Der Fall „White Tiger“ hat wieder einmal verdeutlicht, dass in diesem Staat, der sich mit die teuersten Sicherheitsbehörden leistet, immer weniger funktioniert – und zwar weder im Bereich der Strafjustiz noch der Verbrechensprävention und -aufklärung (zumindest da, wo es nicht um Meinungsverbrechen, sondern um tatsächliche Kriminalität geht), noch im Bereich der inneren Sicherheit (etwa bei der Abwehr von Terroranschlägen). Die entscheidenden Hinweise kommen zumeist nur von außen – und selbst dann versäumen es Behörden und Justiz nicht selten, überhaupt tätig zu werden. So wie auch hier, in diesem atemberaubenden Missbrauchsskandal, der ganz Deutschland erschüttert und die Dringlichkeit eines besseren Schutzes von Kindern im digitalen Raum deutlicher denn je vor Augen geführt hat: bereits vor zwei Jahren lagen Hinweise aus den USA vor – doch die Verhaftung des mutmaßlichen Täters erfolgte erst jetzt.
Kerstin Claus, die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, fordert nach dem aufgedeckten Missbrauchsskandal nun in hohlen Lippenbekenntnissen ein “entschiedenes Eingreifen der Politik” und betont im Interview mit dem “Tagesspiegel”, dass das verzögerte Durchgreifen der Justiz in diesem Fall die “eklatanten Schwächen” in der internationalen Zusammenarbeit und im Jugendschutz im Internet aufzeige; eine reichlich sonderbare Interpretation der Vorgänge – denn ohne die internationale Zusammenarbeit und zumindest informatorische Warnsysteme im Netz wären die Schlafmützen bei den anderweitig beschäftigten deutschen Staatsanwaltschaften vermutlich gar nicht auf diesem Fall aufmerksam geworden.
Täter trieben kleine Kinder in Selbstmordhandlungen
Der „White Tiger“-Fall steht exemplarisch für die Gefahren, denen Kinder in sozialen Netzwerken, Videoplattformen und Online-Spielen ausgesetzt sind. Im konkreten Fall hatte der mutmaßliche Täter ein Kind zum Selbstmord getrieben. Die perversen Täter nutzen diese Plattformen, um Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen und sie zu manipulieren: Sie werden gezielt zu Selbstverletzungen oder Suizid hingeleitet. Claus kritisiert, dass es „praktisch keinen Kinder- und Jugendschutz im Netz“ gebe. Sie schlägt konkrete Maßnahmen vor: strengere Auflagen für Online-Anbieter, verbindliche Alterskontrollen und der Ausbau einfacher Meldewege. Zudem fordert sie eine Reform des Sexualstrafrechts, da digitale Taten wie Missbrauch via Livestream die Justiz vor neue Herausforderungen stellen. Auch betont sie die Notwendigkeit europäischer Regelungen, um Plattformen zur Identifikation und Meldung von Missbrauchsdarstellungen zu zwingen.
Das klingt alles ganz famos – doch letztlich werden Delikte dieser Art nur stiefmütterlich behandelt, zumal in diesem Staat so viele andere Baustellen zu bewältigen sind, die infolge der Masseneinwanderung nicht geringer werden dürften. Einzig mit einem Punkt trifft Claus den Nagel auf den Kopf: Die Ressourcen für Ermittlungsbehörden müssten dringend aufgestockt werden, um der steigenden Zahl an Fällen Herr zu werden. Die Missbrauchsbeauftragte ruft die Bundesregierung deshalb dazu auf, die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt zu priorisieren und ein “gesellschaftliches Bewusstsein” zu schaffen. Vermutlich bleibt es wieder einmal beim Appell. (TPL)