Atomschlag auf eine fränkische Stadt, frei nach Albrecht Dürer (Bild:Grok)

Von der Ankündigung einer Atombombe auf eine fränkische Stadt

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KAPITEL I – Die Ursache: Seit über fünf Jahrzehnten schwelt ein tiefer geopolitischer Konflikt zwischen Deutschland und jener Atommacht, die im westlichen Diskurs meist nur noch mit zusammengebissenen Zähnen genannt wird. Sanktionen, diplomatische Ausgrenzung, wirtschaftliche Isolation – so lautete die Strategie der Bundesregierung und ihrer Verbündeten. Man glaubte, den Gegner damit „kleinhalten“ zu können.

Doch am 4. Juli 2087, um Punkt 08:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit, wurde die Weltordnung erschüttert – nicht durch eine Explosion, sondern durch einen Brief. Kein Attentat, kein Flugzeug, kein Cyberangriff – nur ein offizielles Schreiben an die Bundesregierung, veröffentlicht auf allen diplomatischen Kanälen:

Ankündigung des Atombombenabwurfs vom 4.7.2087

„In genau vier Wochen, am 4. August 2087 wird über der Stadt Treugutenberg ein nuklearer Sprengkörper gezündet. Diese Maßnahme dient nicht der Demonstration unserer Möglichkeiten. Sie soll verdeutlichen, dass unsere Geduld erschöpft ist – und dass weitere ökonomische und politische Sanktionen gegen uns nicht folgenlos bleiben.“

Man lässt vier Wochen Zeit. Absichtlich.
Nicht aus Mitleid. Nicht aus Menschlichkeit. Sondern, um maximale Wirkung zu entfalten. Der Gegner will, dass sich Deutschland in aller Öffentlichkeit windet. Dass Nachrichtenbilder von Bussen, weinenden Kindern, leeren Marktplätzen und hektischen Sondersitzungen in Endlosschleife gesendet werden. Er will, dass die eigene Regierung unter Druck gerät – nicht militärisch, sondern moralisch, wirtschaftlich, innenpolitisch. Er will zeigen: Ein einziger angekündigter Schlag reicht aus, um einen modernen Staat in einen Ausnahmezustand zu versetzen.

Treugutenberg ist nicht zufällig gewählt. Es ist keine Hauptstadt, kein Symbolort, kein Militärstützpunkt – sondern eine typisch deutsche Mittelstadt: 40.000 Einwohner, vier Altenheime, ein Krankenhaus, acht Schulen, zwölf Kindergärten, mehrere mittelständische Betriebe, ein Marktplatz mit Fachwerkfassaden und Geschäften.

Was der Gegner bezweckt

Nicht Berlin. Nicht Köln. Sondern ein Ort, wie er vielhundertfach in der Bundesrepublik existiert. Mit dieser Wahl will der Gegner die deutsche Politik zum Innehalten zwingen. Denn wenn selbst der Rückzugsraum des bürgerlichen Lebens – die Provinz – zur Zielscheibe wird, dann ist keine politische Legitimation mehr stabil. Die Medien berichten rund um die Uhr. Die Evakuierung wird zur Fernsehrevolution. Und in den Parlamenten werden erste Stimmen laut, ob das Sanktionsregime wirklich weiter tragbar sei.

Das ist es, was der Gegner bezweckt. Er zwingt ein ganzes Land, sich selbst beim Rückzug zuzusehen. Und das macht die Lage so gefährlich.

KAPITEL II: Die Evakuierung. 6. Juli 2087. Zwei Tage nach der offiziellen Drohung beginnt ein Ausnahmezustand, der in der Geschichte der Bundesrepublik seinesgleichen sucht. 40.000 Menschen in der Stadt Treugutenberg, 8.000 aus den angrenzenden Dörfern – insgesamt fast 48.000 Bürger – müssen untergebracht, versorgt und in neue soziale Strukturen eingegliedert werden. Die Bundesregierung erlässt eine verbindliche Zuweisungsliste:

  • München soll 6.000 Menschen aufnehmen, darunter 1.100 Schulkinder.
  • Dresden erhält den Auftrag, Pflegebedürftige unterzubringen.
  • Erfurt, Osnabrück, Ingolstadt, Weimar, Saarlouis – insgesamt 54 Städte werden verpflichtet, leerstehende Wohnungen zur Verfügung zu stellen, Schulplätze zu schaffen, Notquartiere einzurichten.

