Szene aus “Minority Report": Digital gestützte Verbrechensvorhersage (Screenshot:Youtube/Trailer)

„Minority Report“ wird Wirklichkeit: KI-Algorithmen zur Berechnung der Verbrechensneigung in Großbritannien

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Datenschutzrechtliche Übergriffe durch den Staat wie etwa die digitalen Polizeiregister, das elektronische Führungszeugnis, digitale ID und Elektronische Patientenakte (mit einer Widerspruchslösung bereits Kraft, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit mittel- bis langfristig als verpflichtende Vorschrift konzipiert= verstören viele Bürger – und das zu Recht. Zu unklar ist, welcher Schindluder mit den sensiblen Daten betrieben werden kann, die der Staat von jedem Bürger besitzt.  Wofür diese durch KI-basierte Software bereits genutzt werden, zeigt das Beispiel Großbritanniens: Dort werden kriminologische und polizeiliche Daten sowie Gesundheitsdaten neuerdings zum kriminalistischen Profiling und der Verbrechensprävention eingesetzt. . Anscheinend ist man auf der Insel bestrebt, die schlimmsten Visionen George Orwells zum Regierungsprogramm zu machen – und das keineswegs erst seit Amtsübernahme der linken Labour-Partei, im vergangenen Jahr, sondern bereits unter der konservativen Vorgängerregierung: Noch unter Ex-Premierminister Rishi Sunak wurde 2023 damit begonnen, ein auf Algorithmen basierendes Geheimprogramm namens „Homicide Prediction Project“ (Mordvorhersage-Projekt) zu entwickeln.

Dafür wurden die Daten von 100.000 bis 500.000 Personen mit den beteiligten Stellen des Justizministeriums (MOJ), der überregionalen Manchester Polizei (GMP), des Police National Computer, einer landesweiten polizeilichen Datenbank und der Londoner Metropolitan Police geteilt und mit Gesundheitsdaten abgeglichen. Aufgedeckt wurde dies durch die Organisation Statewatch im Rahmen einer Informationsfreiheitsanfrage. Mit den Daten sollen die „Möglichkeiten der Datensätze des MOJ für die Beurteilung von Mord-Risiken untersucht“ werden, heißt es in den entsprechenden Dokumenten. Die Informationen beziehen sich auf Straftaten vor 2015, die Namen, Geburtsdaten, Geschlecht und Ethnie umfassen. Darunter finden sich jedoch auch die Daten unschuldiger Personen, wie etwa Zeugen. Zu den Kriterien, die das Programm analysiert, gehören ebenauch „Gesundheitsmarker, von denen erwartet wird, dass sie eine signifikante Vorhersagekraft haben“, worunter man Informationen über die psychische Gesundheit, Selbstverletzungs- und Selbstmordgefahr und andere gesundheitliche Einschränkungen versteht.

Verbrechen aus “Gesundheitsmarkern” lesen

Die Labour-Regierung sah keinen Grund, das Programm zu stoppen. Ein Sprecher des Justizministeriums behauptete, das Projekt werde ausschließlich zu Forschungszwecken durchgeführt und baue auf bereits bestehenden Daten der Gefängnisse, der Bewährungshilfe und der Polizei über Straftäter auf.“ Ziel sei es, das „Risiko von Personen auf Bewährung, ernsthafte Straftaten zu begehen“, zu verstehen. Ein Bericht werde „zu gegebener Zeit veröffentlicht“. In den Dokumenten ist jedoch auch von einer „künftigen Operationalisierung“ des Systems, also einer praktischen Anwendung die Rede. Überhaupt drängt sich die Frage auf, warum das Projekt geheim war, wenn es so harmlos ist. Inzwischen hat man ihm die nichtssagende Bezeichnung „Datenaustausch zur Verbesserung der Risikoeinschätzung“ verpasst. Es soll „Charakteristiken von Straftätern, die das Risiko von Morden verstärken“, untersuchen und „alternative sowie innovative Datentechniken zur Bewertung von Morden“ finden.

In Wahrheit ist dies ein weiterer Dammbruch im allgemeinen Trend zum gläsernen Bürger und immer übergriffigeren Staaten. Die Menschen sollen in allen Aspekten ihres Lebens erfasst, überwacht, bewertet, kontrolliert und dann natürlich bei vermeintlichem „Fehlverhalten“ auch sanktioniert werden. Die frühere Rasterfahndung ist dagegen ein harmloser Kehricht. Dieses Fehlverhalten kann dann bereits eine als „falsch“ eingestufte Lebensweise sein. In Deutschland droht insbesondere mit der elektronischen Patientenakte ganz Ähnliches. Es ist ein Rückfall in dunkelste Zeiten, wenn hochsensible Gesundheitsdaten dafür herhalten müssen, um künftige Verbrechen zu prognostizieren. Dies erinnert an längst überwunden geglaubten pseudowissenschaftlichen Unsinn wie die Schädelkunde. Aber der Rückfall ins 19. Jahrhundert, der in weiten Teilen Europas zu beobachten ist, beschränkt sich offenbar nicht nur auf die Wiederbelebung des Obrigkeitsstaates und der Majestätsbeleidigung bei Kritik an Politikern, sondern auch auf die Wissenschaft. (TPL)

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