Brandenburg: Warum die verlockende These vom “Briefwahlbetrug” abwegig ist

Ein Kommentar von Daniel Matissek

Im Netz überschlagen sich derzeit wieder die Unkenrufer und üblichen raunenden Fundamentalskeptizisten, die mal wieder einem ganz großen Ding auf der Spur sind: Sie wittern Wahlbetrug angesichts auffälliger Abweichungen zwischen den Präsenz- und Briefwahlergebnissen bei den maßgeblichen Zweitstimmen in Brandenburg. Weil bei der SPD die Briefwahlergebnisse der mit denen der Urnenwahl ungefähr deckungsgleich waren (Briefwahl: 32 Prozent, Urnenwahl: 30,4 Prozent), während sie bei der AfD deutlich abwichen (Briefwahl: 17,5 Prozent, Urnenwahl: 34,8 Prozent),  vermuten sie Betrug und Manipulation. Das scheinbare Argument: Es könne solch große Abweichungen nicht geben, im Großen und Ganzen müssten Briefwahlstimmen den Wählerwillen ähnlich repräsentativ abbilden wie die Präsenzwahlstimmen – dies vor allem, weil in Brandenburg fast jeder dritte Wähler per Briefwahl abstimmte. Von freien Medien zitierte Hobbyjournalisten und Blogbetreiber dozieren da etwa ahnungsfrei: “Eine andere Möglichkeit als massiver Wahlbetrug bei den Briefwahlstimmen ist völlig undenkbar. Eine derartige Abweichung ist bei einem so großen Anteil an der Grundgesamtheit (ein Drittel) mathematisch schlichtwenig nicht möglich.” Doch, natürlich ist es das… wie im Nachfolgenden kurz erläutert werden soll.

Zunächst einmal weist nicht das Briefwahlergebnis der AfD, sondern auch das von CDU und BSW erhebliche Abweichungen vom Urnenwahlergebnis auf: Die Union kam bei den per Post Wählenden auf 16,6 Prozent, an der Urne nur auf 10 Prozent. Beim BSW waren es 16,9 Prozent Briefwählern gegenüber 11,9 Prozent in den Wahlkabinen. Die Unterschiede in den Ergebnissen bei beiden Wahlformen sind also, trotz der hohen Basis von einem Drittel aller Wahlberechtigten, kein nur die AfD betreffendes, sondern ein parteiübergreifendes Phänomen. Die Erklärung dafür ist eigentlich denkbar simpel.

Erklärung für Abweichungen sind recht simpel

Briefwahl wurde früher fast nur von Urlaubenden, Verreisten oder im Ausland lebenden Wählern genutzt und von denen, denen eine Präsenzwahl zu beschwerlich und mühsam ist – Kranke, Gebrechliche, Alte. Der Anteil der letztgenannten Gruppe vergrößert sich in Deutschland seit Jahrzehnten stetig – auch und gerade im zusätzlich von Abwanderung geprägten Osten. Der demographische Wandel führt dazu, dass es immer mehr Senioren, Pflegebedürftige und Hochbetagte gibt, und gerade diese Gruppe gibt ihre Stimme immer häufiger per Brief ab. Speziell Brandenburg weist eine der ältesten deutschen Durchschnittsbevölkerungen auf: Mit einem Median von 47,3 Jahren – laut Volkszählung 2022 – landet es auf Platz 13 von 16 Bundesländern, mit weiter fallender Tendenz. Als ländlich geprägtes Flächenland mit wenigen Ballungszentren und relativ weiten Wegen (auch zum nächsten Wahllokal) ist es geradezu prädestiniert als “Briefwahlland”.

