In Europa geht die Angst um. Denn durch immer mehr Länder weht ein Geist von frischem und couragiertem Patriotismus. Was insbesondere der linken Bevölkerungskohorte ein größtmöglicher Dorn im Auge sein dürfte, scheint gerade jene nicht wirklich zu verwundern, die mit einer gewissen Ernüchterung, Rationalität und Pragmatismus auf die Straßen unserer Groß- und Kleinstädte blicken.
Von Dennis Riehle
Schnell wirft man mittlerweile mit Totschlagargumenten und Wortgewalt um sich – und verortet vom Wertkonservativismus bis zum Identitarismus alle Strömungen und Ideologien kurzerhand unter dem gemeinsamen Terminus des Rechtsextremen. Dass es in unserer Gesellschaft hinsichtlich Bildung, Aufklärung und Kenntnis über die Definition all der Vokabeln nicht allzu gut bestellt ist, mit denen man Menschen und ihre Überzeugungen über einen Kamm scheren will, scheint nicht nur aufgrund der Pisa-Ergebnisse ein wenig überraschender Befund. Es besteht kaum ein Bewusstsein über die Ursprünge von Faschismus und Neonazismus – und ihrer deutlichen Unterschiede und Abgrenzungen zu einer gesunden Vaterlandsliebe und einem Bekenntnis zur Integrität und Souveränität von Staat und Volk. Stattdessen bemüht man sich in einer homogenen Verallgemeinerung um die Verwischung jeglicher Trennlinien, um in einer möglichst einfachen Pauschalisierung diejenigen in einen gemeinsamen Topf werfen zu können, die sich in einer bunten Republik dazu entschlossen haben, ihre Empathie zur Heimat entweder wieder- oder völlig neu zu entdecken. Eine Mentalität der Verabsolutierung und Abstrahierung führt uns immer weiter in den Zustand von gemeinschaftlicher Spaltung und zivilisatorischer Polarisierung. Wer sich in einer solchen Atmosphäre die Mühe macht, über den eigenen Tellerrand zu blicken und sich nicht damit zufrieden zu geben, hinter einer Brandmauer stehend beständig Dreck, Hass und Hetze auf die andere Seite zu werfen, hat schon per se meinen größtmöglichen Respekt verdient. Besonders überrascht hat mich die Tatsache, dass sich ein Medium zu diesem Drahtseilakt bereiterklärt, welches gerade in der jüngeren Vergangenheit nicht dafür bekannt geworden ist, mit größtmöglicher Untendenziösität oder Unvoreingenommenheit zu berichten.
Daher spreche ich Miriam Lau von „Die Zeit“ durchaus mein Lob für ihre faire, über weite Strecken sachliche und die Grundsätze einer integren Publizistik einhaltende Reportage über den sogenannten „Vordenker“ der Bewegung der Neuen Rechten, Benedikt Kaiser, aus. Auch wenn ich mich mit der Glorifizierung von einzelnen Persönlichkeiten stets schwertue, so ist der immer wieder als „völkischer Nachwuchsideologe“ bezeichnete Politikwissenschaftler zweifelsohne ein hochkarätiger Intellektueller, der mit einem enormen philosophischen, geschichtlichen, psychologischen und politischen Verständnis Zusammenhänge nicht nur auf einem qualitativ hochwertigen Niveau referieren, sondern insbesondere Menschen auch für eine Überzeugung begeistern kann. Hierbei spielen auch sein mitreißendes Charisma und das authentische Wesen eine entscheidende Rolle. Denn seine Thesen sind nicht nur profunde und bis zu Ende durchdacht, sondern sie scheinen in ihrer Argumentationskraft auch dazu geeignet, Vorurteile und Ressentiments mit Klugheit und Wachheit zu entkräften. Denn es gelingt dem 1987 geborenen Autor vorbildlich, sich insbesondere auch in das Gegenüber hineinzuversetzen – und Denkfehler bei denjenigen zu entlarven, die in ihrer Aufgeregtheit des Progressivismus kurzerhand über die Stränge schlagen. Er baut sein Konstrukt über die Motivation, Beweggründe und Dynamik der „Nouvelle droite“ auf einem soliden, belastbaren und tragfähigen Fundament auf – und nähert sich ihrem Bewusstsein nicht allein über das Konzept des Ethnopluralismus. Stattdessen nimmt der Stratege eine antikapitalistische Haltung ein, welche sich aber gleichermaßen nicht äquivalent zu einem sozialistischen Denken darstellt. Denn seine Anschauung und Augenmerk richtet sich vor allem auf die schädigende Wirkung des Globalismus für die heimische Ökonomie – und die Folgen von multinationalem Konzerngebaren, welche den Stellenwert der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit drastisch reduzieren. Aus seiner Überzeugung braucht es eine Verknüpfung der sozialen Frage mit einem wesenseinheitlichen Bedürfnis jeder einzelnen Spezies, welche sich sogar mit dem Vorrangigkeitsgebot aus der Bibel problemlos in Einklang bringen lässt. Denn es ist mitnichten verwerflich oder anrüchig, unter dem Gesichtspunkt von Barmherzigkeit und Gnade zunächst den Fokus auf die eigene Gruppe und ihre Bedürftigen zu lenken – bevor man erarbeitete Ressourcen und Kapazitäten auch für den Fremden aufwendet.
