Atombombenexplosion - Foto: Imago

Der Mann, der die Welt rettete

1983 schrammte die Welt knapp am Atomkrieg vorbei – doch ein sowjetischer Oberst meldete einen US-Raketenangriff korrekt als Fehlalarm. Dass die sowjetischen Computer den Angriff durch amerikanische Atomraketen anzeigten, kam laut späteren Untersuchungen sowjetischer Spezialisten zustande, weil Reflexionen von Sonnenstrahlen in Wolken von den Frühwarnsystemen als Energieentladungen bei einem Raketenstart eingestuft worden waren.

Fast zehn Jahre dauerte es, bis die Nachricht von seiner Millionen Menschenleben rettenden Tat in die Welt sickerte, und so erhielt er Jahrzehnte später nur einen Bruchteil der Anerkennung, die er verdient hätte. Der ehemalige Oberstleutnant der Sowjetarmee, Stanislaw Petrow hatte im Herbst 1983 durch eine einsame, mutige Entscheidung einen dritten Weltkrieg verhindert und damit das Leben von Milliarden Menschen gerettet.

Spätestens seit 1947 eskalierte der Konflikt zwischen den USA und der UdSSR zum sogenannten Kalten Krieg. Die Spannungen zwischen den beiden Supermächten führten zur Bildung der beiden Bündnissysteme NATO und Warschauer Pakt. Um 1950 begann ein beispielloses Wettrüsten. Den anfänglichen Vorsprung der USA bei den strategischen Nuklearwaffen hatte die UdSSR bis gegen Ende der 1960er-Jahre durch eine massive Nachrüstung ihrer land- und seegestützten Interkontinentalraketen ausgeglichen. Als sich die Spannungen um 1980 erneut verschärften, hatten beide Seiten bereits ein Vielfaches der zum Auslöschen des Gegners erforderlichen nuklearen Zerstörungskraft akkumuliert. Im Fall eines gegnerischen Erstschlages sollte die Vergeltung in Form der totalen Vernichtung des Angreifers ausgelöst werden.

Petrow stand während dieser kurzen Entscheidungsphase unter erheblichem Druck

In der Nacht vom 25. auf den 26. September, mitten im Kalten Krieg, schrillte um 0:15 Ortszeit im sowjetischen Raketenabwehrzentrum die Sirenen. Das Frühwarnsystem meldete den Start einer amerikanischen Interkontinentalrakete. Dem diensthabenden Offizier blieben nur wenige Minuten, um die Lage einzuschätzen. In jener Nacht im Herbst 1983 war Stanislaw Petrow der diensthabende Verantwortliche in einem Luftüberwachungszentrum nahe Moskau, als der Computer den Abschuss von fünf US-Raketen Richtung Sowjetunion anzeigte. Petrow stand während dieser kurzen Entscheidungsphase unter erheblichem Druck: Einerseits würde eine Fehlwarnung zu einem sowjetischen atomaren Erstschlag führen. Andererseits würden im Falle eines tatsächlichen US-amerikanischen Angriffs umgehend dutzende nukleare Sprengköpfe auf sowjetisches Territorium niedergehen. Er meldete seinen Vorgesetzten damals einen Fehlalarm. Ich wollte nicht schuld sein am dritten Weltkrieg, wird er später als Begründung anführen.

Ein verhinderter Friedensnobelpreisträger, der später im Plattenbau und großer Armut lebte.

Erst mit zehnjähriger Verspätung, 1993 wurde seine Ruhmestat bekannt. Als die Zeitung Prawda über ihn berichtete, war die Sowjetunion längst untergegangen, und der Kalte Krieg war Geschichte. Weil die Zeitschrift “Kommersant Wlast“ die Ereignisse jener Septembernacht noch einmal aufgriff, machte Petrow auch im Westen Furore. Er erhielt Einladungen nach New York, Westeuropa und nach Deutschland. Einige Preise wurden glücklicherweise auch mit Geld ausgestattet. 2013 wurde er in der Semperoper mit dem Friedenspreis der Stadt Dresden ausgezeichnet, der mit 25.000 Euro dotiert wurde. Zu dieser Zeit lebte der Ex-Offizier, dessen Frau schon 1997 an Krebs gestorben war, in einer armseligen Pension einer Plattenbausiedlung nahe Moskau.
2012 wurde der stille, bescheidene Mann mit weißem Haar und Schnurrbart in der Kongresshalle in Baden-Baden ausgezeichnet. Er schaute auf seine Hände, als er geehrt wurde.  Er war es nicht gewohnt, im Rampenlicht zu stehen, es war ihm sichtlich unangenehm.

In diesem Zusammenhang führte die Welt ein Interview mit ihm. Hier ein Auszug.
Die Welt: Bekamen Sie eine Auszeichnung? (Anmerkung: Gemeint war1983)

Stanislaw Petrow: Ja, aber nicht für diesen Abend. Das hätte ja nie publik werden dürfen, selbst in Militärkreisen war es nur wenigen bekannt. Ich wurde mit anderen für meine Verdienste um das Satellitenprogramm ausgezeichnet.

Die Welt: Wie wurde das Ganze dann überhaupt bekannt?
Stanislaw Petrow: Mein Vorgesetzter von damals hatte 1993 in einem Beitrag der “Prawda” darüber berichtet. Irgendwie gelangte das dann ins Ausland. In Russland hat das aber nie jemanden wirklich interessiert.

Die Welt: Herr Petrow, sind Sie ein Held?
Stanislaw Petrow: Nein, ich bin kein Held. Ich habe einfach nur meinen Job richtig gemacht.

Die Welt: Aber Sie haben die Welt vor einem dritten Weltkrieg bewahrt.
Stanislaw Petrow: Das war nichts Besonderes.

Petrow starb fast unbemerkt am 19. Mai 2017 in Frjasino bei Moskau, wo er die letzten Jahrzehnte seines Lebens gewohnt hatte. An seinem 2. Todestag im Jahr 2019 wurden in Oberhausen Gedenktafeln in drei Sprachen für Petrow aufgestellt. Die Inschrift lautet: „Wäre er den Computermeldungen gefolgt, wäre der sofortige atomare Gegenschlag erfolgt und damit der Tod von Millionen Menschen in den USA, in Europa und Russland die Folge gewesen”.

Wir sind uns in der heutigen Situation sichtbar nicht mehr bewusst, wie schnell Dinge außer Kontrolle geraten können. Es bleibt zu hoffen, dass an den Schaltstellen des Militärs Stanislaw Petros sitzen, die bescheiden und still nur ihren Job richtig machen.

 

 

 

 

 

 

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