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Zwischenrufe aus Brüssel: Wird das BSW den Absprung aus dem Einheitskartell schaffen?

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Im Herbst werden viele Früchte reif. Doch nicht nur sie. Auch manche Menschen scheinen in diesen Tagen von Weisheit, Vernunft und Realität eingeholt. Denn nach den Wahlen in Ostdeutschland wurden neue Tatsachen geschaffen, die man als selbsternannter Verteidiger der Demokratie entweder leugnen und missachten kann. So geschehen aktuell im Landtag von Thüringen, als sich das mehrheitliche Plenum gegen die AfD auflehnte, ihre parlamentarischen Rechte zu beschneiden versuchte und aus inhaltlicher Leere kurzerhand das Verfassungsgericht anrief, weil es sich nicht mit einem Alterspräsidenten derjenigen Partei abgeben wollte, die beim Urnengang die meisten Stimmen eingefahren hatte.

Von Dennis Riehle

Ein theatralisches Schauspiel der Verkennung von Tatsächlichkeiten, an die man sich auch im Westen sukzessive wird gewöhnen müssen, vollendete die Demaskierung von in Wahrheit nach DDR-Oligarchie strebenden Verhältnissen. Wer sich aber eines Gewissens besinnt und die angesprochene Tugend der Weitsicht gegen ideologische Brandmauern eintauschen möchte, der macht mit einem Zwischenruf auf sich aufmerksam, der von Rationalität und Pragmatismus getragen ist. Exemplarisch hierfür steht der Europaabgeordnete des BSW, Friedrich Pürner. Mit einem beachtlichen Appell auch in Richtung der eigenen Reihen fordert er ein Ende des postinfantilen Gebarens namens Distanzeritis.

Denn auch wenn das Geschehen von Berlin bis Erfurt bisweilen anders anmutet, so sollten wir als zivilisierte Menschen doch über den Zeitpunkt des Sandkastens hinweg sein, in dem man sich bockig um Förmchen und Schäufelchen streitet, sich aus Sturheit nicht die Butter vom Brot nehmen lässt und in einem egomanischen Trotz so lange auf persönliche Prinzipien beharrt, bis der außenstehende Betrachter entnervt nachgibt – und im Zweifel doch wieder eine Koalition hinnimmt, die mit drei oder vier Partnern krampfhaft ein Bündnis um die Alternative für Deutschland herum zu schmieden versucht. Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat momentan die Gelegenheit, sich aus einem Einheitskartell zu lösen – und damit nach ihrer noch nicht allzu lange zurückliegenden Gründung ein eigenes Profil zu schärfen, das sich nicht abhängig macht von der Moralkeule der Etablierten. Inhaltlich scheint es zumindest manche Brücken zu geben, über die man aufeinander zugehen kann. In der politischen Wirklichkeit gibt es keine Liebe. Das schwankt ein Miteinander meist zwischen Zweckgebundenheit und kleinstem gemeinsamen Nenner. Deshalb braucht es keinen Heiratsantrag, sondern lediglich eine schlichte Nüchternheit, wenn man sich vor Augen hält, dass dauerhafte Gräben und eine Polarisierung in dieser Gesellschaft zu Entfremdung und Absolutheit führen.

Und diese Tendenzen gibt es ohne Zweifel, weshalb man sich schon allein deshalb Mut zusprechen sollte, um Verbindendes zu finden. Das scheint beispielsweise mit Blick auf eine Eindämmung der illegalen Migration denkbar zu sein. Auch hinsichtlich der europäischen Strategie im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland lassen sich unverhohlene Parallelen erkennen. Mit Blick auf eine vornehmliche Ausrichtung unserer sozialen Sicherungssysteme auf den hiesigen Bürger statt auf den halben Globus gibt es durchaus einen etwaigen Konsens. Oder bei der Annahme ausschließlich zweier Geschlechter und einer nach der Pubertät abgeschlossenen Selbstbestimmung. Sofern man also dazu bereit ist, weltanschauliche Scheuklappen abzulegen und die Programmatik des Anderen unvoreingenommen und ebenbürtig zu studieren, reicht im Zweifel das tragende Fundament auch über die punktuelle Zusammenarbeit in einzelnen Sachfragen hinaus. Schließlich hatte man sich bereits aus der Verankerung der Linken emanzipiert – und nicht ohne Grund für eine Abspaltung votiert. Niemand muss sich um den Hals fallen, wenn man zu der profanen Überzeugung gelangt, dass das Wesen der Volksherrschaft unter anderem in der prinzipiellen Offenherzigkeit liegt, unter Erwachsenen ins Gespräch zu kommen – statt sich von kanalisiertem Ekel oder sinnfreier Kontaktscham beirren zu lassen.

Letztlich ist der Zustand unserer Republik derart desaströs, dass es eines Ringens um die besten Lösungen, Konzepte und Antworten auf die Herausforderungen bedarf. Und keines peinlichen Schmierentheaters der vermeintlich Guten und Besseren, die mit dem Totschlagargument von 1933 nicht nur Geschichtsvergessenheit beweisen, sondern nunmehr tief in einer Nazi-Paranoia stecken. Wenn man nach der Diskussion zu dem eher unwahrscheinlichen Resultat kommen sollte, dass es überhaupt keine Schnittstellen gibt, dann ist man wenigstens dem Anspruch gerecht geworden, es probiert zu haben. Was wäre in dieser Nation schon alles zu bewegen gewesen, würde man die bislang für das verbale Niederknüppeln jedweder Kritik an der Ampel verwendete Kraft in die Wiederherstellung der inneren Sicherheit, die Bewahrung der kulturellen Identität, die Ankurbelung der Wirtschaft, den Ausstieg aus einer verkopften Transformation, die Achtung des Asylrechts, die Bemühung um Frieden, das Einfordern von Sittlichkeit und Regelbasiertheit, einen Schlussstrich unter Genderismus und Queerismus oder das Beerdigen von Narrativen über angebliche Desinformation und Manipulation durch den Unbekannten in Moskau stecken. Wir befänden uns wohl nicht an einer Talsohle der Schmach, legte man Rückgrat gegenüber dem Souverän als Maßstab an. Und so ist es die Einladung, Verantwortung zu übernehmen, über die all jene ernstlich sinnieren sollten, denen es nicht um Befindlichkeiten, sondern um unsere Zukunft geht.

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