Von Maximilian Krah stammt die These, daß es sich bei der AfD um das interessanteste Projekt einer rechten Partei in Europa handele. Das rühre aus ihrer dreimaligen Häutung (Lucke, Petry, Meuthen) und ihrer Bewegung nach rechts, auf ein Wählerpotential zu, das erst durch die grundsätzliche und weltanschauliche Arbeit der Partei und ihres Vorfelds begriffen habe, was man alles meinen, sagen, tun und wählen dürfe.
Von Götz Kubitschek für Sezession
Dieser Befreiungsakt ging und geht zweifelsohne mit Enthemmungen einher. Damit meine ich nicht die ein oder andere Entgleisung, die man dank Social Media im AfD-Milieu unschwer findet; ich meine damit die enthemmte Beschimpfung und Denunzierung der AfD und einzelner ihrer Spitzenpolitiker durch Medien, Zivilgesellschaft und politische Konkurrenz.
Daß dadurch ein deutscher Normalisierungsvorgang zu einem demokratiegefährdenden Projekt umgedeutet wurde und wird, ist ebenfalls einmalig in Europa. Natürlich strebt die AfD eine weltanschauliche und politische Revolte für das Volk an, und die Normalisierung Deutschlands wäre bereits eine solche Revolte; aber dies hatten und haben die Grünen seit ihrer Gründung vor, viel radikaler formuliert und vorgetragen als je die AfD, und selbst diese Radikalität wurde vom mäßigenden Einfluß des bundesdeutschen Systems einer parlamentarischen Demokratie und einer lukrativen Machtbeteiligung eingefangen und abgemildert.
Die AfD hingegen war niemals annähernd so radikal wie das grüne oder das linke Projekt. Sie hat noch nie das politische System infrage gestellt und noch nie den Einsatz von Gewalt zur Veränderung politischer Machtverhältnisse erwogen. Sie hat Unvereinbarkeitslisten aufgestellt, die fragwürdig sind; aber es sind welche, sie stammen noch aus der Zeit Bernd Luckes, und keine Folgeführung hat sie beseitigt.
Die oben erwähnten Häutungen haben die AfD zu etwas wahrnehmbar anderem gemacht, als die WerteUnion es wäre. Sie hat mit ihrer Bewegung nach rechts gezeigt, wie ernst es ihr ist mit einem politischen Ansatz, den es so zuvor in der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Sie betont selbst bei unpassenden Gelegenheiten, daß sie es sei, von der die Demokratie gegen Aushöhlung und Beutemacher verteidigt werde, und sie beugt sich sogar Beschlüssen und Urteilen, die für sie wie Ohrfeigen und Tiefschläge sein müssen.
Mit allem, was sie tut, beharrt die AfD auf dem, was sie unter “Normalität” versteht. Sie will den Deutschen nicht viel zumuten, keinesfalls eine Transformation der Gesellschaft, wie sie der grünen Politik vorschwebt, deren Kernelemente mittlerweile auch in der CDU implementiert sind.
Das Programm der AfD ist unspektakulär, es ist das, was in Dänemark und Ungarn geschieht, unter den je eigenen Bedingungen dort. In Deutschland sind die Bedingungen anders: Die AfD mußte deswegen nach rechts rücken, weil sie nur dort den Punkt finden konnte, von dem aus ein deutscher Standpunkt eingenommen und eine deutsche Perspektive in allen wichtigen Politikfeldern formuliert werden kann.
Die AfD hat für diese Normalität als einer politische Vorstellung und als Möglichkeit bei den drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg Massen mobilisiert, rund ein Drittel der Wähler jeweils, und dabei in zwei Bundesländern eine Sperrminorität erreicht. Sie hat damit die Hand am Saum einer Beteiligung an der Gestaltungsmacht.
Aber diese Beteiligung wurde, so minimal sie ist, von den anderen Parteien in Brandenburg nur zähneknirschend und in Thüringen ganz und gar nicht akzeptiert. Die Aushebelung banaler und von der Geschäftsordnung festgeschriebener Rechte, die dem Wahlsieger zustehen, hat die Thüringer AfD schockiert, noch einmal gründlicher desillusioniert und für den Moment paralysiert: Wie weiter, wenn sich die Legislative nicht an ihre eigenen Regeln hält und von der Judikative in ihrem Handeln bestätigt und von den Medien dazu getrieben wird?
In diese, für den überdeutlichen Wahlsieger Höcke neue, herausfordernde Lage ist nun der NIUS-Gründer Julian Reichelt mit einem Spaltungsversuch gestoßen. Er rät der AfD zu einer radikalen Veränderung ihrer Positionierung und fordert Alice Weidel auf, Björn Höcke aus der Partei zu drängen. Reichelt erinnert Weidel an das Parteiausschlußverfahren gegen Höcke, das sie 2017 noch unterstützt habe. Er selbst bezeichnet Höcke als einen überzeugten Nationalsozialisten, ruft den verlorenen Prozeß um die vermeintlich bewußt verwendete SA-Parole ins Gedächtnis und spricht Höcke ab, Wähler begeistern und mobilisieren zu können: Schließlich habe er sein Direktmandat nicht gewonnen.
Reichelt gliederte seine (nicht nüchtern, sondern von A‑Z im Duktus der Häme vorgetragene) Antwort auf die Frage, wie die AfD koalitionsfähig für die CDU werden könne, in drei Teile: Höcke müsse weg, der “Herrenmenschenantisemitismus” dürfe in der AfD keinerlei Platz haben, und Konservative seien im freien Westen zuhause. Alice Weidel habe die Punkte 2 und 3 längst begriffen und sowieso noch nie bedient. Und was den ersten Punkt betreffe: Hier müsse sie nun aktiv werden, so konsequent und unmißverständlich wie Marine le Pen. Denn das seien die Vorbilder: le Pen, Meloni, in Argentinien Milei.
Reichelt schreibt so, weil er die Lage für seine Präferenz nutzen möchte: eine CDU-geführte Koalition mit einer AfD, die mehr an eine WerteUnion erinnert als an eine Alternative. Reichelt weiß eines: Alle Erfahrung spricht dafür, daß selbst gute Leute in der AfD irgendwann damit beginnen, die Ursache für die völlige Ausgrenzung ausgerechnet des Höcke-Landesverbands nicht in der Verteufelung von außen, sondern auch intern zu suchen.
Die Unterstellung lautet, Höcke und seine Leute seien nicht lernfähig, seien verbohrt, von vorgestern, forderten eine nicht zeitgemäße Politik mit nicht zeitgemäßem Vokabular. Dies zu behaupten, ist so frech wie falsch. Der AfD die Rolle des Juniorpartners an der Seite ihres härtesten Gegners zuzuweisen, ist so durchsichtig wie billig.
Wer die Kommentare unter Reichelts Analyse durchsieht, erkennt, daß er wohl zum ersten Mal deutlich weniger Zustimmung als Ablehnung erntet. Vielleicht macht sich Reichelt über seine Leserschaft etwas vor: Sie ist in Teilen weiter als er.
Denn es gilt noch immer der Satz von vor zehn Jahren: Es gibt (noch) keine Alternative im Etablierten. Aber wir können ergänzen: Die Alternative hat sich etabliert. Sie denkt darüber nach, wie es weitergehen kann, und wird eine Lösung finden – vor allem für dort, wo man bereits zur Volkspartei geworden ist.
(Den Reichelt-Kommentar findet man hier.)