Mangelnde Aufklärung und Irreführung der Patienten – deshalb kaum Widersprüche gegen die Elektronische Patientenakte
Die heftig umstrittene Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) markiert einen Meilenstein in der Telematikinfrastruktur für rund 74 Millionen gesetzlich Versicherte in Deutschland. Seit dem 15.01.2025 sind Krankenkassen verpflichtet, jedem Versicherten eine ePA bereitzustellen, es sei denn, sie widersprechen innerhalb von sechs Wochen (Opt-out-Regelung). Diese Änderung vom bisherigen Opt-in-Modell, das nur 1 % der Versicherten nutzten, soll eine umfassende Datensammlung ermöglichen, um die Gesundheitsversorgung zu optimieren und Forschung zu fördern. Doch die Umstellung wirft erhebliche datenschutzrechtliche und ethische Fragen auf.Die ePA erlaubt die Primärnutzung durch Leistungserbringer wie Ärzte oder Apotheken und die Sekundärnutzung zu Forschungszwecken. Kritiker wie der Bundesbeauftragte für Datenschutz betonen, dass die geringe Nutzung der Opt-in-Regelung auf mangelnde Aufklärung zurückzuführen sei, nicht auf Desinteresse.
Wie Manfred Kölsch in einem Aufsatz für das Netzwerk Kritischer Richte und Staatsanwälte (KRISTA) zusammenfasst, fehlten Ärzten und anderen Berechtigten lange Zeit die technischen Voraussetzungen für eine praktische Nutzung der ePA. Datensicherheit bleibt ein zentrales Problem: Pseudonymisierte Daten sind laut Experten wie dem Chaos Computer Club leicht reidentifizierbar, und der 90-tägige Zugang für Dritte wie Apothekenpersonal birgt Risiken. Bianca Kastl warnt vor einem „sicherheitstechnischen Alptraum“ durch zentrale Datenspeicherung. Jürgen Windeler, ehemaliger Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, zweifelt an einem gesundheitlichen Mehrwert der Opt-out-Regelung. Die Daten seien unvollständig und für Forschung nur bedingt geeignet, könnten aber von der Pharmaindustrie oder Tech-Konzernen wie Meta oder Google für Marktforschung oder KI-Training genutzt werden.
Selbstbestimmungsrecht wird eingeschränkt
Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) priorisiert Forschungszwecke über das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Versicherten, das durch die Opt-out-Regelung faktisch eingeschränkt wird. Ein Widerspruch ist möglich, doch komplexe Regelungen und technische Hürden, insbesondere für ältere Versicherte, erschweren dies. Nur etwa 5 % der Versicherten haben bisher widersprochen.Die Regelung wird als „libertärer Paternalismus“ kritisiert, da sie durch psychologische Mechanismen wie Trägheit oder Unwissenheit die Zustimmung zur Datennutzung erzielt, ohne echte informierte Einwilligung. Die fehlende Transparenz über die Datenweitergabe an Dritte widerspricht der DSGVO und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die klare Nachvollziehbarkeit fordert.
Mit der Einführung des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) 2025 wird die ePA auch für Privatversicherte verpflichtend, was die Datenschutzbedenken weiter verschärft.Die ePA zeigt exemplarisch, wie staatliche Maßnahmen unter dem Deckmantel des Gemeinwohls die individuelle Selbstbestimmung untergraben. Ohne transparente Aufklärung und niedrigschwellige Widerspruchsmöglichkeiten droht das Vertrauen in die Gesundheitsversorgung und den Rechtsstaat zu erodieren. (TPL)