„Rückgängig-gemacht-Kemmerich“ tritt aus FDP aus – und veröffentlicht Brief

Nach knapp zwei Jahrzehnten Mitgliedschaft hat Thomas Kemmerich den Austritt aus der FDP erklärt. In einem persönlichen Brief – mehr Protest als Abschied – teilt er mit, was längst jeder bemerkt haben müsste: Die FDP hat sich von ihren angeblich freiheitlichen Wurzeln entfernt und ist längst schon zu Fake-Liberalen verkommen. 

Kemmerich schreibt an Christian Dürr, Vorsitzender seiner Partei: Er könne die Diskrepanz zwischen seiner Vorstellung von der Zukunft Deutschlands und der inhaltlichen Ausrichtung der FDP nicht mehr übersehen. Diese Distanz ist kein Randphänomen – sie ist systemimmanent. Die FDP preist sich als Hüterin der Freiheit, doch in Wahrheit nähert sie sich jenen Kräften an, denen Meinungsvielfalt, Bürgerrechte und liberaler Fortschritt suspekt sind, sobald diese unbequem werden.

Sein Abgang ist symptomatisch. Die Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten Thüringens im Februar 2020 – möglich gemacht mit Stimmen von CDU und AfD – war ein Tiefpunkt liberaler Glaubwürdigkeit. Ein taktisches Spiel, aufgeführt ohne Rücksicht auf demokratische Grundprinzipien oder auf moralische Verantwortung. Kemmerich nahm die Wahl an, ließ erklären, dass er keine Regierung bilden werde – und zog sich zurück, nachdem der öffentliche Druck zu groß wurde. Eine Politik der Reaktion anstelle zukunftsgerichteter Gestaltung. Ein liberaler Anspruch, der sich im Konjunktiv erschöpft.

Wenn der ehemalige Thüringer Landeschef sagt, die Ausrichtung habe sich „auseinanderentwickelt“, dann ist das noch milde formuliert. Es ist vielmehr ein Bruch – ein Bruch mit dem Anspruch, liberal zu sein, ohne Opportunismus; ein Bruch mit der Haltung, dass Liberalismus nicht ein Label ist, das man wählt, wenn’s passt, sondern ein ethisches Fundament, das trägt, auch wenn es wehtut.

Kemmerich geht – und mit ihm ein Zeuge dafür, wie die FDP sich Stück für Stück von der Idee gelöst hat, die Freiheit umfassend zu denken. Was bleibt, ist ein Gebabbel von Freiheit.

Im Februar 2020 war Kemmerich im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen gewählt worden. An der Wahl wurde wegen der angenommenen Mitwirkung von Abgeordneten sowohl der AfD- als auch der CDU-Landtagsfraktion von linker Seite Kritik geübt. Bundeskanzlerin Merkel äußerte sich dazu am Tag nach der Wahl im Rahmen eines Staatsempfangs aus Südafrika dahingehend, dass die Ministerpräsidentenwahl mit einer „Grundüberzeugung“ gebrochen habe, „für die CDU und auch für mich“, wonach mit „der AfD“ keine Mehrheiten gewonnen werden sollten. Der Vorgang sei „unverzeihlich“, weshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden müsse. Es sei „ein schlechter Tag für die Demokratie“ gewesen. Der „Vorgang“ wurde rückgängig gemacht.

Mit Urteil vom 15. Juni 2022 hat der Zweite Senat entschieden, dass Ex Bundeskanzlerin Angela Merkel durch eine im Rahmen einer Pressekonferenz mit dem Präsidenten der Republik Südafrika am 6. Februar 2020 in Pretoria getätigte Äußerung zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen und deren anschließende Veröffentlichung auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung die Partei Alternative für Deutschland (AfD) in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat.

Reaktionen auf Kemmerichs Austritt:

Gerhard Papke, Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft, ehem. FDP-Fraktionschef und Landtagsvizepräsident in NRW schreibt auf X: „Dass Kemmerich die FDP verlässt, ist ein weiteres Zeichen ihres Niedergangs. Leute wie Buschmann und Strack-Zimmermann haben die bürgerlich-freiheitliche DNA der FDP beschädigt und das Ansehen der Partei ruiniert. Die letzte Chance der FDP ist, neue Mehrheiten zu ermöglichen.“

Joana Cotar: „Konsequent. @KemmerichThL tritt aus der FDP aus. Und er ist nicht der Einzige. Wer echte Freiheit will, findet die nicht in dieser Partei.“

Peter Borbe@PeterBorbe: „Die starke Dominanz der Linksliberalen in der Partei sei wohl der Grund, er spricht von der Gründung einer neuen liberalen Partei. Vielleicht keine schlechte Idee.“

(SB)