, darunter die von Marine Le Pen, zuletzt von der AfD abgrenzten, sei er „zuversichtlich, dass wir auch Bestandteil einer Fraktion, einer großen Fraktion sein werden“. Auf die Frage, welche Koalitionspartner das sein könnten, antwortete Chrupalla: „Das werden wir die nächsten Tage sehen.“
Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, spricht sich trotz des schwachen Abschneidens der Grünen bei der Europawahl gegen personelle Konsequenzen an der Parteispitze aus.
„Ich glaube, die beiden sind ganz klar die richtigen“, sagte er am Montag mit Blick auf die beiden Vorsitzenden, Lang und Nouripour, den Sendern RTL und ntv. „Es ging auch nicht um die beiden.“ Stattdessen müsse die Ampel-Koalition anders auftreten. „Ich glaube nicht, dass die Parteivorsitzenden das zentrale Problem sind. Es ist entscheidend, dass die Regierung besser performt.“
Hofreiter nannte mehrere Gründe für das schlechte Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl, darunter auch eigene Fehler wie etwa beim Heizungsgesetz. Hinzu komme der ständige Streit in der Ampelkoalition, zu dem auch die Grünen beigetragen hätten. Darüber hinaus seien die Menschen wegen der vielen Krisen verunsichert und es sei der Partei nicht gelungen, sie zu überzeugen, dass Veränderungen für Stabilität sorgten.
Hofreiter erwartet trotz des Wahldebakels eine Steigerung der Grünen bei der kommenden Bundestagswahl. „Es wäre wichtig, zu schauen, dass man weniger Fehler macht – und am Ende bei der Bundestagswahl muss das Ziel sein, ein besseres Ergebnis zu erzielen als 2021.“
An Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) übte der Grünen-Politiker unterdessen erneut scharfe Kritik. Ob Scholz noch der richtige sei, müsse die SPD entscheiden, sagte Hofreiter den Sendern RTL und ntv. Er habe die Erwartung, dass der Kanzler die Koalition endlich in ruhigere Fahrwasser führe – sicher sei er sich allerdings nicht, so Hofreiter. „Der Kanzler muss einfach klarer führen.“ Scholz spreche gerne über Besonnenheit, „aber Besonnenheit ist, vielleicht mal über eine Entscheidung zwei Wochen nachzudenken – was auch schon eine lange Zeit ist – und nicht ein halbes Jahr“.
Hofreiter forderte für die anstehenden Haushaltsverhandlungen Zurückhaltung von den Koalitionären, allerdings zeigte er sich über den Zustand der Ampel ernüchtert. „Wenn schon das Kabinett zerstritten ist, dann hat eine Regierung einfach ein Problem.“ Der Grünen-Politiker sprach sich dennoch gegen Neuwahlen aus. Damit würden nur Populisten profitieren. Wegen der unterschiedlichen politischen Systeme könne man die Situation auch nicht mit der in Frankreich vergleichen, wo Präsident Emmanuel Macron nach einer eigenen Wahlniederlage bei den Europawahlen das Parlament auflösen will. Zudem wolle Macron damit nur von eigenen Fehlern ablenken.
Der CSU-Vorsitzende Markus Söder fordert gravierende Änderungen in der Migrationspolitik, um bei den anstehenden Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg einen AfD-Erfolg wie bei der Europawahl zu verhindern.
„Diese Dinge müssen jetzt angegangen werden, sonst droht bei den Landtagswahlen im Herbst ein ähnliches Ergebnis – was für Deutschland und die Demokratie schädlich wäre“, sagte Söder am Montag den Sendern RTL und ntv. Migration bleibe ein Kernthema für viele Menschen in Deutschland. „Und die Ereignisse von Mannheim zeigen auch, dass es noch erhebliche Defizite gibt.“ Kanzler Olaf Scholz (SPD) kündige immer nur Maßnahmen an, es passiere aber nichts.
Söder fügte hinzu, dass man die AfD in Bayern relativ klein gehalten und mit 39 Prozent das beste Ergebnis innerhalb der Union erzielt habe.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat ein für seine Partei ernüchterndes Fazit der Europawahl gezogen. „Wir müssen festhalten: Das Ergebnis hat was mit der Ampel zu tun, daran kommt niemand vorbei“, sagte er dem Fernsehsender „Welt“.
Nicht nur der Auftritt der Ampel, sondern auch das, was man verkörpere an Politik, die man mache, werde in Teilen der Gesellschaft abgelehnt und nicht gewollt. Dabei habe die SPD im Prinzip auf die richtigen Themen gesetzt, so Kühnert – aber „wegen der Ampel“ hätten sich dann doch viele gegen die SPD entschieden.
