Warum der moralistische Überbietungswettkampf scheitert / von Nicole Höchst
Gerade noch schillerte sie feucht in Regenbogenfarben in der Sonne: Die Wokeness-Seifenblase. Für Liebhaber wunderschön, den meisten aber schlicht egal. Doch nun droht sie zu platzen. Liebe Leser, es ist Zeit, die Masken fallen zu lassen: Der Wokismus, diese Selbstermächtigung selbsternannter Moralwächter zur Deutungshoheit über alle Lebensbereiche, eiert rum, sinkt schwer beladen und niedergedrückt von eigenen Widersprüchen zur Erde oder zerplatzt direkt noch in der Luft, bevor der Boden der Realität überhaupt erreicht wird. Was als Kampf für “mehr Gerechtigkeit” für immer mehr aus dem Boden schießende Opfer- und Randgruppen begann, ist zu einer dogmatischen Ideologie mutiert, die Freiheit, Vernunft und gesellschaftlichen Zusammenhalt zerfrisst.
Anfangs war diese Bewegung verführerisch: Wer wollte nicht gegen Ungleichheit oder Diskriminierung kämpfen? Wem erschien der Regenbogen nicht als Symbol ansprechend, verheißungsvoll und vor allem positiv aufgeladen? Es tut der Menschenseele immer gut, sich für die armen, schwachen, unterdrückten, diskriminierten und benachteiligten Opfer dieser Erde einzusetzen, und im ersten Reflex liegt darin ja auch etwas zutiefst Christliches. Aber Mitgefühl, Sensibilität, Toleranz kann man nicht verordnen.
Aufgezwungene Gesellschaftscharakteristika
Sie sind Persönlichkeitsmerkmale und unterliegen freier Willensentscheidung. Und Barmherzigkeit noch weniger. Dass Menschen sich dagegen entscheiden, Toleranz zu üben oder gar Barmherzigkeit, ist vielfach ärgerlich und zumindest traurig, aber nichts, was Bevormundung oder Zwang rechtfertigt. Zudem sind Bigotterie und zutiefst widersprüchliche Anwendungsgebote von Toleranz und Barmherzigkeit der absolute Todesstoß für jegliche gesamtgesellschaftliche Akzeptanz von aufgezwungenen Gesellschaftscharakteristika.
“Bunt” und “Regenbogen” war lustig und tolerabel, solange es nicht zur moralischen Pfllicht erhoben wurde, den Regenbogen vom Kindergartenalter an ungefragt nicht nur offen zu akzeptieren, sondern ihm gar sichtbar zu huldigen. Inzwischen kommt keine Sportart, kein Verein, keine Stadtbeflaggung mehr ohne diesen Kniefall vor der LGTBQ-Doktrin aus. So penetrant dringt diese Ideologie in das Privatleben der Bürger ein, dass diese es schlicht leid sind, ständig belehrt, bevormundet und mit Hass und Hetze der Guten überkippt zu werden, wenn sie die demonstrative Unterwerfung unter das Toleranz- und Vielfaltsdiktat verweigern.
Reale Probleme unter bunten Symbolen begraben
Wenn sie sich zum Beispiel daran störten, dass ein biologischer Mann bei den Olympischen Spielen letztes Jahr in Paris ungehemmt als „Transfrau“ echten Frauen die Fresse polieren durfte. Wenn man offensichtlichen biologischen Männern unter Strafandrohung Weiblichkeit attestieren soll. Es ging zuletzt sogar soweit, dass man Kritiker des Transgender- und Regenbogenwahns ganz offiziell strafrechtlich belangen wollte, um sie am besten nicht nur gesellschaftlich, sondern gleich auch noch finanziell zu vernichten.
