In Deutschland herrscht eine klebrige Nähe zwischen Medien und Politik, die unabhängige Berichterstattung unmöglich macht.
von Marcus Klöckner für Rubikon
Die erste Macht im Lande sollte durch die vierte kontrolliert werden. Jedenfalls ist das in einem demokratisch verfassten Staat ursprünglich so vorgesehen. Doch anstatt ihre Wächterfunktion wahrzunehmen, macht sich die Presse mit denen gemein, vor denen eigentlich gewarnt werden müsste. Die Medien gehen auf Kuschelkurs und degradieren sich selbst eher zu Herolden obrigkeitlicher Verlautbarungen. Exklusive, diskrete Gespräche finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Chefredakteure und Büroleiter von Sendeanstalten werden auf einen bestimmten Kurs eingeschworen. All das ist in der Presselandschaft Deutschlands normal. Für die Machtkontrolle erweist es sich jedoch als fatal. Ein Kommentar von Marcus Klöckner, Autor des Buches „Zombie-Journalismus: Was kommt nach dem Tod der Meinungsfreiheit?“, dem sechsten Teil der Corona-Aufklärungsoffensive des Rubikon-Verlages, das am 24. August erscheint.
„Am Tag vor wichtigen Bund-Länder-Corona-Schalten wurde wiederholt einer zusammengerufenen Journalistengruppe die Sichtweise des Kanzleramts, dass strenge Lockdown-Maßnahmen nötig sind, so eindringlich dargestellt, dass es zum Gipfeltag in Zeitungen und Onlineportalen stand. Und Druck auf die Länder aufbaute.“
Diese Zeilen stehen in einem aktuellen Porträt des Tagesspiegels über Steffen Seibert, den Regierungssprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Sie geben Einblick in eine Realität, die Kritiker der Medien erahnen, die aber viele Journalisten gerne immer wieder als absurd abtun. Eine gelenkte Berichterstattung? Unsinn! lautet der Tenor. Wäre es nur so einfach.
Die Vorwürfe von Medienkritikern sind allseits bekannt: Journalisten und Politiker stecken unter einer Decke und die Berichterstattung ist politisch gesteuert. Vorwürfe dieser Art gehören mit zu den härtesten Vorwürfen, die man der Presse machen kann. Medien und Journalisten, die politisch „embedded“, also: eingebettet sind, passen nicht zum Bild einer freien Presse, die die Herrschenden kontrolliert, anstatt mit ihnen ins Bett zu gehen.
Genau so bekannt sind auch die immer wieder zu hörenden Reaktionen von Medienvertretern, wonach die enge Verbindung zwischen Journalisten und Politik ein Phantasma sei.
Man kann es sich, möchte man anmerken, auch arg einfach machen und die berechtigte Medienkritik als substanzlos abtun.
Gewiss: Für die Uniformität in der Berichterstattung gibt es viele Ursachen. Für den Eindruck, dass die Medien wie von außen gesteuert wirken, gibt es viele Erklärungen. Wer sich mit den Medien und dem journalistischen Feld näher auseinandersetzt, kann verstehen, dass eine „Berichterstattung“, die wie aus einem Guss wirkt, vor allem auch damit zu tun hat, dass das journalistische Feld sozial geschlossen ist und die in den Köpfen vieler Journalisten vorherrschenden Weltbilder und Wirklichkeitsvorstellungen bereits so „einheitlich“ sind, dass letztlich das, was nach außen als „Berichterstattung“ verkauft wird, genauso einheitlich ist. Doch das ist ein anderes Thema.
Richtig ist allerdings, dass Journalismus und Politik viel enger miteinander verbunden sind, als es für eine gesunde Demokratie gut ist. Selbstverständlich gibt es reale Einflüsse vonseiten der Politik auf Medien. Diese Einflussversuche mögen mal mehr, mal weniger erfolgreich sein, aber es gibt sie. Und das ist ein Problem.
