Jetzt sind sie halt da. Mitten in Berlin gelandet, unbemerkt und ohne Staatsempfang, verkleidet in Aussehen und Verhalten wie Erdlinge, die sie seit langem beobachten konnten. Weil aus einer Entfernung von 37,84 Billionen Kilometern, also etwa 4 Lichtjahren, die Lage nicht ganz klar war, kam eine Delegation und mischte sich unter unser Volk. Wo ginge das besser als in der Vielvölkerstadt Berlin, wo ein Fremder mehr oder weniger nicht auffällt.
Alf und sein Partner BigX waren zu zweit. Alf schlenderte in ein Café, während der BigX zur Sicherheit im Raumschiff blieb. Das Schiff nahm die Gestalt eines Hippie-Wohnwagens an, um nicht am Müggelsee aufzufallen. Mit Lichtgeschwindigkeit hatte es von Zerberus bis zur Erde gerade mal 4 Jahre gebraucht.
Alf erforscht die Erdlinge
Alf, gerade 2480 Jahre alt, nach Maßstäben seines Planeten Zerberus noch ein Wehrpflichtiger, hatte sich für diese Mission gemeldet. Er sollte die Erde erkunden. Er konnte sein Aussehen verändern, um wie ein Mensch zu wirken und nicht aufzufallen. Die intergalaktischen Nachrichten hatten ihm gesagt, dass er aufpassen müsse, was er sagt. Linksgrüne Regeln seien wichtig, um nicht erkannt zu werden. Also besuchte er die Volkshochschule auf Zerberus. Dort lernte er die Phrasen, die im Berliner Prenzlauer Berg und dessen Latte-Cafés gut ankommen. Alf übte fleißig. Vielfalt und divers wurden seine Lieblingsworte.
Das Wort Inklusiv war ein Muss. Privilegiert sprach er nur mit leisem Stirnrunzeln aus. Sätze wie „Ich respektiere alle Lebenswege“ oder „Das sehe ich genauso“ gingen ihm bald leicht über die Lippen. Sein Sprachsimulator für die menschliche Gestalt war perfekt vorbereitet. Er lernte auch, dass vier Demonstrationen in einer Woche normal sind. Die Teilnahme daran galt als Beweis für die Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft.
Alf verkleidet sich
In Berlin angekommen, wählte Alf folglich den Stadtteil Prenzlauer Berg als Ziel. Intergalaktische Reiseberichte hatten den Stadtteil als Zentrum des bewussten Lebens beschrieben. Mit einem Leinenhemd, einer runden Brille, die er nicht brauchte, aber cool wirken sollte, und einem Jutebeutel mit der Aufschrift „Klimagerechtigkeit jetzt“ betrat er das Café „Sonnenblume“.
Er bestellte einen Hafermilch-Latte, nachhaltig natürlich, und setzte sich neben zwei Erdlinge, die über Rassengerechtigkeit sprachen. Alf nickte wissend. „Das ist so wichtig, dass wir diese Vorurteile abbauen“, sagte er. Er fühlte sich fast wie ein Erdling. Doch als er versehentlich „Ich komme von weit her“ sagte, erntete er skeptische Blicke. Schnell korrigierte er sich. „Also, aus einer anderen Ecke, ihr wisst schon, die Vororte.“ Die Tarnung hielt. Erleichterung durchströmte ihn.
Alf staunt über die Erdlinge
Alf saß an seinem Eckplatz im „Sonnenblume“, den Hafermilch-Latte in der Hand, und beobachtete die Menschen um sich herum mit einer Mischung aus Faszination und Verwirrung. Die jungen Leute am Nebentisch trugen teure Turnschuhe und bunte Haare. Er hielt sie für typische Prenzlauer-Berg-Bewohner mit einem Hang zu klugen Sprüchen. Doch sie sprachen nicht nur über Klima oder die neueste pflanzliche Ernährung. Stattdessen redeten sie begeistert über Panzer, Drohnen und die Notwendigkeit, den Russen Grenzen zu setzen. „Wir müssen bereit sein, alles zu geben“, sagte eine junge Frau mit einem Regenbogen-Anstecker am Rucksack. Entschlossenheit lag in ihrem Blick.