„Ich kann für meine Partei festhalten, dass wir ja in den Nachwahlbefragungen sehen: Die Themen, die wir gesetzt haben, soziale Gerechtigkeit, auch Kampf um Frieden in Europa, waren durchaus für viele Menschen die Themen dieser Zeit, waren auch für Sie wahlentscheidend“, so der Generalsekretär. „Sie haben uns deswegen aber nicht unbedingt gewählt.“
Den Ausspruch von Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, wonach die Ampel am Ende sei, wollte Kühnert zwar so nicht unterschreiben – aber perspektivisch sieht auch er diese Gefahr: „Die Ampel stand nicht direkt zur Abstimmung gestern, aber alle drei Parteien haben klar verloren. Das findet auch kein Stimmenaustausch zwischen den Parteien statt, sondern eine Abwanderung im Moment nach außen.“ Man könne für den Moment festhalten: „Wenn sich das nicht signifikant ändert bis zum nächsten Jahr, dann war es das mit der Ampel. Einfach weil sie keine Mehrheit mehr haben wird.“
Neuwahlen will Kühnert aber derzeit nicht. „Ich glaube nicht, dass es unserer Demokratie guttut, wenn nach jeder verlorenen Landtagswahl oder eben auch einer Europawahl wir immer zu Neuwahlen kommen“, so der SPD-Politiker. „Es gibt andere westliche, demokratische Länder, da sehen wir das, was passiert, wenn jedes Jahr neu gewählt wird, siehe Israel und andere mehr.“ Zur politischen Stabilität trage es nicht bei.
„Man muss die Ampel nicht gut finden oder den sozialdemokratischen Bundeskanzler. Aber man sollte respektieren: Die Ampel hat eine Mehrheit vor drei Jahren bei der Wahl bekommen“, fügte Kühnert hinzu. Die habe sie noch ein Jahr. „Sie bringt ihre Gesetze im Bundestag durch. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die Koalition zerfallen würde.“ Und insofern bleibe es dabei:“ Wir haben noch ein Jahr und müssen uns in diesem Jahr aus dem Tal herausarbeiten, in dem wir zweifelsohne im Moment drin sind.“
Kühnert ging auch selbstkritisch mit seiner Rolle als Wahlkampfmanager um. Es sei auch sein Ergebnis. „Nun haben wir nicht nur wegen der Plakate 13,9 Prozent bekommen. Aber auch ich muss für mich festhalten: Die Kampagne hat keinen Turnaround, sozusagen, hingekriegt. Das werden wir für uns hier in der Parteizentrale auch auswerten müssen. Auch die Bundestagswahl Kampagne im nächsten Jahr wird einen anderen Angang haben müssen, wenn da ein besseres Ergebnis bei rauskommen soll.“
Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif ist wegen des Ausgangs der Europawahl besorgt. „Künftig werden noch mehr Abgeordnete im Europarlament sitzen, die den menschengemachten Klimawandel leugnen“, sagte er am Montag der „Frankfurter Rundschau“. Das bedeute, dass es das Thema Klimaschutz künftig noch schwerer haben werde, als es ohnehin schon der Fall sei.
Latif, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft des Thinktanks „Club of Rome“ ist, befürchtet, dass Europa als Vorreiter für den Klimaschutz ausfallen könnte. „Damit erhöht sich die Gefahr eines ungebremsten Klimawandels, der die Menschheit ins Chaos stürzen würde“, so der Wissenschaftler.
Martin Sonneborn, Spitzenkandidat der Satire-Partei „Die Partei“, kündigt für Abstimmungen im neuen EU-Parlament ein ständiges Nein an. „Wenn wir eine rechte Mehrheit im Parlament haben, könnte das meine Arbeit sehr vereinfachen“, sagte Sonneborn der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Dann könnte er nämlich „permanent mit Nein stimmen“.
Angesichts der vorläufigen Ergebnisse rechnet Sonneborn mit einer Rechtskoalition: „Ich spekuliere darauf, dass es eine rechte Koalition geben wird aus der EVP – also der CDU und ihren Schwesterparteien -, mit Le Pen, mit Meloni und mit anderen rechten Kräften“, sagte Sonneborn. Der Wahlerfolg der AfD sei dabei nicht ausschlaggebend: „Ich glaube, die AfD ist gar nicht so entscheidend im Europäischen Parlament. Es gibt viele rechte Parteien. Und es gibt schon lange eine Zusammenarbeit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit rechten Kräften.“
Das Ergebnis seiner eigenen Partei wertete Sonneborn trotz Stimmverlusten als Erfolg: „Das war ein hervorragendes Wahlergebnis“, kommentierte der Vorsitzende und Spitzenkandidat. „Alle sind betrunken und freuen sich, dass die Partei mit etwa zwei Prozent zwei Mandate in der nächsten Legislatur hat und dass Sibylle Berg mit nach Brüssel muss.“
Die zukünftige Zusammenarbeit mit der neu in den Politikbetrieb stoßenden Autorin Berg skizzierte er dabei wie folgt: „Die Aufgabenverteilung ist relativ simpel. Ich werde jetzt die Füße auf den Tisch legen. Sibylle Berg muss arbeiten. Das ist immer so in den ersten fünf Jahren.“
In seiner ersten Amtsperiode hatte Sonneborn abwechselnd mit Ja und Nein gestimmt. Später hatte der Satiriker sein Abstimmungsverhalten verändert und sich zumeist den Linken und Grünen orientiert. (Mit Material von dts)