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Mein erster Trabbi – Eine Realsatire zum Jubiläum

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Am 9. November des Jahres 1989 nahm mein Leben eine abrupte Wende, wurde meine steile und vor allen Dingen geile Karriere als fett gefressener Wessi, der es den armen Ossis mal so richtig zeigen durfte, mit einem Schlag beendet.

Ein Gastbeitrag von Thomas Böhm

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer.

Schade eigentlich.

Denn während sich alle anderen in die Arme fielen, fiel ich bei meinen Gespielinnen, die sich nur Stunden nach der Maueröffnung bereits bei mir in der Neuköllner Wohnung stapelten, in Ungnade.

Verständlicherweise.

Aber der Reihe nach.

In dem Jahr, in dem Deutschland dicker wurde, war ich als schlafloser Szene- und Musik-Journalist unterwegs, begleitete die Techno-DJs bei ihren nächtlichen Einsätzen und tanzte auf der Love Parade hoch auf dem gelben Wagen.

Eines Nachts traf ich an einem dieser unendlichen Tresen einen dicken und großen Amerikaner. Jack hieß er und war seinen eigenen Angaben nach ein erfolgreicher Manager und Musikproduzent, der seine erste Million Dollar mit dem Verkauf von Lizenzen der Rolling Stones-Alben auf Papua Neuguinea gemacht hatte.

Ich hatte schon zu lange zwischen den Bass-Boxen herumgelungert und war nicht mehr Herr meiner Sinne. Also glaubte ich ihm, auch, dass er mich ganz schnell reich machen würde.

Ich müsste nur rüber machen. Nach Ost-Berlin. Dort liege das Geld auf den schlecht asphaltierten Straßen. Klang spannend. Da war ich noch nie, obwohl ich in meiner Jugend auf St. Pauli als SDAJ-Genosse massenweise Flugblätter zum Thema „Die DDR ist das gelobte Land“ verteilt hatte. Jetzt wollte ich mir das Drama mal aus der Nähe betrachten.

Zwei Tage später fand ich mich in einer Luxus-Suite des Grand Hotels Unter den Linden wieder. Jack empfing mich in einem halb geöffneten rosa Bademantel. Auf seinem Himmelbett tummelten sich mehrere Liebesknaben.

Alles großartige Talente der ost-deutschen Musikszene, denen er ebenfalls zu Ruhm und Reichtum im Westen verhelfen würde, versicherte mir Jack.

Auch das glaubte ich ihm. Vor allen Dingen, weil ein Mann aus dem Schatten trat, der diesem Schlafzimmer-Spektakel einen Anstrich von Seriosität geben konnte. Es handelte sich um ein hohes Tier beim DDR-Kultusministerium.

Und er hatte ein gar prächtiges Geschenk für mich: Ein Dauervisum, frisch abgestempelt, dass mir die beliebige Ein- und Ausreise gestattete.

Natürlich gab es das Papier nicht umsonst.

Meine Aufgabe, die ich gerne übernahm: Recherche-Arbeit in den Ost-Berliner Jugendclubs. Ich sollte einige Bands ausfindig machen und mit denen in West-Berlin ein Konzert organisieren. Jack gab mir dazu seinen Lieblings-Liebling an die Hand und für mich begann der aufregendste und im wahrsten Sinne des Wortes geilste Abschnitt meines Lebens.

Mit einem Koffer voller Versprechen und kleinen Geschenken aus dem Kaufhaus des Westens tingelte ich fortan durch die Jugendclubs des Ostens und lernte dabei eine Szene kennen, die gerade dabei war, die DDR von unten umzukrempeln.

Nach dem Motto „Scheiß was auf die Partei“ tobte sich in den Jugendclubs eine neue Generation aus, die von der Staatsicherheit entweder unterschätzt wurde, oder nur schwer zu kontrollieren war, weil die jungen Rocker und Punker einfach zu wilde Musik machten.

Privilegiert wie ich nun einmal war, musste ich natürlich nicht wie die Eingeborenen vor den Clubs oder in den Discos Schlange stehen. Ich wurde durchgewunken und von den Türstehern und Besitzern mit Handschlag begrüßt.

Das Kultusministerium war eben überall präsent und die olympische Goldmedaille eines russischen Ringers, die ich mir abends umhing, funktionierte als schnelle Eintrittskarte ebenfalls sehr gut, obwohl sie um meinen dünnen Hals eher lächerlich wirkte.