All das geschah, während reale Probleme wie Migration, Kriminalität, Armut oder Inflation unter bunten Symbolen begraben wurden. Doch inzwischen ist eine Schmerzgrenze überschritten. Denn offenbar haben es die Wokista mittlerweile übertrieben – und zwar weltweit. Der Backlash, die Gegenbewegung folgt immer deutlicher auf dem Fuße. Von den USA über Argentinien bis Ungarn: Überall wird die Wokeness zurückgedrängt. Und das ist beileibe kein Rückschritt oder Verlust; nein, es ist eine überfällige Reaktion, und sie folgt anders als der woke Gesinnungsterror keiner elitären Propaganda oder Agenda linker akademischer Kreise, sondern sie stellt ein echtes “Aufwachen” – das bedeutet ”woke” ja – dar, und zwar der geplagten Mehrheit, die von dem ständigen Gezeter und den virtuellen Lynchmobs der Ewiggetriggerten gelinde gesagt die Schnauze gestrichen voll hat.
Der verlockende Glanz der Wokeness
Warum war die Wokeness so anziehend? Weil sie einfache Lösungen für komplexe Probleme bereitzuhalten schien: Alle sind Opfer, alle dürfen sich diskriminiert fühlen, alles kann, nichts muss. Scheinbar. In den USA, wo die Bürgerrechtsbewegung eine stolze Geschichte hat, gerierte sich die Wokeness wie deren natürlicher Nachfolger – obwohl sie mit Liberalismus und Befreiung so wenig tun hatte wie jede andere linkstotalitäre Ideologie. Hashtags wie “#BlackLivesMatter” oder “#MeToo” mobilisierten Millionen, verstärkt durch soziale Medien, wo jeder Klick ein Bekenntnis zur „guten Sache“ war.
Konzerne wie Disney oder Nike sprangen auf, wedelten mit Regenbogenflaggen und diversen Filmhelden, um zu zeigen: „Wir sind dabei!“ Besonders junge Menschen fühlten sich als Teil einer moralischen Avantgarde. Wokeness wurde zur Performance, zu einem Marketingtrick, der echte Probleme wie Bildungsungleichheit oder wirtschaftliche Not und Kriegsgefahr unter selbstbesoffener Posing-Symbolpolitik begrub. Doch am Ende ging der Schuss nach hinten los: Go woke, go broke war bald mehr als nur eine Parole. Bunt wurde zum Kassengift; die Menschen wandten sich vom Regenbogen zunehmend ab mit Grausen. Kein Wunder: Sie fordern von Medien Ehrlichkeit, vom Kulturbetrieb unabhängige Authentizität und von der Politik Lösungen… und keine Parolen oder selbstverliebte regenbogenbunte Gesten und Haltungsbekenntnisse.
Wenn Toleranz zur Zensur wird
Binnen kurzer Zeit haben die Gesellschaften des globalen Westens gelernt: Wokeness ist eine fatale Irrlehre, die den freien Diskurs zu ersticken droht. Sie predigt Vielfalt, praktiziert aber Einheitsdenken. Wer die falschen Pronomen benutzt oder eine abweichende Meinung äußert, riskiert soziale Ächtung oder Jobverlust. In den USA wurde 2024 die Harvard-Präsidentin Claudine Gay zum Opfer dieser Cancel Culture: Nach Antisemitismus- und Plagiatsvorwürfen, angeheizt von Anti-Wokeness-Kritikern wie der Abgeordneten Elise Stefanik, musste sie zurücktreten.
Ihre unklare Haltung in einer Kongressanhörung wurde zum Politikum, doch der wahre Skandal war der Kulturkampf gegen „woke“ Institutionen. Dieser Dogmatismus spaltet, statt zu vereinen. In Ungarn hat Viktor Orbán reagiert: Abschlüsse in Gender-Studien wurden an Universitäten verboten, um „ideologische Indoktrination“ zu stoppen. Mag man das drastisch finden; doch es zeigt, wie stark der Widerstand wächst.
Realitätsferne Forderungen, die scheitern
Wokeness stellt Ansprüche, die an der Realität zerbrechen. Absolute Gleichheit oder die Abschaffung biologischer Geschlechter ignorieren Natur und Gesellschaft. In den USA sorgte die Debatte um Transgender-Frauen im Frauensport für Empörung – viele empfinden es als unfair, wenn biologische Männer gegen Frauen antreten.
