Ich möchte ja ungern die allgemeine Freude trüben und den Partypooper geben, aber ich kann in der heutigen Verabschiedung des “5-Punkte-Plans” der Merz-Union mit den Stimmen der AfD beim besten Willen keine Sensation und keine Zäsur geschweige denn eine politische Kehrtwende erkennen. Aus Gründen.
Erstens: Der vermeintliche “Bruch der Brandmauer“ ist ja keine von Merz bewusst herbeigeführte geschweige denn gewollte Implikation der heutigen Entschließung gewesen, sondern ein unbequemer Nebeneffekt seines schizophrenen Versuchs, die Quadratur des Kreises zu vollenden – nämlich AfD-Politik mit linken und grünen Partnern zu vollenden. Populistisch, unter dem Eindruck von Magdeburg und Aschaffenburg, hatte er sich aus dem Fenster gelehnt und einen Antrag (der wohlgemerkt gar nicht sein eigener war, sondern praktisch eins zu eins von der AfD abgeschrieben war und den eben Merz seit drei Jahren im Bundestag verhindert hatte! ) eingebracht, an dem er gesichtswahrend festhalten musste. Merz wird nun alles, ausnahmslos alles tun, um bis zur Bundestagswahl – und vermutlich auch danach, sofern seine linken Wunschpartner dann noch zu Koalitionen bereit sind – sein Festhalten an der Brandmauer zu unterstreichen und das Vertrauen der linken Antidemokraten zurückzugewinnen.
Keine Bindungswirkung
Dazu passt, dass er den Aussagen seines Parteikollegen Marco Wanderwitz zufolge weiterhin ungebrochen offen für das von diesem initiierte AfD-Verbot ist. Auch sein unwürdiges Verhalten heute im Bundestag, wo er sich wie ein Aal wand und “mit schlotternden Knien” (wie Bernd Baumann es nannte) nach dem Motto “wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass” das Primat der Sachpolitik beschwor, von dem er genau weiß, dass es mit den von ihm so genannten “demokratischen Parteien“ nicht durchsetzbar ist, zeugt von keinem wirklichen Veränderungswillen.
Zweitens: Die heutige Entschließung das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Scholz braucht sich, erst recht in den letzten vier Wochen seiner unseligen Kanzlerschaft, darum sogar noch weniger zu scheren als um Wahlversprechen oder bestehende Gesetze. Der Empfehlungscharakter der Entschließung konterkariert die blutige Dringlichkeit dessen, was sie eigentlich anstrebt. Damit geriete die Beschlussfassung sogar dann zur Makulatur, wenn es die demokratieverachtenden Versuche zu ihrer Verhinderung, bloß weil diesem auch die “Falschen” zustimmen könnten, im Vorfeld nicht gegeben hätte. So zeigt der gesamte Vorgang das erschreckende Ausmaß der Handlungsunfähigkeit der Politik im Würgegriff eines verfetteten, zänkischen und lähmenden Parteienkartells. Allenfalls das – seit drei Monaten im Bundestag liegende und auch von der CDU eigentlich erst nach den Wahlen zur Beschlussfassung angedachte – Zustrombegrenzungsgesetz, über das am Freitag beraten werden soll, würde (theoretisch) konkrete Bindungswirkung sogar für diese chaotische und gewissenlos Regierung entfalten. Ob dieses jedoch wirklich zustande kommt und dann, weil ja von der “rechtsextremen” AfD mitgetragen, überhaupt vom Bundespräsidenten unterschrieben werden wird, muss sich erst noch zeigen.
Eigentlich die Banalste Sache der Welt
Drittens: Es wird zwar behauptet, es gehe bei der heutigen Entschließung weniger um ihren praktischen Nutzen als vor allem um ihren brisanten Symbolcharakter. Genau dieser ist aber fragwürdig, denn wir sollten uns klarmachen, worüber wir hier in der Sache eigentlich reden. Was wurde da heute eigentlich verabschiedet? Wer den Wortlaut des CDU-Entschließungsantrags liest, muss feststellen, dass darin eigentlich nirgendwo eine echte “Verschärfung”, sondern ausnahmslos die Durchsetzung geltenden Rechts und bestehende Gesetze gefordert wird, die – und dies wird damit eingeräumt – seit Jahren mit Füßen getreten und missachtet werden: Grenzschutz, Schutz der eigenen Staatsbürger, Achtung der geltenden Asylgesetze, Stärkung von Polizei und Einsatzkräften und etliches mehr. Es handelt sich hier also um keine Revolution, sondern um die Wiederherstellung banaler Staatsfunktionen, die nie hätten verletzt werden dürfen. Das soll eine Sensation sein?