Ein Schlagzeuger hatte sie mir geschenkt.

Ich wurde schnell fündig, die Auswahl an jungen, wilden Musikern, die sich im Staatsgefängnis mit frechen Texten und knallharten Tönen, einen kunterbunten Freiraum geschaffen hatten, war groß. Ich pickte mir die besten raus und veranstaltete – unter der strengen Aufsicht des Kultusministeriums – im Westen der Republik einige Konzerte.

Abgehauen ist keiner. Sie sind alle wieder brav nach getaner Arbeit mit dem Bus zurück nach Ost-Berlin gezuckelt und haben dort weitergemacht.

Im Westen wären sie zu dieser Zeit einfach untergegangen. Im Osten der Republik aber waren sie Helden. Auch meine.

Ich beließ es natürlich nicht nur beim kulturellen Austausch. Denn die Musiker waren für mich auch ein guter Vorwand und eine gute Gelegenheit, um mich anderweitig auszutoben. Die wilden Weiber, die sich ebenfalls in den Jugendclubs herumtrieben, hatten es mir angetan. Sie waren locker, emanzipiert, sexuell befreit und befreiend und nicht so zickig wie die West-Miezen. Sie waren hemmungslos, naturbelassen. Sie wollten Spaß und davon viel und einen „echten“ Wessi in ihrer Einraumwohnung flachlegen.

Ein Paradies für mich, den „echten“ Wessi.

Gönnerhaft wie ich nun mal war, verteilte ich großzügig unter den Damen meines verwestlichten Herzens Visitenkarten und lud jede einzeln zu mir nach Hause ein, wohl wissend, dass zwischen Wunsch und Wirklichkeit unverrückbar der anti-imperialistische Schutzwall stand.

Sicherlich war auch die eine oder andere dabei, die mir für die Staatssicherheit ihre Wa(h)re Liebe schenkte. Aber das machte mir nichts aus, im Gegenteil. Dieser Nervenkitzel gab so manchem Techtelmechtel die scharfe Würze.

Als erfahrener Ex-Sozialist, der in seiner verblendeten Jugend in der Deutschen Kommunistischen Partei DDR-Propaganda verbreitete, kannte ich außerdem so manchen Stasi-Trick und trieb meine Spielchen mit der Lausch-und Horchgesellschaft.

Nicht nur, dass ich in Ost-Berlin alles toll fand und allen erzählte, dass ich wohl für immer hierher ziehen würde, nein, ich trug auch bei fast jeder offiziellen Gelegenheit aus „echter“ Solidarität eines dieser schmerzblauen FDJ-Hemden. Mir sträubten sich zwar jedes Mal die Haare, wenn ich dieses Brett über den Kopf ziehen musste und mein Bügeleisen ging regelmäßig in den Warnstreik, aber es half ungemein. Die Staatsicherheit war irritiert und bei irgendwelchen Weltfestspielen und anderen Zeremonien konnte ich unbemerkt mit der Meute heulen.

Wenn ich dann mal zwischendurch wieder rüber nach West-Berlin machte und das Hemd vorher nicht auszog, sondern das sozialistische Schmuckstück an der innerstädtischen Grenze unter einem westlich gestrickten Pulli versteckte, war die Resonanz nicht ganz so feierlich.

Meine Freunde zeigten mir die kalte Schulter oder den Vogel, beschimpften mich als Kommunistensau oder versuchten mich als „IM Vollpfosten“ zu beleidigen. Sie hätten sich wirklich nicht so in mein FDJ-Hemd machen müssen.

Doch irgendwie war mir das Ding beim Anziehen zu Kopf gestiegen, hatte dieses intensive Blau auf meinen Charakter abgefärbt.

Bei der nächsten DDR-Großveranstaltung – irgendeiner dieser monströsen internationalen Festspiele – war ich mittendrin in der Masse der Blauhemden und winkte fröhlich zur Funktionärs-Tribüne hoch, während meine Kumpels um ich herum den Stinkefinger zeigten.

Und die Stasi verstand die Welt nicht mehr.

Nach dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ testete ich diese neugierige BeHÖRde aber immer wieder mal aus, plauderte über abhörunsichere Leitungen von West-Berlin aus mit meinen Ost-Berliner Freunden über Party-Drogen, die ich beim nächsten Mal durch den Übergang Friedrichstraße einschleusen würde – nur, damit die unterbeschäftigten Beamten am Grenzübergang wieder etwas zu tun kriegten.

