Es muss ja nicht immer der klassische Nasenring sein, an dem ein störrischer Stier durch die Manege gezerrt wird. Recep Tayyip Erdoğan präsentierte beim EPC-Gipfel in Tirana am 16.5.2025 eine modernisierte Variante dieser bewährten Zähmungstechnik: den Zeigefingergriff, live, vor laufenden Kameras, mitten auf dem diplomatischen Parkett. Der Schauplatz: internationale Bühne, roter Teppich, Blitzlichtgewitter. Emmanuel Macron, ganz im Geiste der Grande Nation, setzt zum dominanten Handschlag an, legt seine Hand auf die Erdogans. Doch was folgt, ist ein gekonnter Gegenschlag aus Ankara. Erdoğan greift zu, er ergreift den Zeigefiner Macrons und hält ihn eine Minute lang. Mit der Ruhe eines Mannes, der weiß: Jetzt gehört die Manege ihm.
Die Zuschauer waren zunächst irritiert, dann belustigt, schließlich begeistert. „Finger-Falle“ taufte das Netz die Szene, andere sprachen von „diplomatischem Jiu-Jitsu“. In Wahrheit war es wohl eher eine Mischung aus osmanischem Griff und oscarreifer Aufführung: der französische Präsident, plötzlich degradiert zum Pausennarren im geopolitischen Varieté. Erdoğan dagegen wurde zum Zirkusdirektor mit eiserner Faust und festem Griff.
Den Finger nicht gesehen
Ein Symbolbild unserer Zeit: Wo früher Nasenringe glühten, reicht heute ein entschlossener Zeigefinger. Und Macron? Der stand da wie ein dressierter Tanzbär mit Krawatte, dem man gerade den Ball entrissen hat. Macrons Miene zeigte ein gequältes Lächeln. Er war in diesem Fingerringkampf der Unterlegene. Man hätte fast Mitleid gehabt, wäre es nicht so unterhaltsam gewesen. Erdoğan, der alte Bühnenprofi, veränderte Macrons Körpersprache wie ein Dompteur und mit dem maximalen Spottfaktor. Und wer jetzt noch glaubt, Diplomatie sei ein Ehrenkodex statt ein Schaukampf mit weißen Handschuhen, der hat diesen Finger nicht gesehen.
Es war also kein Unfall, keine Geste des guten Willens, sondern eine bewusste Choreografie: Der Franzose streckt die Hand aus, der Türke greift zu und führt ihn ab. Nicht am Nasenring, nein, sondern am diplomatischen Nervenende Europas. Ob Macron sich je wieder traut, bei einem Handschlag oben zu liegen? Ungewiss. Sicher ist nur: Erdoğan hat ihn nicht nur am Finger gepackt, sondern an der Ehre und das vor Publikum. Manege frei für die nächste Runde.