Die Kliniken im ganzen Bundesgebiet erhalten binnen 48 Stunden eine Liste mit Patienten aus Treugutenberg, darunter 18 Intensivbedürftige. Notaufnahmeleiter sprechen offen von einem „Kriegsszenario ohne Verwundete“. Turnhallen, Messehallen, ehemalige Kasernen – alles wird zu vorläufigen Aufnahmelagern.

Städtische Ordnung kollabiert

9. Juli. In Treugutenberg selbst bricht die städtische Ordnung Schritt für Schritt auseinander.

  • Lieferanten verweigern Zustellungen. Bäcker bekommen kein Mehl. Metzger keine Frischware. Gemüse bleibt in den Zentrallagern. Die Lieferanten befürchten Zahlungsausfälle.
  • Die Brauereien beenden die Belieferung der Gasthäuser. Kein Bier mehr auf Kommission. Wer zahlt im Ernstfall?
  • Der Supermarktleiter am Stadtrand kapituliert: „Ich bekomme keine Waren mehr. Ich mache morgen zu.“ Hunger treibt die Menschen zusätzlich aus der Stadt.

12. Juli. Die sogenannte „Berufsflucht“ beginnt:

  • Ärzte verladen ihre Apparate und verlassen die Stadt mit ihren Patientenakten.
  • Anwälte holen vertrauliche Unterlagen aus Kanzleien und bringen sie in entfernte Kanzleiverbindungen.
  • Steuerberater sichern Datenbestände.
  • Das Finanzamt lässt 68 Tonnen Papierakten nach Südbaden verfrachten – mit Bundeswehrlastwagen und bewaffneter Eskorte.

Abfahrt organisiert

14. Juli. Die Straßen füllen sich mit Fernsehteams. Ein Reporter des Bayerischen Rundfunks fragt Passanten, wie sie sich fühlen. Die Antwort eines pensionierten Bauarbeiters: „Fragen Sie mal die da oben, wie man sich fühlt, wenn man sein ganzes Leben in einen Koffer packen muss.“
Ein anderer ruft in die Kamera: „Weil ihr euch mit denen angelegt habt, müssen wir jetzt gehen! Und das nennt ihr Sicherheitspolitik?“

16. Juli. Die ersten offiziellen Busse rollen. Die Abfahrt ist organisiert – aber die Szenerie ist chaotisch:

  • Kinder weinen, weil sie ihr Meerschweinchen nicht mitnehmen durften.
  • Alte Männer tragen Plastiktüten mit Medikamenten.
  • Frauen mit Kinderwagen haben kein Ziel, nur eine Adresse: „Sporthalle Ost, Bayreuth“.

Und dennoch: nicht alle gehen.

  • Ein Pfarrer weigert sich: „Ich bleibe hier. Gott geht nicht in Deckung.“
  • Ein ehemaliger Soldat sagt: „Ich bin gegangen, als ich jung war. Jetzt geh ich nicht mehr.“
  • Eine Rentnerin lehnt ab: „Ich hab viermal umgezogen, ich rühre mich nicht mehr.“

20. Juli. Die Versorgung bricht endgültig zusammen.

  • Tankstellen sind leer.
  • Bäckereien geschlossen.
  • Müllabfuhr fährt nicht mehr.
  • Strom- und Wasserwerke arbeiten im Notbetrieb. Die Verwaltung ist ausgedünnt.
  • Tiere streunen durch die Straßen: aufgegebene Hunde, verwirrte Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen.
  • Kanarienvögel sitzen auf den Straßenlaternen. Man hört sie singen – seltsam klar, als wäre nichts geschehen.

Die Straßen leeren sich

25. Juli. Die Straßen füllen sich nicht mehr – sie leeren sich.
Menschen stehen am Straßenrand und winken – nicht aus Abschied, sondern in der Hoffnung, ein Auto möge sie mitnehmen. Gehbehinderte klammern sich an Rollatoren, doch die Fahrzeuge sind überfüllt. Auf den Rücksitzen: Koffer, Fernseher, eingewickelte Bilderrahmen. Niemand will Platz machen.

Ein verzweifelter Vater schreit durch das offene Fenster eines Autos: „Nehmen Sie wenigstens mein Kind mit!“ Die Fahrerin weint. Sie fährt weiter.