Für Medienkritiker ist es ein mühseliges Unterfangen, diese Einflüsse, ja: diese Verbindungen zwischen Politikern und Journalisten darzulegen. Es hat etwas Detektivisches: Es gilt, einzelnen Hinweisen und Äußerungen nachzuspüren, Informationsteile zusammenzutragen und nach und nach zu versuchen, ein Bild zu zeichnen, das Auskunft darüber gibt, wie diese Verquickungen aussehen. Doch die größte Hürde ist kaum zu überwinden: Mit eigenen Augen direkt diese Einflussversuche zu beobachten, festzuhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das Problem ist: Die Einflüsse sind oft nicht direkt sichtbar. Sie laufen eben nicht vor laufender Kamera ab. Sie werden ausgeübt in diskreten Runden, in Hinterzimmern und fernab vom Lichte der Öffentlichkeit. Und diejenigen, die Zutritt zu derartigen Treffen unter dem Einflussbereich der Politik haben, hängen ihre Erfahrungen natürlich nicht an die große Glocke. Vermutlich sehen sie sogar noch nicht einmal eine Notwendigkeit daran. Vermutlich erkennen sie nicht einmal eine Grenzüberschreitung, wenn sie bei einem diskreten Treffen von hochrangigen Vertretern der Politik mit exklusiven Informationen gefüttert werden. Und dieses Verhalten ist nicht einmal schwer zu erklären.
Weltanschauliche Verbundenheit
Zwischen Journalisten und Politikern existiert oft eine ideologische Komplizenschaft. Die beiden Gruppen sind weltanschaulich miteinander verbunden. Man muss sich als Medienkritiker nur die Bundespressekonferenz anschauen. Die weltanschauliche Verbundenheit von Journalisten und Politikern ist offensichtlich. Und so werden bestimmte, handverlesene „Journalisten“ eben in die bekannten und weniger bekannten Hintergrundrunden im politischen Berlin eingeladen. Manchmal könnten Kameras mitlaufen und die Öffentlichkeit würde nichts sehen, was weiter von Belang ist.
Trivialitäten. Ein Witzchen hier, ein Witzchen da, ein paar Informationen aus erlauchtem Munde, die aber im Grunde genommen keinen großen Wert haben. Doch manchmal ist es eben auch anders. Manchmal geht es um etwas. Wie etwa, wenn Politiker offensichtlich ein Interesse daran haben, Medienvertreter auf einen harten Kurs in der Pandemie-Politik einzuschwören.
Und plötzlich — das sollte uns allen deutlich werden — geht es nicht nur um „etwas“, es geht um „ziemlich viel“. Es betrifft uns alle.
Wenn Politiker der Auffassung sind, ein Lockdown ist angebracht, dann dürfen sie selbstverständlich dieser Auffassung sein. Aber es bedarf dann — wie bei anderen wichtigen Themen auch — einer funktionierenden Presse, die sich nicht bei verschwiegenen Treffen „eindringlich“ vom Kanzleramt auf eine Pro-Lockdown „Berichterstattung“ einstimmen lässt.
Es bedarf Journalisten, die sich solchen Runden entziehen und auch gegebenenfalls einem Herrn Seibert ins Gesicht sagen, er möge bitte das, was er zu sagen hat, doch on the record vor laufenden Kameras zu allen Journalisten sagen.
Doch da beißt sich, wie schon angedeutet, die Katze in den Schwanz. Wer als Journalist bei dem im Tagesspiegel erwähnten Treffen anwesend war, dürfte darin gewiss keine Grenzüberschreitung sehen. Wahrscheinlich waren die versammelten Journalisten selbst vom Lockdown überzeugt. Das Treffen erlaubte ihnen sozusagen, nun auch noch mit höchster Rückendeckung von politischer Seite die Überzeugung von einem Lockdown in den Äther zu schicken. Man steht eben auf der „richtigen“ Seite.
„Am Tag vor wichtigen Bund-Länder-Corona-Schalten wurde wiederholt einer zusammengerufenen Journalistengruppe die Sichtweise des Kanzleramts, dass strenge Lockdown-Maßnahmen nötig sind, so eindringlich dargestellt, dass es zum Gipfeltag in Zeitungen und Onlineportalen stand. Und Druck auf die Länder aufbaute.“
So steht es im Tagesspiegel.
Das ist einer jener eher seltenen Hinweise, der dem Medienbeobachter vor Augen führt: Die Rede von einem gesteuerten Journalismus ist nicht so abwegig, wie manche meinen. Im Gegenteil: Man nehme eine überschaubare Anzahl von Journalisten, die über Reichweitenmacht verfügen, und lade sie zu einem exklusiven Treffen ein. Dort nimmt das politische Lager subtil oder auch nicht subtil, offen oder verdeckt, Einfluss und versucht, einen bestimmten gewünschten Grundton anklingen zu lassen.
Die Journalisten machen mit, vermutlich auch noch aus Überzeugung. Sie gehen zurück in die Redaktionen und stimmen dann, getrennt voneinander, aber doch vereint, medienübergreifend den gewünschten Ton an. Dieser gewinnt durch die Reputation der Medien und die Lautstärke schnell an Schwingungskraft und ehe man sich versieht, nehmen andere Journalisten diesen Ton auch auf.
