»Das Ergebnis muß rückgängig gemacht werden« – legendär der bis dahin wohl demokratieverächtlichste Satz eines CDU-Politikers. Doch was die damalige Bundesvorsitzende Angela Merkel kann, können wir schon lange, dachte sich wohl die Thüringer CDU-Fraktion – und setzte die konstituierende Sitzung des Landtags mit Wucht gegen die Wand.
Ein Kommentar von Fabian Schmidt-Ahmad
Die Machtergreifung der Mettbrötchen
Wenn künftigen Schülern einmal vorgeführt wird, wie es zum Zerfall der Demokratie in Deutschland kam, sind es vielleicht diese Filmaufnahmen. Hier auf der einen Seite jener Mann, lebensweise an Jahren, aber merklich nicht im Parteiapparat großgeworden, der bedächtig versuchte, die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags zu einem angemessenen Ende zu bringen. Dort das eitle, auf Beifall einstudierte Geschrei von Berufspolitikern: »Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung!«
Nein, nicht im Geringsten. Tatsächlich arbeitete der AfD-Abgeordnete Jürgen Treutler als Alterspräsident des Thüringer Landtags lediglich die Aufgabe ab, die ihm die gültige Geschäftsordnung des Landtags auferlegt: Nämlich für die konstituierende Sitzung zügig die Wahl eines Parlamentspräsidenten sowie seiner Stellvertreter durchzuführen, damit das Plenum die Arbeit aufnehmen kann. Sowohl die Thüringer Verfassung als auch die Geschäftsordnung des Landtags sind hier erfreulich klar und eindeutig.
Sich selbst am Schopf aus dem Sumpf ziehen
Das Problem an der Sache: nach eben dieser Geschäftsordnung besitzt die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht für den Parlamentspräsidenten. Und das ist nun einmal die AfD. Das aber wollen die anderen Fraktionen nicht akzeptieren. Der Trick dabei: Sie tun jetzt einfach so, als wenn der Landtag bereits zu Beginn der Sitzung sich konstituiert und damit geschäftsfähig wäre. Denn dann könnten sie diese Regelung durch Mehrheitsbeschluß ändern. Um sich anschließend– ohne AfD-Parlamentspräsidenten – zu konstituieren.
Rein rechtlich entspricht das dem berühmten Bild von Münchhausen, der sich an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht. Was mit dem Sumpf passiert, in den die übrigen Fraktionen den Landtag verwandelt haben, muß nun der Thüringer Verfassungsgerichtshof klären. Eine begründete Entscheidung zuungunsten der AfD zu fällen dürfte ihm allerdings sehr schwerfallen. Nicht nur wegen der eindeutigen Rechtslage. Auch zeigen die übrigen Fraktionen durch ihr Betragen, daß sie selbst nicht an ihre Argumentation glauben.
Die Gegner glauben nicht an die eigene Argumentation
Denn angenommen der Fall, der Landtag wäre tatsächlich in dem Augenblick geschäftsfähig, wo sich die gewählten Abgeordneten versammeln und der Alterspräsident die Sitzung eröffnet, würde er damit zugleich alle Rechte und Pflichten des Landtagspräsidenten ausüben, die Verfassung und Geschäftsordnung vorsehen. Doch eben das bestritten die übrigen Fraktionen durch ihr Verhalten. Unfassbare Szenen der Demütigung spielten sich ab, indem Ordnungsrufe und Anweisungen hämisch ignoriert wurden.
Besonders tat sich hierbei die CDU hervor, die sich gemeinsam mit den Kommunisten des BSW zum tumultarischen Wortführer machte. Und als erste kommunistische Lektion wohl das dreiste Lügen übernahm. »Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung!«, schrie der Abgeordnete Andreas Bühl in den Saal – dessen eigener Bruder übrigens für die AfD im Bundestag sitzt. Schon rein formal verhält es sich natürlich genau umgekehrt. Die CDU will hier mit fragwürdigen Mitteln zur Macht.
Größenwahn könnte durchaus ein Problem sein
Dabei hätte es die CDU sehr viel bequemer haben können. In der vergangenen Legislaturperiode zeichnete sich bereits lange vor dem Wahlsonntag ein deutlicher Sieg der AfD ab. Auf eine zwar moralisch verkommene, aber rechtlich einwandfreie Weise hätte sie daher vorbeugend eine entsprechende Änderung der Geschäftsordnung im Parlament durchsetzen können. Allerdings legt das spätere Verhalten nahe, daß bei dem Landesverband Größenwahn durchaus ein Problem sein könnte.
In dem »Mettbrötchen«-Streitgespräch mit dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke kündigte sein CDU-Kontrahent Mario Voigt an, diesen bei der Landtagswahl zu schlagen. Tatsächlich erklärten ihn die ARD in der Wahlnacht auch zum Wahlsieger »mit den meisten demokratischen Stimmen«. Das dürfte nicht unbedingt zur psychischen Gesundheit der CDU-Fraktion beigetragen haben. Anders ist nicht zu erklären, wie sich diese auf ein solches Hasardeurspiel einlassen konnte.
Nun muss sich der der Thüringer Verfassungsgerichtshof entscheiden (hat es ja schon, An.d.R.), ob er sich als Psychiater betätigen und dieser Hybris ein Ende setzen wird. Oder ob er einen, selbst für staatsrechtliche Laien leicht zu erfassenden Rechtsbruch deckt und damit die Demokratie massiv beschädigt. In beiden Fällen wird die AfD als Gewinner hervorgehen. Ob Rechtsstaat und Demokratie gleichfalls gestärkt hervorgehen werden, wird sich noch zeigen müssen. In jedem Fall dürfte sich die CDU angemessen dem Wahlvolk präsentiert haben.