Argentinien geht einen anderen Weg: Präsident Javier Milei löste 2024 das Ministerium für Frauen, Geschlechter und Vielfalt auf, weil es ein teurer, bürokratischer Apparat war, der wenig brachte. Seine Wähler jubeln, weil sie pragmatische Lösungen wollen, keine ideologischen Vorgaben. Wokeness überfordert mit utopischen Zielen und verliert so ihre Anhänger, da ständig eine neue diskriminiertes Minderheit aus der Hecke springt, die unbedingter Gleichstellung bedarf – koste es , was es wolle.
Performative Gesten statt echter Lösungen
Wokeness liebt Symbolik, scheut aber Substanz. Unternehmen wie Gillette, die mit Kampagnen gegen „toxische Männlichkeit“ punkten wollten, erlebten Boykotte und milliardenschwere Verluste. In den USA haben Konzerne wie Walmart, McDonald’s, Ford, Toyota, Harley-Davidson und Boeing ihre Diversitätsprogramme zurückgefahren. Walmart nimmt Transgender-Artikel für Kinder aus dem Sortiment und kürzt die Unterstützung für Pride-Events. Disney strich eine Transgender-Story aus seiner Serie „Win or Lose“, um Konflikte zu vermeiden.
In Deutschland stellte die Unternehmerin Victoria Wagner ihre „Beyond Gender Agenda“-Initiative 2025 ein; vielleicht ja deshalb, weil Diversität kein Selbstzweck sein darf? Kunden und Aktionäre fordern Ehrlichkeit und Authentizität –, keine erzwungene Moral. Und schlußendlich sind auch in der Wirtschaft ständige Zwänge zu Buntheits-Bekenntnissen für oder gegen eher hinderlich, wie man sieht.
Die Entfremdung der Mehrheit
Wokeness spricht eine elitäre Sprache, die die Mehrheit ausschließt. Begriffe wie „struktureller Rassismus“ oder „White Privilege“ klingen akademisch, aber stoßen breite Bevölkerungsschichten inzwischen ab. In den USA hat Donald Trump diesen Frust genutzt, um 2025 DEI-Programme in Bundesbehörden zu kappen und Begriffe wie „non-binär“ oder „Klimakrise“ aus offiziellen Dokumenten zu streichen. In Ungarn hat Orbán die Wokeness als Angriff auf die nationale Identität gebrandmarkt, was ihm breite Zustimmung einbringt. In Argentinien lehnt Milei erfolgreich die „woke Agenda“ als elitären linken Luxus ab, da seine Wähler nach Lösungen für Inflation und Armut rufen. Die Menschen wollen Pragmatismus, keine Belehrungen.
Ein zentraler Widerspruch des Wokismus zeigt sich im Antirassismus, der oft unverhohlen in einen raffinierteren Rassismus umschlägt. Die Bewegung fordert Gleichheit, teilt Menschen aber in starre Kategorien: „Unterdrücker“ und „Unterdrückte“, basierend auf Hautfarbe oder Herkunft. In den USA führte die DEI-Ideologie dazu, dass bei Einstellungen oder Beförderungen Hautfarbe über Qualifikation gestellt wurde, was neue Ressentiments schuf. An der University of California wurden 2023 Quoten für Minderheiten eingeführt, die laut Kritikern dazu führten, dass asiatische Bewerber trotz besserer Noten benachteiligt wurden.Man wollte eine „Meritokratie“ verhindern und landet dadurch in der Mediokratie.
Der Antirassismus, der Rassismus neu verpackt
In Deutschland sorgte die Debatte um „kulturelle Aneignung“ für Kopfschütteln. Kinder, die sich zu Karneval als Indianer verkleiden, werden als respektlos gebrandmarkt und die Eltern gleich mit, weil sie angeblich fremde Kulturen „aneignen“, bzw. Ihre Kinder nicht richtig, also nicht woke, erziehen. Zur gleichen zeit im gleichen Woken Universum soll die Gesellschaft Männer akzeptieren, die in grellen Straßenstrich-Outfits, mit gerissenen Strumpfhosen, langen Fingernägeln und übertriebenem Make-up als Frauen auftreten – als Ausdruck von „Selbstidentifikation“. Diese Doppelmoral ist absurd: Ein Kind, das spielerisch seine Helden und eine von ihm positiv erlebte Kultur nachahmt, wird verpönt, während eine karikaturhafte Darstellung von Weiblichkeit als Fortschritt gefeiert wird.