Alf fand das irritierend. „Frieden ist schön, aber manchmal muss man kämpfen, für die Werte, für die Ukraine, für alles, was uns wichtig ist“, fügte sie hinzu. Ein junger Mann mit einer „Freitage für die Zukunft“-Kappe auf seinem Laptop stimmte zu. „Wenn wir nicht aufrüsten, überrollen sie uns. Wir brauchen Wehrpflicht, wir brauchen Opferbereitschaft.“ Die anderen nickten eifrig und tranken ihre teuren Matcha-Getränke.
Alf versteht die Erdlinge nicht
Alf runzelte die Stirn, die er sich für diesen Besuch zugelegt hatte. Auf Zerberus hatte er die Menschen als friedliebend eingeschätzt. Er kannte Berichte von einer Generation, die Gewalt ablehnte und Flaggen mit Friedenstauben demonstrierte. Jetzt klang es, als wären sie bereit, für diese Flaggen zu sterben oder andere sterben zu lassen. Er lauschte weiter. Ein älterer Mann am Tresen murmelte etwas von „400 Milliarden für die Bundeswehr“ und schüttelte den Kopf.
Eine Bedienung mit Zöpfen antwortete. „Ja, aber wir müssen doch etwas tun.“ Alf fragte sich, was sie tun wollten und für wen. Die Regenbogenflagge vor dem Café wehte im Wind. Sie schien plötzlich weniger ein Zeichen des Friedens als eine Kriegsstandarte zu sein.
Alf entwickelte eine Theorie
Vielleicht hatten die Menschen eine chemische Substanz bekommen. Etwas, das ihre friedlichen Instinkte umkehrte. Eine Umprogrammierung, die sie von Friedensfreunden zu Kriegern machte, ohne dass sie es merkten. Er dachte an die Impfungen, von denen er in den Archiven gelesen hatte. Vielleicht war mehr darin als als Gift. Ein Mittel, das sie kriegsbereit machte, während sie weiter von Werten und Zusammenhalt sprachen. Es war eine kühne Vermutung. Doch sie erklärte, warum diese jungen Leute, die einst für Weltfrieden marschierten, jetzt von Panzern und Atomwaffen schwärmten.
Je länger er zuhörte, desto mehr wuchs seine Verwirrung in leise Abscheu. Die Menschen hier hatten ihre Identität in viele kleine Stücke zerlegt. Nation, Volk, Werte, alles schien unklar. Dennoch waren sie bereit, dafür zu sterben oder andere dafür sterben zu lassen. Auf Zerberus war Opferbereitschaft einfach. Man kämpfte für Familie, Stamm, Planet. Hier kämpften sie für eine Idee, die sie selbst nicht verstanden. Gleichzeitig verachteten sie diejenigen, die überhaupt kämpfen wollten. Ein widersprüchliches Durcheinander, dachte Alf. Das passt nicht zusammen, sagte er sich. Genau wie ich es sehe, wenn ich vernünftig nachdenke.
Alf kommt in 4.000 Jahren wieder
Alf lehnte sich zurück und fasste einen Entschluss. Später, als er in seinen Hippie-Wohnwagen stieg und die Erde hinter sich ließ, tippte er eine Notiz in sein Logbuch. „Keine Urlaubsempfehlung für Zerberianer, die Erde zu besuchen. Sie reden von Frieden, während sie Krieg planen, und von Freiheit, während sie sich selbst einschränken. Wir warten lieber noch ein paar tausend Jahre, bis sie wissen, was sie wollen.“
Mit einem letzten Blick auf den blauen Planeten startete er den Hyperantrieb und verschwand in die Weiten des Alls. Die Menschen mochten ihre Latte-Cafés und Kriegsdebatten behalten. Alf hatte genug gesehen.