Wir alle haben mehr oder weniger Respekt, Stolz und Ehrgefühl gegenüber der eigenen Persönlichkeit. Ein gesundes Selbstbewusstsein ist Ausdruck von Stärke und Authentizität. Doch es gibt einen Moment, in dem wird aus dieser Anerkennung des eigenen Ichs eine übersteigerte Eitelkeit, Blasiertheit und Arroganz.
Von Dennis Riehle
Wer seine Charakterlichkeit nur mit Luft aufpumpt, ohne darunter ein tragfähiges Fundament an tatsächlicher Kritikfähigkeit und Reflexion belasten zu können, der wird irgendwann befürchten müssen, dass der Schein zerbricht – und das Sein hervorkommt. Bei verschiedenen Politikern ist ein derartiger Kipppunkt gerade in diesen Tagen eingetreten. Sie mögen zwar nach außen hin noch immer den coolen Macker geben – und sich mit zufällig vorbeikommenden Passanten in der Küche verabreden. In der öffentlichen Wahrnehmung sind sie allerdings auf das Niveau einer Mimose herabgerutscht.
Und es macht auch nicht wirklich attraktiv, wenn man sich wegen jeder Kleinigkeit echauffiert – und in seiner Würde angekratzt fühlt. Es ist wohl eine Mischung aus gekränkter Identität und dem ziemlich dreisten Versuch, aus Bagatellen Kapital zu schlagen, wenn nicht nur der Bundeswirtschaftsminister in den Modus der Automatisierung umschaltet, nahezu am Fließband hunderte Strafanzeigen wegen teils profaner und läppischer Nichtigkeiten zu erstatten. Sollte sich tatsächlich jemand durch plumpe Beleidigungen derart verletzt fühlen, dass er für manch eine Vokabel Schmerzensgeld einfordert, dann ist die Dünnhäutigkeit gravierender als bisher gedacht. Autokraten lassen sich in ihrem wirklichkeitsfernen Universum nur ungern vom Pöbel stören, wenn sie weiter an ihrem planwirtschaftlichen Konzept von energetischer, kultureller und politischer Transformation arbeiten. Da wird jedes Zwischengeräusch der Untertanen zur Reizüberflutung.
Es hat schon etwas von zwei Gesichtern, Wahlkampf als Kanzlerkandidat für die Menschen machen zu wollen – aber unzähligen Bürgern die Staatsanwaltschaft auf den Hals zu hetzen. Ob es nun Robert Habeck, Annalena Baerbock, Friedrich Merz oder andere Spitzenfunktionäre auf dem Berliner Parkett sind: Wer sich in den Elfenbeinturm der Mächtigen zurückzieht, um von dort aus nahezu im Akkord Gesuche meinungsstarke Bürger verfolgen zu lassen, dem fehlt es nicht nur an Sicherheit und Beständigkeit im Umgang mit Komplexen und Defiziten. Viel eher entlarvt sich da ein trügerisches Verständnis von Herrschaftsgewalt. Die liberale Grundordnung verträgt keine Heulsusen und Jammerlappen, die nicht etwa der Erfüllung ihres Eides nacheifern, sondern der Wundversorgung, einer offenkundig geschundenen Seele. Stattdessen brauchen wir solide und integre Vertreter, die das Mäkeln des Volkes ernstnehmen, statt es zu zensieren.