Gelenkte Berichterstattung
Et voilà! wie der Franzose zu sagen pflegt. Hier ist er, der gesteuerte Journalismus.
Es gilt, an den richtigen Stellen innerhalb des Mediensystems die richtigen Impulse zu setzen. Und schon ist die gelenkte Presse Realität.
Wobei: Das soll nicht heißen, dass diese Einflussversuche der Politik immer erfolgreich sind. Das bedeutet nicht, dass so dauerhaft und immer eine gesamte Medienlandschaft gesteuert werden kann. Aber punktuell ist eben eine gelenkte „Berichterstattung“ machbar.
Ein weiteres Beispiel. Im Juli 2010 schreibt Jakob Augstein in der Süddeutschen Zeitung folgende erhellende Zeilen:
„Ein paar Monate zuvor, am 8. Oktober 2008, hatte es ein sonderbares Treffen gegeben, das in diesem Zusammenhang Erwähnung finden soll. Die Bundeskanzlerin hatte an jenem Tag die bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien eingeladen. Es war die Zeit, in die der Ausbruch der großen Finanzkrise fiel. Man findet keinen ausführlichen Bericht über dieses Treffen, der veröffentlicht worden wäre und überhaupt nur wenige Erwähnungen in den Archiven, nur hin und wieder einen Nebensatz, eine knappe Bemerkung. An einer Stelle liest man in dürren Worten, worum es an diesem Abend im Kanzleramt ging: Merkel bat die Journalisten, zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren.
Sie haben sich daran gehalten, die Chefredakteure. Noch im Februar 2009, vier Monate später, wunderte sich die taz über die Medien: ‚Sie halten die Bürger bei Laune, auf dass diese stillhalten. Wie viel Geld bereits in die Banken gepumpt wurde, wie viele Milliarden Bürgschaftszusagen vergeben wurden (und wie viele Hartz-IV-Monats‚löhne‘ das sind), das steht auch nicht in der Zeitung.“
So diskret wie führende Journalisten zur Einschwörung auf eine „Lockdown-Berichterstattung“ zusammengefunden haben, so diskret sind in diesem Beispiel sogar die bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien einer Einladung von höchster politischer Stelle bis ins Kanzleramt gefolgt. Und: Sie sind offensichtlich, wie Augstein beschreibt, auch der „Bitte“ Merkels nachgekommen.
Urich Deppendorf, der ehemalige Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, sagte einmal:
„Wir haben ja häufiger vertrauliche Gespräche in Berlin, mit der Kanzlerin gibt es zweimal oder dreimal im Jahr einen Hintergrundgesprächskreis, da sind alle Büroleiter drin. Uns gibt das eine Vorstellung, wie tickt sie, wo will sie hin — und manchmal kann man das dann andeuten in bestimmten Artikeln und Stellungnahmen. Davon lebt der Journalismus. Ich finde das weniger dramatisch, man muss nur immer klar sagen: Die Kanzlerin vertritt die eine Seite und wir stehen auf der anderen.“
Das klingt alles so schön, so einfach und passt irgendwie gar nicht so dazu, was im Tagesspiegel zu lesen ist.
Nun denn. Es geht jedenfalls auch umgekehrt: Nicht nur die Politik lädt handverlesene Journalisten ein, Top-Journalisten haben auch handverlesene Politiker zu einem der wohl exklusivsten Treffen von Eliten und Machteliten eingeladen. Wir denken dabei etwa daran, wie führende Redakteure der Zeit im Lenkungsausschuss der Bilderberg-Gruppe saßen und dabei einen Politiker wie Jürgen Trittin zum Stelldichein gebeten haben.
Wie angesprochen: Die angeführten Beispiele sind wie Puzzleteile, die sich dem Betrachter zeigen, wenn sich der Vorhang, der normalerweise die diskreten Verbindungen zwischen Journalisten und Politikern verdeckt, ein kleines Stück hebt.
Auch wenn nur ein kleiner, flüchtiger Blick möglich ist, so reicht das, was zu sehen ist, bereits aus, dass Kritiker der Medien sagen können: Journalisten und Politiker sind sich bisweilen viel näher, als sie es sein dürften. Offensichtlich auch — wenn nicht gerade — in der Pandemie!
Marcus Klöckner studierte Soziologie, Medienwissenschaften und Amerikanistik. Herrschafts- und Medienkritik kennzeichnen seine Arbeit als Autor und Journalist. Zuletzt erschienen von ihm „Medienkritik: Zu den Verwerfungen im journalistischen Feld“, „Wie Eliten Macht organisieren“ und „Sabotierte Wirklichkeit: Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird“.
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