Zensur (Bild: GROK)

Verwaltungsgericht Münster: Staatliche Bibliotheken dürfen vor „umstrittenen“ Büchern warnen

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Das Verwaltungsgericht Münster legitimiert Meinungszensur: Staatliche Bibliotheken dürfen Nutzer vor „umstrittenen“ Büchern in ihrem Ausleihbestand warnen. Die Klage eines betroffenen Autors wurde abgewiesen. 

Staatliche Bibliotheken dürfen nun hoch offiziell Bücher zensieren und Nutzer auf „umstrittene“ Bücher hinweisen. Das Verwaltungsgericht Münster wies die Klage eines betroffenen Autors ab. Die Stadtbücherei Münster  hatte selbstherrlich das Buch „Putin Herr des Geschehens?“ von Jaques Baud zunächst mit dem Hinweis versehen, es sei „möglicherweise nicht mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar“. Nach medialer Aufmerksamkeit änderte sich der Hinweis auf „umstrittener Inhalt“. Ein weiterer betroffener Autor, Gerhard Wisnewski, beantragte eine einstweilige Verfügung, um den Hinweis zu entfernen. Das Gericht lehnte den Antrag ab und erklärte, dass Bibliotheken „im Rahmen ihres Bildungsauftrags auch negativ zum Inhalt von Büchern Stellung nehmen dürften.“

Was sich in deutschen Bibliotheken abspielt, macht klar, wie totalitäre Systeme funktionieren, wie die Meinungsfreiheit Stück für Stück stirbt. Dort ist man längst schon wieder zum sogenannten „Giftschrank“ zurückgekehrt und „säubert“ Mediensammlungen, die aus politischen und ideologischen Gründen der Allgemeinheit nicht oder nur eingeschränkt zugänglich gemacht werden soll.

Eine dieser Instanzen, die sich berufen fühlt, darüber zu entscheiden, welche Wahrheit und politische Haltung als korrekt gelten ist der „Berufsverband Information Bibliothek“ (BIB) mit Sitz im rot-grün regierten Hamburg. Beim BIB ist ein sogenannter „Expert*innenzirkel“ damit beschäftigt, „Medien an den Rändern“ zu prüfen und bei Bedarf Empfehlungen zu geben, wie Bibliotheken mit „rechten Werken“ umgehen sollten.

Die Stadtbibliothek Augsburg ging im vergangenen Jahr eine Kooperation mit der Universität Augsburg ein, bei der Literaturwissenschaftler und Studenten im Rahmen von Examensarbeiten den Bestand der Kinderbuchabteilung „rassismuskritisch“ durchforsten. Klassiker wie Winnetou oder Pippi Langstrumpf, die wegen ihrer Verwendung des problematischen I- oder N-Wortes als „kontaminiert“ gelten, wurden mit Trigger-Warnungen versehen. Über QR-Aufkleber können die Ergebnisse des universitären „Diversity-Checks“ vom Ausleiher nachgelesen werden.

2015 bereits hatte der Leiter der Stadtbibliothek Duisburg, Jan-Pieter Barbian, sämtliche Werke des deutsch-türkischen Autor Akif Pirincci, zensierte. Nach Pirinccis Rede bei einer Pegida-Veranstaltung säuberte Barbian die Bücherregale der Steuergeld-finanzierten öffentlichen Bibliothek. Barbian erklärte es könne keine Trennung zwischen dem Autor „harmloser“ Katzen-Krimi-Bücher und dem gefährlichen Sachbuchautor – Pirincci hatte zwischenzeitlich unter anderem sein migrations- und islamkritisches Buch „Deutschland von Sinnen“ veröffentlicht – geben.

Die Bibliotheksmitarbeiterin Sabine Pint kritisiert in einem offenen Brief an den Bibliotheksverband NRW, dass dieser das Urteil des Verwaltungsgerichts in einem Rundbrief mit den Worten begrüßt:

Sehr geehrte Damen und Herren des Bibliotheksverbands, sehr geehrter Herr Meyer-Doerpinghaus,

vorab ist mir wichtig, zu sagen, dass ich weder einem Verein noch einer Organisation oder Partei angehöre oder nahestehe.

