Lohnt es in diesen Tagen überhaupt noch, sich Gedanken über die Meinungsfreiheit zu machen, wenn doch viele Bürger enttäuscht, frustriert und entmutigt sind, weil sie sich entweder aus eigener Erfahrung oder durch die Geschichtsbücher daran erinnert fühlen, wohin Zensur und Repression im Zweifel führen können?
Von Dennis Riehle
Meine Antwort darauf ist nicht nur aus Überzeugung, dass wir auch in einer Demokratie, deren Wesensgehalt aktuell durch ein übermächtiges Gebaren der Regierenden massiv bedroht wird, keinesfalls nachlassen dürfen, auf elementare Grundrechte zu pochen. Und so begrüße ich die Entscheidung der AfD-Politikerin Marie-Thérèse Kaiser, die sich nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle nunmehr an Karlsruhe wendet, um gegen eine Verurteilung wegen Volksverhetzung vorzugehen, die mit einer Strafe von insgesamt 6.000 Euro verbunden wurde. Der Grund ist eine von ihr auf „Facebook“ zur Bundestagswahl 2021 veröffentlichte Kundgabe, die unter anderem in der Frage gipfelte: „Willkommenskultur für Gruppenvergewaltigungen?“. In den bisherigen Instanzen haben die Juristen aufgrund der Thematisierung schwerwiegender Konsequenzen der ungezügelten Migration § 130 StGB deshalb verwirklicht gesehen, weil man der Influencerin der Alternative für Deutschland eine Pauschalisierung unterstellte, die in ihrer Tragfähigkeit allerdings jeglicher Substanz entbehrt.
Denn aus dem „Post der Angeklagten [lässt sich] bei einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums auch im Lichte von Art. 5 GG im Kern allein die Aussage entnehmen […], dass die aus Afghanistan geflüchteten und fluchtbereiten Personen Gruppenvergewaltigungen begehen“, ließ man verkünden (vgl. https://rechtskampf.blogspot.com/2024/10/marie-therese-kaiser-urteil-wegen.html). Doch diese Interpretation einer Verallgemeinerung widerspricht eklatant der höchstrichterlichen Auffassung. Denn die verfassungshütenden roten Roben haben in einer anderen Angelegenheit entschieden: „Erhebliche Zweifel bestehen jedenfalls hinsichtlich der Einschätzung, alleine der Wortlaut des Slogans ‚Migration tötet!‘ vermittele dem unbefangenen Betrachter den Eindruck, sämtliche in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer oder Migranten seien als potentielle Straftäter von Tötungsdelikten anzusehen. Diese Einschätzung lässt außer Acht, dass der inkriminierte Satz im Kontext eines Wahlkampfes steht und in abstrakter Weise auf vermeintliche Folgen der Migration aufmerksam machen will und insoweit auf einzelne Straftaten – die freilich als grundsätzliches Phänomen gedeutet werden – hinweist. Dass hierin eine pauschale Verächtlichmachung aller Migranten liegt, können die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen nicht tragfähig begründen“ (Beschluss vom 24.05.2019, Az.: 1 BvQ 45/19, 1 BvQ 46/19).
Es dürfte also einem eklatanten Rechtsfehler entsprechen, dass das OLG im Falle der 27-Jährigen auf sämtliche Argumentationen verzichtet hat, weshalb es in der angegriffenen Veröffentlichung das Potenzial zu einer Generalisierung erkennt. Auch wenn man an der Intaktheit unserer dritten Gewalt in diesen Tagen durch manch eine voreingenommene Entscheidung durchaus Zweifel haben mag, weil sich große Bevölkerungsschichten nicht mehr „im Namen des Volkes“ vertreten fühlen, sollte wieder einmal ein traumatisch Fluchterfahrener wegen eines Messerangriffs als psychisch krank eingestuft und schuldunfähig in die Freiheit oder eine forensische Anstalt verwiesen werden, so sind es gerade die obersten Senate und Kammern, die sich nicht mit einem dahingeschmierten Dreizeiler als Rechtfertigung für eine Abkanzelung zufriedengeben. Sie haben immer wieder darauf verwiesen, dass im Geiste des Credos „In dubio pro reo“ regelmäßig von jener Auslegung der artikulierten Buchstaben und Sätze ausgegangen werden müsse, die sich zugunsten des Angeklagten annehmen lässt. Und so fehlt es im konkret vorliegenden Fall an einem Nachweis dafür, dass Kaiser bewusst und dezidiert eine subsumierende Verlautbarung äußerte, die nicht differenziert und abstuft. Da hat man den Weg des geringsten Widerstandes gewählt, als man ohne genügend Abstand und Reflexion von einer keinesfalls als objektiv zu wertenden Betrachtung Kaisers Publikation ausging.
Sondern man behauptete ohne nähergehende Erläuterung in einseitiger, voreingenommener und postulierender Manier, dass das Gros der Gesellschaft bei der Lektüre ihrer Zeilen von einer abstrahierenden Tatsachenbehauptung ausgehe. Es ist nicht einmal ein genügender Beleg erbracht, dass es sich bei ihrer Einlassung um mehr als ein schlichtes Werturteil handelt. Außer Acht gelassen wurde zudem, dass die Äußerung des Wahrheitsbeweises zugänglich ist. Denn in den Jahren 2919 bis 2023 lag der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen bei Gruppenverwaltungen laut Auskunft der Bundesregierung (BT-Drucksache 20/11603) bei 50 Prozent. Fokussiert man sich auf die Kriminalstatistik für das Jahr 2022, so hält das Bundeskriminalamt in seinem Bundeslagebild „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ wie folgt fest: „Mit 36,7 % stellten, wie in den vergangenen Jahren, Personen aus den Staaten mit hohen Zuwanderungszahlen Syrien, Afghanistan und dem Irak (2021: 38,6 %) den größten Anteil an den tatverdächtigen Zuwanderern/Zuwanderinnen“. Ordnet man dies nun in deren Repräsentativität an der Gesamtbevölkerung ein, so liegt die studierte Betriebswirtin mit ihren zugespitzten und markanten Darlegungen überhaupt nicht weit weg von der Realität. Auch diesem Umstand wurde nicht Rechnung getragen, weshalb die Chancen überaus hoch sind, dass das BVerfG die bisherigen Schuldsprüche aufheben wird.