Die Demoskopen haben in diesem Fall gute Arbeit geleistet. Das ist der nüchterne Befund über den Ausgang der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Denn die Ergebnisse liegen nahe an den Umfragen der letzten Wochen. Allzu große Überraschungen gab es deshalb nicht. Und doch hat sich die politische Landschaft in Deutschland maßgeblich verändert. Insbesondere das Landesparlament in Erfurt wird sich mit Blick auf die Sitzverteilung drastisch ändern.
Von Dennis Riehle
Gleich mehrere der dortigen Zielsetzungen wurden eindeutig verwirklicht. Nicht nur, dass die AfD mit Abstand stärkste Kraft geworden ist und für eine Regierungsbildung ein Bündnis aus allen anderen vier Fraktionen nötig ist. Auch die Sperrminorität wurde mit dem Überschreiten der 30-Prozent-Marke erreicht, wodurch künftig wichtige Gesetze durch die Alternative für Deutschland blockiert werden können. Das gilt beispielsweise bei Verfassungsänderungen oder der Besetzung von bestimmten Richterämtern. Die CDU steht nicht nur angesichts der Plagiatsaffäre um ihren Spitzenkandidaten Mario Voigt ziemlich bedröppelt da. Nicht nur sie wird sämtliche gesinnungsethischen Hürden überwinden müssen, um den geschmähten Mettbrötchen-Duellanten als Ministerpräsidenten zu verhindern. Wer hätte vor noch nicht allzu langer Zeit gedacht, dass die Christdemokraten im Osten vor einer Situation des Heulens und Zähneklapperns stehen würden. Sie müssen sich im Zweifel mit einer Partei gemeinmachen, deren Spitzenkandidat hunderttausende Bürger als „braune Arschlöcher“ bezeichnet hatte.
Konservativismus und Progressivismus, Patriotismus und Kommunismus, Liberalismus und Ökologismus. Wie man also die äußerst divergenten Weltanschauungen zueinander bringen will, scheint gerade unter dem Aspekt einigermaßen ungewiss, dass es ein verheerendes demokratisches Zeichen darstellt, die deutlich in Führung liegende Kraft gänzlich aus der Beteiligung an Regierungsverantwortung ausgrenzen zu wollen. Da zog man einst noch eine Grenzlinie gegenüber den geistigen Vertretern von Marx und Engels. Doch die Brandmauer zur Alternative für Deutschland wiegt in der aufgeschreckten Korrektheit noch immer schwerer als die sozialistische Kröte, die man gegebenenfalls wird schlucken müssen. Und so dürften die moralinsauren Wächter über ein pluralistisches Weltbild in einer infantilen, widersinnigen und trotzigen Manier eisern an der Kontaktscham gegenüber dem vom Souverän unmissverständlich ernannten Sieger festhalten, die mittlerweile in den Stand des Goldenen Kalbes erhoben wurde – und somit der Abbruch aller anderen Tabus notwendig ist, die man dem einfachen Mann doch eigentlich zu halten versprochen hatte. So agiert man auf Kante genäht und im Bewusstsein darüber, dass der politische Sündenfall eintritt, wenn man sich als einstiger Repräsentant der gemäßigten Rechten um eine Allianz mit dem äußerst Linken bemüht. Ohnehin dürfte eine schwierige Koalitionsbildung bevorstehen.
Schließlich genießt ein Miteinander aus vier verschiedenen Partnern nicht einmal den Status einer Zweckehe, sondern jenen einer Verzweiflungstat, um des kleinsten gemeinsamen Übels willen. Der ausgeworfene Bumerang gegen die Blauen kommt nun in voller Härte zurück. Und dies gilt insbesondere dann, wenn sich keine feste Gemeinschaft installieren lässt. Sollte es also lediglich ein geduldetes Unterfangen sein, steht dieses auf tönernen Füßen und einem fragilen Fundament. Schließlich wird sich erst zeigen müssen, ob das BSW nach so kurzer Zeit seit der Gründung tatsächlich ein verlässlicher Partner sein kann. Denn die Gräben und Zerwürfnisse innerhalb der von Sahra Wagenknecht angeführten One-Woman-Show sind in den letzten Monaten deutlich geworden. Da spricht man vor Ort unverhohlen aus, dass man diejenigen nicht weiter separieren kann, die bis zu einem Drittel der Wählerstimmen erhalten haben. Gleichzeitig ist man auf Bundesebene noch zurückhaltend, was eine zumindest punktuelle Kooperation mit der AfD angeht. Im Zweifel wird Höcke auch ohne eigenes Mandat dafür sorgen können, das dem ein oder anderen Akteur des Kartells schlaflose Nächte bevorstehen. Dass SPD und Grüne nicht aus beiden Plenarsälen geflogen sind, ist angesichts des massiven Versagens der Scholz-Dynastie eine ernüchternde Feststellung. Noch immer gibt es genügend Naive und Verblendete in unserer Republik, die die Messermorde auch weiterhin als Einzelfälle einstufen. Sie haben sich von antifaschistischen Parolen der Saskia Esken, der Katrin Göring-Eckardt oder des Lars Klingbeil beeindrucken lassen.