Ich beziehe mich auf Ihre Aussage im oben genannten Newsletter, in dem Sie sich erfreut über die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster äußern, das der Stadtbibliothek Münster bescheinigt, bestimmte Medien mit einem Einordnungshinweis versehen zu dürfen. Dieser Hinweis besagt, dass die Inhalte dieser Medien „unter Umständen nicht mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar“ seien. Sie schreiben: „Das Urteil unterstreicht, dass Bibliotheken keine zur Neutralität verpflichteten, passiven Ausleihbetriebe sind. Vielmehr haben sie eine aktive vermittelnde Rolle, indem sie die Inhalte ihrer Medien für ihre Kundinnen und Kunden einordnen.“ Das demonstriere „einmal mehr die große Relevanz und Verantwortung von Bibliotheken als mitdenkende und mithandelnde Akteure in der demokratischen Zivilgesellschaft“.

Nun, ich arbeite in einer Stadtbibliothek und habe eine solche Institution immer so verstanden, den Bürgern und Gästen der Stadt breitbandige Information zur Verfügung zu stellen, ohne sie zu erziehen. Ich bin nie davon ausgegangen, dass ich oder jemand des Kollegiums „neutral“ sein müsse, wohl aber, dass unsere persönlichen Meinungen weder eine Rolle in Beratungsgesprächen, noch in der Bestandsanschaffung oder -präsentation spielen dürfen.
Denn was wäre die Konsequenz, wenn das nicht so wäre?

• Entweder nutzte derjenige, der solche Hinweise anbrächte, an dieser Stelle seine Macht als Lektor aus, um seine eigene Meinung an prominenter Stelle an der Arbeit eines anderen unterzubringen.

• Oder die Hinweise wären wild verteilt, weil jeder anderes als „umstritten“ ansieht (was bei den allermeisten Themen in Politik und Wissenschaft als konstruktiver Streit Realität sein sollte), und dann wären die Hinweise sinnlos.

• Oder aber der Hinweis hat den Sinn, in bestimmten Bereichen auf eine Einheitsmeinung hinsteuern zu helfen. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es viele Menschen zu viel Energie kostet, gegen eine solche Fremdeinordnung einer Institution anzulesen, anzudenken, anzudiskutieren.

Das Verwaltungsgericht konnte selbstverständlich so entscheiden, denn es hat ja „nur“ Kontextualisierung, kein Ausschluss dieser Medien stattgefunden. Rechtlich mag alles sauber begründet sein, denn der Zugang zur Information bleibt (vorerst) gegeben. Aber was heißt „Kontextualisierung“? Wird immer transparent gemacht, wer diese zu welchem Zweck vornimmt? Wer entscheidet über die Grenze zwischen demokratischer Verantwortung und Gesinnungslenkung?
Ich pflichte dem Philosophen Michael Andrick bei, dass das Konzept einer politischen Korrektheit schon in sich vollkommen undemokratisch ist, und das darf es als ungerechtfertigte Anmaßung in einer offenen, gleichberechtigten Gesellschaft nicht geben. Was ist der Warnhinweis der Stadtbibliothek Münster anderes als die Aufforderung, dem Werk von vornherein mit Misstrauen zu begegnen, statt sich unbeeinflusst und mit dem Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, mit dem Inhalt auseinanderzusetzen?

Ich empfinde nicht nur als Bibliotheksmitarbeiterin so, sondern gerade auch als Bürgerin. Ich möchte nicht erzogen werden, sondern auf Augenhöhe anderen Menschen begegnen. Der freie Austausch der Ansichten, zu dem freie und ungehinderte Information gehört, ist die Grundvoraussetzung für Demokratie. Was dort draußen derzeit im Namen der Demokratie oft verteidigt wird, ist die Haltung gegen Meinungsfreiheit, gegen oppositionelle Ansicht – es ist die schlichtweg unmögliche Verteidigung der Demokratie mit undemokratischen Mitteln. Das Dreiste daran ist das, was mich zornig macht: unhinterfragt und ungehindert werden die Begriffe weiter vor sich hergetragen, während das Gegenteil gelebt wird.

