Vorbemerkung: August Bebel ist tot, leider. Geboren 1840 in Deutz bei Köln, gestorben 1913 in der Schweiz während eines Kuraufenthalts. Der gute alte August Bebel war gelernter Drechsler, ein einfacher Handwerker. Er ist Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie und von 1892 bis zu seinem Tod 1913 Vorsitzender der SPD. Bereits seit 1869 führte er, gemeinsam mit Wilhelm Liebknecht, ihre Vorläuferparteien durch Verbote, Exil und Verfolgung. Von 1872 bis 1874 saß er im Zuchthaus Hubertusburg in Sachsen, zwei volle Jahre. Verurteilt wegen Majestätsbeleidigung und Volksverhetzung, weil er gegen den Krieg wetterte. Man wollte ihn brechen, aber er kam gestärkt zurück. Insgesamt verbrachte er fast fünf Jahre hinter Gittern, darunter auch Festungshaft in Königstein und Zuchthaus Zwickau. Als SPD-Abgeordneter war er 42 Jahre im Reichstag, von 1871 bis 1913, davon viele Jahre als einziger sozialdemokratischer Abgeordneter. Seine Reden galten als moralische Richtschnur der Linken und sein Ruf reichte über Parteigrenzen hinaus.
Stellen wir uns, Bebel machte j etzt, im Jahr 2025, macht einen kleinen Abstecher aus dem Jenseits: Er steht fiktiv vor dem Mitgliederparteitag einer am Boden liegenden SPD und spricht. Traurig, ja – aber nicht hoffnungslos. Das würde dann wohl so klingen wie nachfolgend.
Statt Aufbruch Ernüchterung
Genossinnen und Genossen,
ich bin August Bebel. Von Beruf Drechsler, also Handwerker. Ich habe Holz auf der Drehbank geformt, Tag für Tag, mit eigenen Händen. Ich habe meine Partei mitbegründet, als man dafür noch vor den Richter zitiert wurde. Ich saß von 1871 bis 1913 im Reichstag. Ich habe mit euch für den Achtstundentag gekämpft, für das Frauenwahlrecht, für Bildung, Würde und Brot. Und ja, wir haben 1913 einen schweren Fehler gemacht. Wir haben für die Kriegskredite gestimmt, obwohl wir sie lange ablehnten. Daran trage ich mit Schuld. Aber ich habe daraus gelernt: Wer sich vom Volk entfernt, verliert nicht nur Stimmen, sondern seine Seele. Und im vorigen Jahr habt ihr wieder Kriegskrediten zugestimmt. Waren die Parteischulungen völlig vergeblich? Nichts gelernt, um neuen Schaden heraufzubeschwören? Heute stehe ich hier, weil ihr meine Partei seid. Und weil ich sehe, wie sie zerfällt. Die SPD wird nur noch von 16 von 100 Kolleginnen und Kollegen im Betrieb gewählt. Sechzehn. Früher waren wir die Partei der Arbeit. Heute sagen viele: Ihr seid die Partei der Talkshows, der Vorschriften, der Belehrungen. Ich sage: Das muss aufhören. Und jetzt, nur wenige Tage nach eurem Parteitag, steht ihr bei 15,5 Prozent. Die Menschen haben euch gehört und euch sofort die Gefolgschaft verweigert. Statt Aufbruch kam Ernüchterung. Statt neuer Glaubwürdigkeit neue Ratlosigkeit.
Wir von der SPD haben unsere Wähler nicht verloren. Wir haben sie verscheucht. Ihr habt das Thema Sicherheit den anderen überlassen. Ihr habt das Thema Heimat den anderen überlassen. Und ihr habt zugelassen, dass in vielen Städten Menschen Angst haben, ihre Tochter abends allein ausgehen zu lassen. Im Jahr 2024 gab es in Deutschland über über 29.000 Messerangriffe, das sind 80 pro Tag. Das ist kein Gerücht, das ist Realität. Die Menschen wollen nicht hören, dass das alles schwierig sei. Sie wollen, dass man handelt. Dass man abschiebt, wo es rechtlich möglich ist. Dass man die eigenen Leute schützt, nicht wegschaut. Ich erinnere: Die SPD hat direkten Einfluss auf über 80 Tageszeitungen durch die DDVG, ihre Medienbeteiligungsgesellschaft. Doch all die Leitartikel, all die Geschichten haben nicht geholfen. Der Mann an der Werkbank glaubt euch nicht mehr. Die Frau mit zwei Kindern und Halbtagsjob glaubt euch nicht mehr. Weil sie eure Werte nicht im eigenen Leben wiederfinden. Und noch etwas: Hört auf mit den Parteikarrieren ohne Lebensleistung. Wenn jemand wie Herr Klingbeil sagt, er sei früher in der Antifa aktiv gewesen, dann frage ich: Wie soll der einfache Genosse an der Werkbank das noch erklären, wenn er am Gartenzaun mit einem früheren SPD-Wähler diskutiert?
“Der Basis entfremdete Parteispitze”
Wir brauchen nicht solche Funktionäre, wir brauchen mehr Vertreter des echten Lebens. Ich sehe eine Parteispitze, die die Basis kaum noch kennt. Ich sehe Ortsvereine, in denen der Letzte das Licht ausmacht. Ich sehe Betriebsräte, die sagen: Früher war ich stolz, SPD zu sein. Heute sage ich es nur noch leise. In den Betrieben wählen 84 von 100 Kollegen etwas anderes. Nur 16 sind noch auf eurer Seite. Ich bin erschüttert. Und nun denkt ihr darüber nach, eine Partei zu verbieten, die euch Stimmen wegnimmt? Ich erinnere euch: Auch wir wurden einst verboten. Auch wir galten als Gefahr für die Ordnung. Wir wissen, was das heißt. Und heute wollt ihr mit einem Parteiverbot politische Gegner aus der Welt schaffen? Das zahlt sich nicht aus. Damit holt ihr keinen früheren SPD-Wähler zurück. Ganz im Gegenteil. Und jetzt, nach dem letzten Parteitag, steht ihr bei 15,5 Prozent. Das ist das schlechteste Ergebnis seit 1887.
Damals hatten wir noch nicht einmal das Frauenwahlrecht. Und heute, 2025, habt ihr es geschafft, dass euch kaum noch jemand zuhört. Strebt ihr die zehn Prozent an?? Aber ich stehe hier nicht, um euch zu demütigen. Ich stehe hier, weil ich euch wieder aufrichten will. Gebt der Basis das Recht bei der Wahl der Listenplätze zurück. Lasst die Leute wählen, die arbeiten, nicht die, die sich in Gremien hochdienen. Sprecht über Mieten, über Inflation, über bezahlbare Energie. Und über Sicherheit. Nicht in Schlagworten. In Taten. Ich bin SPD, weil ich glaube, dass ein Arbeiter mit Stolz sagen können muss: Ich gehöre zu denen, die unser Land tragen. Nicht versteckt. Nicht schamvoll. Selbstbewusst. Wenn ihr das wieder möglich macht, dann wird man euch nicht belächeln. Dann wird man euch wieder zuhören.
Ich danke euch. Und ich hoffe, ich muss nicht noch einmal aus dem Jenseits kommen, um euch daran zu erinnern, wer ihr einmal wart!