Der ehemalige Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Politik der Ampelkoalition geht. In einem Interview mit der Neuen Züricher Zeitung setzt er sich kritisch mit zentralen Themen auseinander. Besonders das Verbrennerverbot, der Atomausstieg und die Schuldenbremse stehen dabei im Fokus seiner Kritik. Er fordert ein radikales Umdenken in der deutschen Politik (nzz: 03.09.24).
Zudem sei es nicht gelungen, das Interesse junger Migranten am dualen Ausbildungssystem zu fördern. Die Folge: Die Leistungsfähigkeit der Schulen sinke insgesamt. Auch kritisiert er den aktuellen Trend zur Work-Life-Balance, der das traditionelle Arbeitsethos verdrängt habe.
Staatsschulden als Risiko für die Wirtschaft
Ein weiteres zentrales Thema ist für Sinn die Schuldenpolitik. Während viele Länder wie die USA und Italien verstärkt auf schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme setzen, bleibt Deutschland dank der Schuldenbremse vergleichsweise zurückhaltend. Sinn unterstützt diesen Kurs und bezeichnet Staatsschulden als „Rauschgift für die Wirtschaft“. Er argumentiert, dass staatliche Ausgaben private Investitionen verdrängen und das Geld in ineffiziente Projekte fließe. Politische Entscheidungsträger seien oft weniger kompetent als private Investoren, da sie nicht dasselbe persönliche Risiko tragen.
Anders als viele seiner Kollegen hält ehemalige Chef des Ifo-Instituts nichts von einer Lockerung der Schuldenbremse. Er betont, dass Deutschlands Schuldendisziplin entscheidend für die Stabilität der Eurozone sei. Seiner Meinung nach sollte die Bundesrepublik auf keinen Fall von dieser strikten Finanzpolitik abrücken. Die Kritik anderer Ökonomen, dass mehr Schulden notwendig seien, um wichtige Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung zu finanzieren, teilt er nicht. Er hält daran fest, dass der Staat nicht in der Lage sei, solche Investitionen effizient zu steuern.
Umweltnutzen von Elektroautos infrage gestellt
Besonders scharf kritisiert Sinn die Umweltpolitik der Ampelkoalition, insbesondere das Verbrennerverbot. Seiner Meinung nach bringt der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor keinen nennenswerten Vorteil für die Umwelt. Er argumentiert, dass die sinkende Nachfrage nach Öl lediglich die Preise senke, wodurch andere Länder mehr Öl kaufen und verbrennen könnten. „Der Effekt der Verbote ist nicht nur klein, sondern gleich null“, so Sinn.
Darüber hinaus sieht er katastrophale Folgen für die deutsche Wirtschaft. Er prophezeit, dass Deutschland seine eigene Industrie schwächen werde, während andere Länder davon profitieren könnten. Diese harsche Kritik teilt er schon seit Jahren, was ihm viel Widerspruch eingebracht hat. Experten wie Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung widersprechen seiner Darstellung vehement. Sie weist darauf hin, dass der Ölmarkt deutlich komplexer sei, als Sinn es darstelle, und dass der CO₂-Ausstoß durch die EU-Politik tatsächlich gesenkt werde.
Rückkehr zur Atomkraft?
Sinn plädiert auch für eine Rückkehr zur Atomkraft, um die Energiepreise in Deutschland zu senken. Er spricht sich dafür aus, die abgeschalteten Kernkraftwerke wieder ans Netz zu bringen und gleichzeitig in neue Technologien wie Flüssigsalzreaktoren zu investieren. Diese könnten, so Sinn, langfristig eine stabilere und günstigere Energieversorgung ermöglichen. In diesem Punkt findet er sogar Unterstützung, etwa bei der CDU, die ähnliche Vorschläge gemacht hat. Ob und wann solche Reaktoren zur Verfügung stehen, bleibt jedoch offen, da sie sich noch in der Entwicklung befinden.
Internationale Zusammenarbeit im Klimaschutz
Auch in der Klimapolitik äußert Sinn Kritik. Er hält internationale Vereinbarungen wie das Pariser Klimaabkommen für unzureichend. Seiner Ansicht nach können nur globale Abkommen, an denen alle relevanten Länder teilnehmen, eine echte Lösung im Kampf gegen den Klimawandel bieten. Er verweist dabei auf den „Klimaclub“, eine Initiative, die mehr internationale Kooperation fördern soll. Kritiker entgegnen jedoch, dass es bereits zahlreiche internationale Abkommen gibt und die Bemühungen der EU und anderer Länder zu positiven Ergebnissen führen.
Insgesamt zeichnet der ehemalige Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, ein düsteres Bild der deutschen und europäischen Politik. Seine Vorschläge rufen jedoch ebenso heftige Gegenstimmen hervor, da viele seiner Aussagen im Widerspruch zu aktuellen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erkenntnissen stehen. Die Debatte bleibt damit weiter offen.