Gefunden haben sie natürlich nichts.

Gut, dass sie die Tapes nie untersucht haben, die ich offen in der Tasche mitgebrachte. Denn das waren „revolutionäre“ Aufnahmen. Frisch produziert von den damaligen Stars der West-Berliner Techno-Szene Westbam, Dr. Motte, Marusha und anderen.

Sie waren mein bilaterales Geschenk für die Ost-Berliner Jugend und verschafften mir sogar als Veranstalter und Kassetten-DJ in Erichs Lampenladen den Eintritt. Neugierig wie die jungen Leute drüben nun mal waren, stürmten sie begeistert den Palast der Republik und fingen unter meinen Fittichen an zu tanzen.

Bei mindestens 120 beats per minute.

Eine neue Bewegung entstand in der Chaos- und Anarchie-Szene, die vom Staat nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden konnte und manche behaupten heute noch, diese Erschütterung, die sich in der Ost-Berliner Szene verbreitete und in den Clubs für lautstarke Unruhe sorgte, hätte ebenfalls dazu beigetragen, die Berliner Mauer zum Einsturz zu bringen.

Doch bis es soweit war, hatte ich noch ausreichend Gelegenheit mich durch das Schlaraffenland im Osten der Stadt zu naschen. Mein Zugang namens Jack war mittlerweile mit meinem Geld und zwei seiner Liebesknaben verduftet, irgendwo in London untergetaucht, ich aber machte weiter mit der kulturellen Pionierarbeit. Ich stürmte weiterhin von Club zu Club von Einraumwohnung zu Zweiraumwohnung und wurde überall gerne und immer wieder mit offenen Armen empfangen.

Aber wir wissen ja: Das Paradies währt nicht ewig. Und so kam, was kommen musste:

Am späten Abend des 9. November 1989 klingelte es bei mir an der Wohnungstür sturm. Ich hatte ausnahmsweise mal wieder an meiner eigenen Matratze in West-Berlin gehorcht und wachte schlaftrunken auf.

Zu meiner Überraschung stand eine meiner jenseitigen Geliebten vor der Tür. Als sie mir erklärte, dass fortan keine Mauer mehr zwischen unserer Beziehung stand, ließ ich sie natürlich rein und tat so, als ob es mich freuen würde. Diese Prozedur wiederholte ich auch bei all den anderen, die nun im Minutentakt bei mir auftauchten und ähnliches erzählten.

Meine Wohnung in Neukölln gehörte nicht zu den größten, doch schaffte ich es irgendwie, die Damen gerecht aufzuteilen. Einige legte ich gleich ins Bett, andere setzte ich in die Küche, weitere blieben im Wohnzimmer und zwei steckte ich einfach in die der Badewanne.

Ich aber, von so viel Nähe und Fülle fast erstickt, flüchtete aus der Wohnung direkt in den Osten, sozusagen in die politisch verkehrte Richtung.

In Hellersdorf fand ich dann noch einen befreundeten Ossi, der wie ich die Mauereröffnung verschlafen hatte. Ich konnte ihn überreden, mit seinem Trabbi und mir den Abflug zu machen. Er ließ mich ans Steuer und wir fuhren direkt nach Bremen. Diese Hansestadt war schön weit von der bröckelnden innerdeutschen Grenze entfernt.

Wie wurden empfangen wie außerirdische Popstars. Begeisterte Fans trugen uns im Trabbi durch das Viertel, luden uns zu allem und jedem ein. Sogar ein kostenloser Puffbesuch stand auf dem Programm.

Ich aber hatte die Schnauze von den Frauen voll, stieg aus dem Trabbi aus und machte über den großen Teich.

Jetzt lebe ich seit über neun Jahren wieder im Osten und fühle mich auch schon wie ein halber Ossi. Es ist einfach wunderbar hier. Die Ossis sind einfach die besseren, weil ehrlicheren Deutschen.

Sie sind selbstständiger und handwerklich geschickter als die Wessis und bei ihnen ist nur selten eine Schraube locker. Und die AfD ist hier die stärkste Partei, wobei wir dann wieder bei der Farbe „blau“ wären.

Und so absurd es klingt, manchmal wünsche ich mir die Mauer wieder. Nicht, um Leute einzusperren, sondern, um gewisse Leute auszusperren. Um des Friedens Willen.

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