30. Juli. Noch immer halten sich einige hundert Menschen in der Stadt auf – teils aus Trotz, teils aus Unvermögen, teils aus Aberglaube. Die Stadtverwaltung existiert nur noch auf dem Papier. Polizeikräfte sind abgezogen. Es patrouillieren nur noch Drohnen.

In den sozialen Netzwerken, soweit noch aufrufbar, wird Treugutenberg zum Symbol der Verzweiflung.
Ein Politikwissenschaftler schreibt: „Der Gegner hat noch keine Bombe abgeworfen – er hat die Republik ins Herz getroffen. Und das mit einem einzigen Satz.“

KAPITEL III – Der Tag der Wahrheit: 4. August 2087. Der Tag, der in allen Kalendern rot markiert war. Der Tag, auf den das ganze Land hinauslief wie ein Schlafwandler auf eine Klippe. Der Tag, an dem alle wussten, was geschehen sollte – und dennoch nicht wussten, was tatsächlich geschehen würde. Die letzten Busse haben in der Nacht die Stadt verlassen. Der Marktplatz von Treugutenberg ist leer. Kein Mensch, kein Geräusch. Nur der Wind.

Kein Knall, kein Lichtblitz

07:45 Uhr. Kein Sirenenton. Kein Countdown. Kein Regierungsappell. Im Bundeskanzleramt ist es still. In den Nachrichtensendungen flimmern Archivbilder: Buskolonnen, weinende Kinder, verlassene Schulen. Man überbrückt die Zeit.

07:59 Uhr. In den Städten der Republik stehen Menschen auf Balkonen. In Krankenhäusern wird nicht gesprochen. In Berlin halten Abgeordnete die Luft an.
In den Ruheräumen der Notfallzentren zittert das Licht.

08:00 Uhr.
Nichts. Kein Knall. Kein Lichtblitz. Kein seismisches Zittern. Kein Pilz. Kein Alarm.
Ein Nichts, das lauter spricht als jedes Bombardement.
Ein Schweigen, das eine Weltordnung ins Wanken bringt.

08:03 Uhr. Die ersten Reaktionen sind Sprachlosigkeit. Dann ein kollektives Ausatmen. Doch dieses Ausatmen ist kein Aufatmen – es ist eher das Zusammenfallen einer Erzählung, an die man bis zuletzt geglaubt hat: Dass der Gegner nicht so weit gehen würde. Dass es nicht ernst gemeint war. Dass irgendeine rote Linie noch Wirkung zeigt.

Doch genau das war der Schlag.

Die Bombe fiel gar nicht

Die Bombe fiel gar nicht – und gerade darin bestand ihre Sprengkraft.
Denn nun sah die ganze Welt, was eine bloße Ankündigung bewirken konnte.
Wie eine Atommacht mit einem Satz einen Staat destabilisieren konnte.
Wie eine westliche Demokratie sich selbst räumte.
Wie Politiker zauderten, Experten stritten, Nachbarn flohen.

Die Bilder gingen um die Welt. Treugutenberg wurde zur Mahnung: So sieht Macht aus – wenn sie nicht handeln muss, um zu siegen.

09:00 Uhr. Die politische Lage ist nicht beruhigt – sie ist erschüttert.
Die ersten Bürgerproteste formieren sich – nicht gegen den Gegner, sondern gegen die eigene Regierung. Auf Transparenten steht:

  • „Wir sind kein Spielmaterial.“
  • „Ihr habt uns preisgegeben – für euren Stolz.“
  • „50 Jahre Provokation – und nun das.“

In Kommentaren liest man:

  • „Hätten wir früher nachgedacht, wäre uns dieses Schauspiel erspart geblieben.“
  • „Treugutenberg hat nichts verloren – und doch alles.“
  • „Vielleicht ist es Zeit, dem Gegner zuzuhören – und sich selbst infrage zu stellen.“

Am Abend tritt die Regierung vor die Kameras. Nicht siegreich. Nicht erleichtert.
Sondern angegriffen. Bleich. Verstummt. Sie sagt, man werde Gespräche einleiten.
Man prüfe das Sanktionsregime. Man wolle Missverständnisse abbauen.
Man werde das Gespräch suchen – auf Augenhöhe. Die Worte kommen spät. Sehr spät.
Fünf Minuten vor dem Inferno.

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