Wen aber wählt nun diese ältere Bevölkerung? Exakt so, wie wir es gestern in den Detailauswertungen gesehen haben: Überwiegend die traditionellen Parteien. Ob nun aus lebenslanger Gewohnheit, dank und mangelnder Information und öffentlich-rechtlicher Propaganda (hier liegt deren Hauptzielgruppe!), aus emotionalen Gründen (“Landesvater Woidke“ als Vertrauensgarant) – jedenfalls erhält hier der Begriff “Altparteien” eine sinnfällige Doppelbedeutung. Die SPD erzielte eine satte absolute Mehrheit bei den über 70-Jährigen und stellte bei 60plus die mit weitem Abstand stärkste Kraft; auch die CDU schnitt hier deutlich besser ab. Und so erklären sich auch die vielen Briefwahlstimmen für diese Parteien. Das ist kein Hexenwerk und kein Schwindel. Hinzu kommt verstärkend, dass ausgerechnet die AfD-Wähler – aufgrund schon seit vielen Jahren (vor allem seit der US-Wahl 2020) kursierender Zweifel und Gerüchte um die Briefwahl als mögliches Einfallstor für Wahlmanipulation – eine starke Aversion gegen diese Wahlform hegen und deshalb davon statistisch deutlich seltener Gebrauch machen. So erklären sich die wenigen Briefwahlstimmen für die AfD.

Der Skandal liegt woanders

Und noch etwas spricht gegen die Theorie vom Briefwahlbetrug: Überall in Ostdeutschland ist die AfD auf allen Ebenen der politischen Teilhabe, bis in die Kommunen hinab, deutlich breiter aufgestellt, vernetzt und in der Bevölkerung verwurzelt als im Westen. Gemeinden ohne AfD-Mandatsträger und aktive Mitglieder gibt es hier schlicht nicht, weshalb auch praktisch kein Gremium existiert, in dem keine Vertreter der Partei sitzen. Das gilt auch und gerade für Wahlausschüsse, ehrenamtliche Wahlhelfer und Wahlkommissionen. Während es im Westen durchaus denkbar ist (und vermutlich auch nicht selten vorkommt), dass bei der Stimmauszählung ausschließlich Vertreter der selbsternannten Demokratieretter zugegen sind, die sich gemeinschaftlichen Wahlbetrug per Stimmentwertung oder -falschzählung zu Lasten der AfD – aktiv oder durch Wegsehen – noch als tatkräftigen Kampf gegen den drohenden Faschismus schönreden, ist so etwas im Osten kaum möglich, einfach weil bei jeder Auszählung ein AfD-Anhänger oder zumindest -sympathisant anwesend ist. Deshalb verfängt die Wahlbetrugsthese gerade in den neuen Ländern am allerwenigstens. Wenn überhaupt, sind Unregelmäßigkeiten hier die absolute Ausnahme. Wäre es anders, wieso wurde dann ausgerechnet in Thüringen von den “Manipulatoren” zugelassen, dass die dortige AfD mit der größten Reizfigur der Partei, Björn Höcke, mit Abstand stärkste Kraft wurde? Es mag vereinzelte Vorfälle geben – die Wahlfälschungsvorwürfe gegen die “Freien Sachsen oder die “Softwarefehler“ bei den Grünen-Hochrechnungen in Sachsen etwa –, doch das ist etwas völlig anderes als staatlich exekutierter, systematischer Wahlbetrug, wie er hier ja unterstellt wird.

Überhaupt: Wenn schon betrogen wird – warum dann so ineffizient? Wieso wurden dann gestern nicht auch die Grünen im Landtag gehalten, wieso erreichten SPD und BSW oder SPD und CDU dann nicht genug Stimmen für eine Zweierkoalition als Regierungsmehrheit? Wieso schmierte die AfD dann nicht noch viel weiter ab gegenüber den Genossen als um lediglich 1,7 Prozent? Wenn schon, denn schon… oder? Nein: Die Brandenburger Resultate haben andere Gründe; und hier waren tatsächlich Kräfte am Werk, die man gleichwohl als nicht weniger bedenklich, manipulativ oder demokratieverachtend bezeichnen kann: Das taktische Paktieren der Einheitsfront zu Lasten der einzigen Realopposition; das Zurückstehen jeglicher Inhalte im Dienste einer schieren Verhinderungswahl; die maximale Unfairness gegen die AfD im Vorfeld durch einseitige zwangsgebührenfinanzierte ÖRR-Gehirnwäsche à la “Die 100 und Wahleinmischungen in Firmen und an Schulen. Diese Zustände sind es, die wir als kritische Medien anprangern müssen – und das ist es, was sich in Zukunft nicht mehr wiederholen darf! Wer von diesen realen, skandalösen Machenschaften ablenkt durch paranoide, umplausible und unlogische Wahlbetrugsspekulationen, diskreditiert die seriöse Kritik und bedient letztlich nur das Geschäft des überkommenen Parteienkartells.