Unbeugsam, wenn der Freiheitswille stärker als die Angst ist

Reise in die Freiheit – ein persönlicher Rückblick ins Jahr 1989

Der 30. September 1989, kein Tag wie jeder andere, damals in der DDR. Der Tag an dem Hans- Dietrich Genscher die Ausreisegenehmigung für DDR Bürger vom Balkon der Prager Botschaft verkündete.

Von Karina Tier

Ein Lichtblick für fast alle DDR Bürger und große Freude für die Menschen in der Prager Botschaft. Hätte es nicht funktioniert und hätte Genscher dies nicht getan, wir wussten alle, wie Böse das enden würde.

Die Eltern verhaftet und die Kinder in Kinderheime gesteckt und zur Zwangsadoption freigegeben, aber zum Glück ist alles gut gegangen. Für uns DDR Bürger begann damit die spannendste Zeit unseres Lebens, es wird sich etwas ändern, ich konnte nicht so lange warten.

Es gab schon Gerüchte, die Grenzen werden alle dicht gemacht und man kann nicht mal mehr die Tschechoslowakei oder Polen besuchen. Bei Nacht und Nebel sind wir nach Leipzig auf den Bahnhof und in den Zug in die Tschechoslowakei gestiegen und haben so den Weg in die Freiheit angetreten.

Obwohl ich Diabetikerin bin und mir von Kindheit an eingeredet wurde, wie böse der Westen ist und gerade für Diabetiker die Insulin spritzen müssen, es keine sichere Versorgung geben würde. Insulin würde so viel Geld kosten, dass man es sich nicht leisten kann.

Ich hatte mir einige Ampullen eingepackt und los ging es in die Freiheit. Jetzt, wo ich gerade darüber schreibe, erinnert man sich zurück und es fallen einen so viele Dinge ein. Was war das für eine aufregende Zeit.

Wir sind dann nach Bamberg gekommen und haben das erste Mal in unserem Leben einen Supermarkt gesehen und waren so was von überwältigt, man kann es nicht in Worte fassen. Diabetiker Regale mit so leckeren Süßigkeiten, für mich war es das Schlaraffenland.

Einige Tage später wurden die Grenzen für alle geöffnet und das war das Allerbeste, ich konnte mit meinen Eltern telefonieren und sie wussten endlich, dass es mir gut geht und dass wir uns bald wieder sehen können.

Es ging dann los mit der Arbeitssuche, ich war Friseurin und hatte keine Probleme, die wurden ja gesucht wie Sand am Meer. Leider musste man feststellen, dass der Friseurberuf im Osten etwas ganz anderes war als im Westen. Im Osten bekam man eine Friseurausbildung nur mit Beziehungen. Im Westen war das ganz anders, es war komisch für mich.

Im Osten dauerte die Ausbildung zwei Jahre, danach war man Geselle. Im Westen wurde einfach ein Jahr dran gehangen um die Lehrlinge auszunutzen, dass verstehe ich bis heute nicht. Für mich hat man Förderung abkassiert, weil die aus dem Osten ja nicht so gut arbeiten können, das wissen wir ja jetzt zur genüge.

Meine Diabetes Behandlung wurde umgestellt, ich hatte mich damals riesig gefreut, ich brauchte mich nur noch zweimal und nicht mehr viermal am Tag spritzen. Leider war das nicht so gut. Ich musste dann, nach Bad Oeynhausen in das Herz und Diabeteszentrum zum Einstellen. Dort hat man mir gesagt, das Sie im Osten viel weiter mit der Diabetesforschung waren als im Westen, es wurden wieder vier Spritzen am Tag daraus.

Ein Herr Blum von RTL hatte vor fünf Jahren behauptet, die DDR wäre mit der Medizinischen Forschung hinterm Mond gewesen, da hätte ich Ihm am liebsten entgegengeschrien: frag doch mal in Bad Oeynhausen im Herz und Diabeteszentrum nach, die erzählen Dir etwas ganz Anderes.

Es gibt eben Journalisten, bei denen zählt nur die Haltung. Heute habe ich gelesen, dass 30% der Ostdeutschen kein Respekt mehr haben und Sie würden das Vermächtnis von 1989 mit Füßen treten.

Vor wem sollten wir überhaupt Respekt haben? Die 30 % wissen ganz genau, was die Stunde geschlagen hat. Es wird gerade Alles gemacht um die Demokratie abzuschaffen, es passiert gerade in Thüringen. Ich wundere mich immer öfter, wie ein Leben ohne Gehirn möglich ist, aber es scheint zu funktionieren, sonst wären es nicht nur 30% sondern 99 % .