Der eigentliche Skandal liegt daher – anders als es uns unisono alle Medien und das linksgrüne Empörium in seinen projektiven braunen Wahnvorstellungen erzählt – nicht in dem parlamentarisch beschlossenen Ruf nach Rückkehr zu rechtstaatlicher Normalität, sondern darin, dass diese seit Jahren mit Füßen getreten wird und hier überhaupt Handlungsbedarf besteht. Würde man einen beliebigen Politiker von SPD oder CDUaus den 1950er bis 1970er Jahren per Zeitmaschine in die Gegenwart beamen und ihm diesen Entschließungsantrag vorlegen, würde er sich die Augen reiben und fragen, wieso der deutsche Bundestag über solche Selbstverständlichkeiten entscheiden muss und dazu eine parlamentarische Debatte entbrennt, – um dann ungläubig zu lernen, dass diese notwendig wurde, eben weil die Politik seit 2015 im Zustand des fortgesetztes Rechtsbruchs und faktischen Hochverrats an der eigenen Bevölkerung agiert. Er dürfte sich dann schließlich auch noch fragen, wieso die Hälfte der deutschen Volksvertreter diesen ohnehin viel zu spät kommenden Antrag auf Korrektur ernsthaft ablehnt.
Der große Wurf steht weiter aus
Und genau das ist der Punkt. Dass eine solche Bagatelle und Selbstverständlichkeit mit Ach und Krach nur mit hauchdünner Mehrheit verabschiedet wird – bei auch noch 10 Enthaltungen des BSW, woraus sich sogar nur eine rechnerische Minderheit pro Entschließung ergibt! –, ist die eigentliche Ungeheuerlichkeit und beweist, dass Sach- und Inhaltsfragen in diesem abgewirtschafteten politischen Parteiensystem keine Rolle mehr spielen. Wenn die überfällige, an sich selbstverständliche und eigentlich außerhalb jeder Debatte stehende Rückkehr zu Recht und Gesetz zu solchen emotionalen Reaktionen zwischen euphorischer Ekstase der einen und Panikattacken der anderen führt, dass sie wahlweise als historische Zäsur oder politischer Eklat apostrophiert wird, zeigt dies Grad der infantilen Hysterisierung und Realitätsentfremdung des gesamten medialen und politischen Raums.
So ist am Ende beides – sowohl die überschwängliche Begeisterung der AfD über die vermeintliche “Zeitenwende”, als auch die theatralischen Beschwörungen eines “Endes der Demokratie” durch die selbsternannten Superdemokraten – Ausdruck einer hoffnungslos deformierten, weil völlig von der Spur abgekommenen Politik in diesem Land. Was uns hier geboten wird, sind Spiegelfechtereien, die an den unerträglichen Zuständen im öffentlichen Raum und an den Grenzen nichts ändern können und werden. Man kann sich damit den Allerwertesten abputzen. Was es wirklich bräuchte, wäre der große Wurf à la Trump in den USA. Eine solche Politikwende wäre notwendig. Doch sie ist in Deutschland ausgeschlossen. Sie wäre in diesem Land, das weder ein Präsidialsystem ist noch ein Mehrheitswahlrecht kennt, tatsächlich nur durch eine absolute Mehrheit der AfD und/oder eine wieder zur Besinnung gebrachte entmerzte, entwüstete und entgüntherte Retro-Union denkbar, die sich zum Status quo ante Merkel bekennen würde – ob nun als Koalitionspartner eines bürgerlichen Bündnisses à la Österreich, oder in Form einer von der AfD getragenen Minderheitsregierung. Diese beiden Szenarien erscheinen jedoch – absehbar auch über den 23. Februar – hinaus völlig hypothetisch. Und daran hat auch der heutige Tag nichts geändert. (DM)