So wird zwar einerseits der Blickwinkel vorrangig auf die inhärente Totalität eines Ganzen manifestiert. Dieser Perspektivenwechsel geht aber nicht mit einer prinzipiellen Herabwürdigung der kollektiven Produktivität einher. Stattdessen erteilt Kaiser einer Manier des Imperialismus im Sinne einer transatlantischen Abhängigkeit eine Absage – und richtet die Konzentration auf die ausdifferenzierten und vielfältigen Potenziale jedes Gefüges. Gleichzeitig gelingt die Erweckung von neuem Anstand und Achtung vor den phänotypischen Merkmalen eines Miteinanders – ohne damit in irgendeiner Form von Rassismus zu verfallen. Viel eher betont auch er die Unabhängigkeit, Unantastbarkeit und Unversehrtheit einer jeden Klasse in positiver Konnotation als Ausdruck von Singularität und Exklusivität. Diese Hervorhebung ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einer Herabwürdigung oder Geringschätzung des Anderen. Im Mittelpunkt steht das Prinzip der Besinnung auf die ursprüngliche Anordnung der verschiedenen Gattungen auf einem evolutionär vorgegebenen Raum, in deren Arrangement sie die Möglichkeit zur Bestimmung, Wiedererkennung und Konstatierung haben. Immerhin ist es das ureigenste Ansinnen nicht nur des Homo sapiens, sich vornehmlich in einem Kreis an Verwandten zu bewegen, mit denen man beispielsweise Sprache, Brauchtum, Tradition, Historie, Religion, Konventionen, Sozialisation, Verwurzelung oder Konformität teilt. Es ist stets die böswillige Unterstellung, mit einem solchen Ehrempfinden wäre gleichzeitig eine Diskriminierung oder Schlechterstellung des Auswärtigen verbunden. An der Menschenwürde hält die Neue Rechte ebenso fest wie an der Individualität aller Mitglieder innerhalb und außerhalb des Zusammenschlusses. Sie lässt sich auch nicht generell als rückwärtsgewandt oder altbacken abtun. Stattdessen vergegenwärtigt sie sich das hohe Gut von Bewährtheit, Funktionalität und Erwiesenheit des Früheren – ohne sich einem maßvollen, in ethischen Grenzen verbleibenden und unter Abwägung des Nutzens stattfindenden Fortschritt zu verweigern. Die Betonung von Normativität, Sittlichkeit und Ästhetik sind Ausdruck der reziproken und mutuellen Intaktheit des Milieus, welches man im Vergleich zu den weiteren Genres zwar stilisiert, aber nicht idealisiert. So erweist sich eine „New Right“-Geisteshaltung als fundamental selbstbewusst und stolz, aber nicht radikal absolut und universell. Und sie ist damit nicht nur kompatibel mit der unberührten Existenzberechtigung aller Geschöpfe und Ordnungen, sondern befürwortet gar deren Prosperität in einem Komplex einer dezent symbiotischen und interagierenden Affinität.