Und man muss hier nicht nur eine ausgeprägte Lethargie attestieren, die ein solches Votum ermöglichen. Sondern eine unsere innere Sicherheit und Ordnung in größte Gefahr bringende Gutgläubigkeit, die den kulturellen Identitätskampf Mitteleuropas weiter anheizt. Zwar ist das krachende Versagen und das Schrumpfen auf das Niveau einer Nischenpartei jener Schuldigen eine Genugtuung, die seit mittlerweile drei Jahren in Berlin nicht nur den prosperierenden Exportweltmeister abgewrackt haben. Stattdessen beschleunigen sie dank der hochgehaltenen Sogeffekte und Pull-Faktoren die weitere Verdrängung der deutschen Integrität – und betreiben darüber hinaus einen Zensur und Repression geprägten Totalitarismus, der doch eigentlich den Menschen im Osten noch geläufig sein sollte. Natürlich finden sich die Anhänger von Habeck oder Baerbock in der Lage eines kompletten Bedeutungsverlusts wieder. Ein Ausscheiden aus der legislativen Partizipation wäre allerdings das eigentlich notwendige Signal gewesen. Dass noch immer 17 Prozent der Stimmen in Sachsen jenen zufliegen, die die Öffentlichkeit mit einer schauspielerischen Abschiebung von 28 Schwerstverbrecher nach Afghanistan zu manipulieren versuchten, muss durchaus zu denken geben. Wenngleich es nicht für das Zusammengehen von Schwarz, Grün und Rot ausreicht – und wiederum das BSW das Zünglein an der Waage sein wird, überrascht die Anwesenheit von sechs Parteien im Abgeordnetenhaus in Dresden doch.
Zwar dürften die Alternativen auch hier dafür sorgen, die Alteingesessenen nicht nur Ruhe kommen zu lassen. Dennoch ist die vom Regenbogen inspirierte Farbpalette mit den konträrsten Kolorationen eine gewisse Zumutung für den gesunden Menschenverstand. Immerhin fragt man sich, woher diese Profanität und Simplizität rührt, mit denen man erneut für die Abrissbirnen Deutschlands votierte. Letztlich wird die Gesetzgebung in den sogenannten neuen Bundesländern nunmehr zu einer zähen Angelegenheit. Und manch ein Sesselkleber wird erleben, wie es sich anfühlt, vom politischen Gegner „gejagt“ zu werden. Man hat sich diesen Erdrutschverlust redlich verdient. Und auch das Angewiesensein auf einen zutiefst brüchigen Blumenstrauß, der zwar wunschgemäß bunt sein wird, aber in dem einige Mitstreiter im Zweifel ihr Profil bis zur Unkenntlichkeit verwaschen oder die Seele verkaufen müssen, ist eine angemessene Retourkutsche des Bürgers. Es geht also weit über einen Dämpfer oder eine Klatsche hinaus, wenn die im hauptstädtischen Elfenbeinturm residierenden Ampelaner mit einer Ausnahme in die Einstelligkeit katapultiert wurden. Aus der Perspektive des „Wessis“ weiß man nunmehr, dass man sich auf das Pendant an Elbe und Gera verlassen kann. Die ideologische Transformation eines aus dem Dornröschenschlaf wachgeküssten Volkes hat begonnen. Es bleibt noch Luft nach oben, aber die Ausgangslage ist mehr als komfortabel.