Solche Ansätze verwässern Identitäten und verstärken die Vorurteile, die sie angeblich bekämpfen. Der Antirassismus der Wokeness wird so zum Spiegelbild dessen, was er verurteilt: eine Ideologie, die Menschen auf ihre Herkunft oder Erscheinung reduziert. Und: Die Kriterien sind nicht nachvollziehbar konsistent oder kongruent. Sie sind beliebig und schließen sich logisch auch noch gegenseitig aus. Eine elitäre Blase Ewig-Getriggerter führt die medialen Lynchmobs an, die mal in die eine, mal in die andere Richtung rennen. Es gibt immer öfter Meinungen, die man nicht haben darf – „oder sonst…“! Und das in einem Land, das im Grundgesetz die Meinungsfreiheit verbrieft hat.
Zeit für Vernunft und Zusammenhalt!
Die Wokeness scheitert, weil sie ihre eigenen Ideale verrät. Sie versprach Gerechtigkeit und Zusammenhalt, liefert aber Spaltung und Zerwürfnis, Zensur, und „Hass und Hetze“. Sie forderte Freiheit und Toleranz, übte aber völlig intolerante Kontrolle aus. Und damit haben sie es jetzt übertrieben. Man muss ihnen für diese Selbstentlarvung fast dankbar sein. Von den USA über Ungarn bis Argentinien zeigt sich: Die Menschen wollen keine moralischen Belehrungen, sondern Lösungen für reale Probleme – Jobs, Sicherheit, Wohlstand. Die Anti-Wokeness-Bewegung ist ein Aufwachen, ein Ruf nach Vernunft und einem Miteinander, das nicht in Gut und Böse teilt. Betroffene ungefragt „geschützte“ und damit medial permanent in den Fokus gerückte Minderheiten sind es leid, am Nasenring durch die Manege gezogen zu werden. Sie wollen einfach nur in Frieden leben.
Wokismus erreicht auch so das Gegenteil. Immer mehr wenden sich angewidert ab. Gesellschaften, die den Mehltau des Wokismus abschütteln und sich zu ihren verfassungsrechtlich verbrieften Grundwerten sowie zum seit der Aufklärung gesunder Menschenverstand gewordenem Naturrecht bekennen, starten aufs Neue in eine aussichtsreichere Zukunft – ohne Ideologie und ohne Denkverbote. Ich feiere das!
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Zur Person:
Nicole Höchst, Jahrgang 1970, ist AfD-Bundestagsabgeordnete aus Rheinland-Pfalz. Sie trat 2015 in die AfD ein und ist seit 2017 Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis 201 (Bad Kreuznach/Birkenfeld). Dort ist sie unter anderem als ordentliches Mitglied und Obfrau des Bildungsausschusses und als Sprecherin der AfD-Fraktion für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung tätig. Ferner ist sie stellvertretendes Mitglied in den Ausschüssen für Familie, Senioren und Jugend sowie für Digitales. Höchst ist desweiteren Delegierte des Deutschen Bundestages in den Europarat für die AfD-Fraktion und stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Desiderius-Erasmus-Stiftung.
Bis 2012 unterrichtete sie als Studienrätin am Staatlichen Speyer-Kolleg, anschließend war sie bis Oktober 2017 Referentin am Pädagogischen Landesinstitut (vormals IFB). Höchst war 2015 Mitglied der AfD-Bundesprogrammkommission und ist stellvertretende Vorsitzende des AfD-Kreisverbands Speyer. Sie ist katholisch, hat vier Kinder und lebt mit ihrer Familie in Speyer, wo sie auch Stadträtin ist.
Auf Jouwatch veröffentlicht Nicole Höchst alle 14 Tage die kritische Kolumne „Höchst brisant“ zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen. Der erste Jahrgang dieser Kolumnen ist auch in Buchform erschienen. Unter demselben Titel veröffentlicht sie in unregelmäßigen Abständen Videobeiträge auf ihrem YouTube-Kanal.