Die Meinungsäußerung der Stadtbibliothek Münster akzeptiere ich als solche im juristischen Sinn, nicht aber getätigt im Zuge ihres Bildungsauftrags, denn das würde bedeuten, dass ausgewiesene Experten der betroffenen Bildungsbereiche die Medien nicht nur gesichtet hätten, sondern argumentativ inhaltlich einordnen können und das transparent für ihre Bibliotheksnutzer tun.

Ich widerspreche nicht, dass von manchen Autoren menschlich fragwürdige, über respektlose und beleidigende bis hin zu verachtenden Aussagen getätigt werden; diese anzuzeigen und zu ahnden gibt es das Strafrecht. Dass unsere demokratischen Grundsätze aber keinesfalls homogen verstanden werden, haben uns die Corona-Maßnahmenjahre eindrücklich gezeigt. Sie haben uns die Gefahr einer einseitigen Kontextualisierung vor Augen geführt, die auf politische Rahmung schließen ließen und lassen.

Eine vielfältige Palette aller kursierenden Informationen zu einer Sache zu erhalten war und ist schwer. Große und gängige Verlage, die ums Bestehen kämpfen, verlegen in der Regel keine „umstrittenen“ Autoren oder Themen, kleine oder neue Verlage etablieren sich nur schwer im Markt; publizieren sie darüber hinaus sehr konservative oder „strittige“ Sichtweisen, werden sie entweder nicht zur Buchmesse eingeladen oder haben mit tätlichen Angriffen zu rechnen. 2017 hatte der Börsenverein zur „aktiven Auseinandersetzung“ mit bestimmten Verlagen aufgerufen, wonach es auf der Messe zu Protesten, Tumulten, Rangeleien und Sachbeschädigungen kam.

Wohin führt es, wenn Kulturpolitik der verlängerte Arm von Regierungspolitik ist?

Es sollte unstrittig sein, dass mit verschiedenen Mitteln versucht wird, unliebsame Meinungen zu unterdrücken anstatt diese zu diskutieren. Der Digital Services Act der EU, die Stimmenverteilung bei öffentlich gezeigten Gesprächsrunden, der Ton der Berichterstattung in den Leitmedien während der Corona-Maßnahmenkrise – dass allem, was von der Regierungsmeinung abweicht, von vornherein abwertend begegnet wird, zeigt mir deutlich, dass nicht die Abwertung gestärkt gehörte, sondern der respektvolle Austausch.

Was ich als Bürgerin und Nutzerin von meiner Stadtbibliothek erwarte ist, dass mir die Institution durch ihre Mitarbeiter, gedeckt durch ihre Leitung und diese wiederum durch die Oberbürgermeisterin oder den Oberbürgermeister, Informationen jeglicher weltanschaulicher Richtung bereitstellt. Der „gewissen Neutralitätpflicht“, die der Bibliothek als kommunaler Einrichtung wenigstens noch eingeschränkt attestiert wird, wird durch die ausgewogene Vielfalt des Angebots nachgekommen, nicht dadurch, dass Mitarbeiter, Leiter oder Oberbürgermeister persönlich neutral zu sein hätten.

Das Angebot hat keine erzieherische Agenda zu haben oder mir unter Anwendung von Nudging nahegebracht zu werden, gipfelnd im widerwillig erscheinenden Zusatz von Münster, dass die gekennzeichneten Bücher „aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit“ trotzdem „zur Verfügung gestellt“ würden. Nudging und Demokratie schließen einander aus. Wer will mit welchen Argumenten behaupten, dass beides gleichzeitig bestehen kann?

Für mich ist dieses Urteil kein Grund zur Freude. Es ist eine Einladung an die jeweilige Macht, Nudging in ihrem Sinne anzuwenden, den Druck im Miteinander noch weiter zu erhöhen, den notwendigen offenen Austausch weiter zu erschweren und gemeinsame günstige Weiterentwicklung zu verhindern.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Pint

PS: Im selben Newsletter, in dem das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster gelobt wird, wird die Woche der Meinungsfreiheit beworben, die vom 3. bis 10.05.2025 stattfand, initiiert vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels.“

(SB)

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